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Linien zeigen das Strömungsfeld um einen simulierten Roboterfisch

© Dennis Powalla, OvGU

Fischfreundlichere Turbinen: Pummelfisch soll Wasserkraft umweltfreundlicher machen

An Turbinen sterben viele Fische. Mithilfe eines Roboterfisches wollen Forscher etwas dagegen unternehmen.

Strom aus Wasserkraftwerken ist klimafreundlich, hat aber auch negative Umweltwirkungen. Je nach Anlage wird der Sedimenttransport im Fluss teils erheblich gestört, vor allem jedoch werden Fische geschädigt.

„Im Schnitt liegt die Mortalität bei 20 bis 30 Prozent, an manchen Anlagen sterben fast alle Tiere“, sagt Christian Wolter vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) in Berlin. Fehlt eine sichere Passage wie etwa eine Fischtreppe oder wird diese nicht gefunden, schwimmen die Tiere durch die Turbine, wo sie einen Schlag bekommen können oder aufgrund rapider Druckänderung innere Organe geschädigt werden, was ebenfalls tödlich sein kann.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler suchen daher nach Lösungen, um Wasserkraftwerke fischfreundlicher zu machen – nicht zuletzt, weil strengere Gesetze und Richtlinien das inzwischen fordern.

Stress im Test

Stefan Hoerner von der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg und sein Team entwickeln dazu einen Roboterfisch, gemeinsam mit der TU Tallinn, die die Sensorik liefert. Dieser soll denselben gefährlichen Weg durch die Turbine nehmen wie die Fische, mit verschiedensten Sensoren aufzeichnen, was ihm dort widerfährt und so Tierversuche überflüssig machen.

„Bei den meisten großen Anlagen gibt es schon heute Einrichtungen, um größere Fische fernzuhalten, beispielsweise Fischschutzrechen“, erläutert der Forscher. „Um zu ermitteln, wie das Schädigungsrisiko ist, werden bislang Tests mit Wildfischen gemacht.“ Laut Bundesinstitut für Risikobewertung werden dafür jährlich bis zu 200.000 Tiere verwendet.

„Für sie ist es ein enormer Stress, je nach Turbinentyp und Standortbedingungen kommen dabei bis zu zehn Prozent, manchmal auch mehr ums Leben.

Im Projekt „Retero“ (für: Reduction of live fish testing through science and technology) werden in den nächsten drei Jahren elektronische Ersatzfische „gezüchtet“, die ohne Tierleid Aussagen zur Umweltverträglichkeit von Wasserkraftanlagen ermöglichen sollen. „Wir wollen im Prinzip eine schöne stromlinienförmige Forelle nachbauen“, erzählt Hoerner. „Rund 30 Zentimeter lang, aktiv schwimmfähig dank Flossenschlag und mit einem Orientierungssinn ausgestattet.“

Doch Wünsche und technische Möglichkeiten passen selten zusammen. Über den Antrieb ist noch nicht entschieden, die Flosse könnte elektromagnetisch oder piezoelektrisch bewegt werden. Dazu kommen Mikrokontroller, Batterie, Sensoren für die Navigation anhand des Erdmagnetfelds und von Beschleunigungen. Und nicht zuletzt die Messeinheiten für Druck, Scherkräfte und Beschleunigung, die den Forschern verraten, wie es dem Roboterfisch in der Turbine ergeht und ob die Einflüsse dort lebensbedrohend für echte Fische wären.

„Bei so viel Technik im Innern wird das aber nichts mit der schlanken Gestalt", sagt Hoener. Der erste Prototyp mit einer kunststoffbasierten Außenhaut werde in diesem Jahr schwimmen und eher gedrungen sein. Einen Namen hat er schon: „Pummelfisch“.

Auf zwei wesentliche Fragen müssen die Forscher Antworten finden: Ist der Pummelfisch mit gerade sechs Sensoren in der Lage, die Realität adäquat zu erfassen? Und vor allem: Kommt der Roboter mit seinem Verhalten einem realen Tier ausreichend nahe, um die Daten überhaupt für Prognosen zur Fischfreundlichkeit einer Anlage nutzen zu können?

