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Uni-Besetzung: Frankreichs Professoren streiken weiter

Die französischen Hochschulen lehnen die neuen Anforderungen ab. Auch nach zehn Wochen hat die Protestbewegung gegen die Bildungsreform nichts von ihrem Schwung verloren.

Vor dem Eingang der Sorbonne haben sich vier bullige Gendarmen aufgebaut. Sie prüfen die Ausweise der Studenten, durchwühlen Rucksäcke, klopfen auf Jackentaschen. Wer in den Hörsaal will, muss erst durch diese Polizeikontrolle. Die strengen Sicherheitsmaßnahmen sollen die altehrwürdige Hochschule im Herzen von Paris vor neuen Besetzungen schützen. Denn selbst nach zehn Wochen hat die Protestbewegung gegen die Bildungsreform von Hochschulministerin Valérie Pécresse nichts von ihrem Schwung verloren. Auch nach den Osterferien sollen im ganzen Land die Demos weitergehen – notfalls bis zum Herbst, drohen einige Fakultäten.

Die Verhandlungen zwischen Regierung und Uni-Vertretern sind völlig festgefahren. Die Professoren geben deshalb noch immer keine Kurse, die Studenten stürmen weiterhin Hörsäle. Nicht nur rund um die Pariser Sorbonne parken daher Mannschaftswagen der Polizei, hinter deren vergitterten Fenstern dutzende Ordnungshüter in voller Montur auf ihren Einsatz warten.

Zustände, die an 1968 erinnern, schreiben französische Zeitungen. Denn zum ersten Mal seit den berüchtigten Mai-Unruhen besetzen wieder Professoren und Studenten gemeinsam die Institute. Mit Straßenschlachten wie in jenen Nächten rechnet jedoch niemand. An der Sorbonne flogen zwar Stühle durch die Luft, meist beschränken sich die Demonstranten aber darauf, an den Uni-Fassaden Protestbanner hinab zu rollen.

Mit den darauf gesprühten Parolen schimpfen sie vor allem auf Ministerin Pécresse. Die hat gerade einen Kompromiss vorgeschlagen: Sie ist bereit, die Reformen um ein Jahr zu verschieben. „Eine faule Offerte“, findet Marie-Pierre Harder, Literaturdozentin in Nanterre, jener Fakultät, an der die Studentenrevolte von 1968 losbrach. „Denn der Kern des Gesetzes bleibt unangetastet.“

Die Universitäten sollen in Zukunft mehr für ihre Einnahmen tun. Bislang überweist der Staat ihnen einen festen Betrag, der sich nach der Zahl der Studenten und der Fläche des Campus richtet. Mit dem neuen Gesetz würden die Hochschulen Geld nach Leistung bekommen. Wie viel ein Institut erhält, hinge vor allem davon ab, wie oft seine Professoren Artikel für Fachzeitschriften verfassen und wie schnell die Studenten nach dem Abschluss einen Job finden. Neue Hörsäle, Computerräume und Labors sollen die Fakultäten zudem künftig nicht mehr allein mit öffentlichen Mitteln bezahlen, sondern auch mit Forschungsgeldern aus dem Privatsektor. Im Gegenzug kann die Regierung den Hochschulen bei Budget- und Personalfragen fortan nicht mehr reinreden.

Um den Mangel an Dozenten auszugleichen, müssten Wissenschaftler, die wenig forschen, mehr unterrichten. „Die Lehre würde so zu einer Art Strafaufgabe abgewertet“, beklagt Harder. Unmut erregt auch der geplante Umbau der Lehrerausbildung. Pécresse will das einjährige Referendariat durch ein mehrwöchiges, deutlich schlechter vergütetes Pflichtpraktikum und zwei Semester Masterstudium ersetzen.

Ziel der Regierung sind vor allem Einsparungen bei Geld und Personal. Gleichzeitig soll die Reform die französische Hochschulforschung weltweit sichtbarer machen. Mit dem anderen zentralen Faktor – dem Erfolg der Studenten auf dem Arbeitsmarkt – soll die universitäre Ausbildung stärker an den Bedürfnissen der Unternehmen ausgerichtet werden.

Die wochenlangen Proteste haben zur wohl größten Bildungsdebatte in Frankreich seit langem geführt. Im Mittelpunkt steht der Vorwurf, die Regierung von Nicolas Sarkozy wolle aus der Forschung eine Ware machen, unmittelbar nutzbar von Wirtschaft und Industrie. Nach zweieinhalb Monaten Ausstand treibt einige Studenten nun auch eine ganz praktische Sorge um: „Keiner weiß, wie das Streiksemester bewertet werden soll“, sagt eine junge Frau vor dem Eingang der Sorbonne. An den vier bulligen Gendarmen kommt sie mit ihrem Ausweis zwar vorbei, aber drinnen stellt sie fest: Der Kurs fällt wieder aus.

Stefan Beutelsbacher

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