Abdrehen im richtigen Moment

„Viele Fische richten sich an Hindernissen mit dem Kopf entgegen der Hauptströmung aus“, sagt Falko Wagner vom Institut für Gewässerökologie und Fischereibiologie Jena, der ebenfalls am Projekt beteiligt ist. Wie sie sich im dunklen Turbinenschacht verhalten, wo das Wasser sehr schnell fließt, sei bisher unbekannt.

Vergleichsstudien mit passiven Sensoren, die in die Strömung geworfen werden, ließen vermuten, dass die Fische noch eine Weile dagegen anschwimmen. „Wann sie aufgeben, ob sie sich dann einfach durchspülen lassen oder gar aktiv durch die Gefahrenzone schwimmen, um rasch zu entkommen, das wissen wir nicht“, sagt der Biologe.

Das wollen die Wissenschaftler mithilfe einer Strömungsrinne an der TU Dresden und echten Fischen klären. Die Versuche sollen Informationen zur Programmierung des Roboterfischs liefern. „Schwerpunkt wird die Körperausrichtung sein“, sagt Wagner. Sofern es einen Punkt gebe, an dem die Fische umdrehen, dann soll das der Roboter auch tun.

„Weitere Verhaltensweisen werden wohl schwieriger nachzubilden sein.“ Projektleiter Hoerner ergänzt: „Forellen können kurzzeitig drei, vier Meter pro Sekunde schnell schwimmen, unser Roboterfisch wird nur einen Bruchteil davon erreichen; wir sind weit davon entfernt, einen autonomen Fisch zu haben, der sich mit einem echten Tier messen kann.“ Trotzdem ist Hoerner zuversichtlich, dass der Robotereinsatz die Zahl der Versuchstiere deutlich verringern oder die Tests vollständig ersetzen kann.

Fischfreundliches Design

Der Berliner IGB-Forscher Wolter betrachtet den Ansatz als hilfreich. Er ist jedoch skeptisch, ob sich die Daten eins zu eins auf die Mortalität der echten Fische übertragen lassen. „Computermodelle und Roboter haben ihre Grenzen“, sagt er. Das Verhalten der Fische sei komplex, sie nutzen Verwirbelungen, schwimmen auch mal aus der Strömung heraus und verweilen.

„Gerade beim Umgang mit Gefahren spielt eine wichtige Rolle, wie schnell Fische wenden und beschleunigen können“, sagt Wolter. „Roboter können gut schwimmen, aber diese Spitzenleistungen schaffen sie nicht.“ Dies müsse beachtet werden, wenn Modelldaten in die Realität übertragen werden.

Sollte sich der Ansatz von Retero als erfolgreich erweisen, könnte er zu einem Progonosetool werden, das bereits während der Planung eines Wasserkraftwerks angibt, welche Schäden für Fische zu erwarten sind und wie wirksam Schutzeinrichtungen sein könnten, erläutert Hoerner. „Sinnvoll sind beispielsweise eng übereinander angeordnete Stäbe, die die Tiere vom Turbineneinlauf fernhalten und zu einer seitlichen Fischtreppe lenken“, sagt er.

Das Retero-Projekt könnte dazu beitragen, dass die Wasserkraftanlagen bereits beim Design fischfreundlich ausgelegt werden. Das gelte nicht nur für Neubauten, sagt Falko Wagner. Aktuell gebe es rund 7400 Wasserkraftanlagen in Deutschland, vor allem die großen haben oft keinen effektiven Fischschutz.

„Der lässt sich nachrüsten, aber der Aufwand dafür ist enorm“, sagt er. „Ein zuverlässiges Prognosemodell könnte zeigen, welche Maßnahme effektiv ist und somit ein starkes Argument liefern, um die Betreiber zur Nachrüstung zu bewegen und so die Wasserkraft umweltverträglicher zu machen.“

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