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Umstritten. Glyphosat ist das am meisten verwendete Herbizid. Das Foto zeigt, wie Pflanzenschutzmittel durch einen LKW großflächig auf ein begrüntes Feld gesprüht wird.

© picture-alliance/ dpa

Streit um Pflanzenschutz: Freispruch für Glyphosat

Die Europäische Lebensmittelbehörde sieht anders als Experten der Weltgesundheitsorganisation keine Tumorgefahr durch das umstrittene Herbizid.

Das Pflanzenschutzmittel Glyphosat ist von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) als „wahrscheinlich nicht krebserregend“ eingestuft worden. Die Efsa widerspricht damit der Einschätzung durch die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) der Weltgesundheitsorganisation WHO. Diese hatte im Juli Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend“ bezeichnet.

Das Herbizid wurde turnusgemäß hinsichtlich seiner Wirksamkeit und der Risiken für Gesundheit und Umwelt neu bewertet. Auf der Basis des Efsa-Berichts entscheiden nun Europäische Kommission und Mitgliedsstaaten, ob Glyphosat weitere zehn Jahre in der EU eingesetzt werden darf.

Gleichzeitig schlägt die Efsa neue Sicherheitsregeln vor, um aus ihrer Sicht die Kontrolle von Glyphosat-Rückständen in Lebensmitteln zu verstärken. Sie fordert, erstmals für Glyphosat eine „Akute Referenzdosis“ einzuführen und damit die akute Belastung durch das Pestizid besser zu überwachen.

Die Überwachung soll verschärft werden

Die Akute Referenzdosis bezeichnet diejenige Substanzmenge pro Kilogramm Körpergewicht, die über die Nahrung mit einer Mahlzeit oder innerhalb eines Tages ohne erkennbares Risiko für den Verbraucher aufgenommen werden kann. Für Glyphosat soll eine Akute Referenzdosis von 0,5 Milligramm Glyphosat pro Kilogramm Körpergewicht gelten. „Durch die Einführung einer Akuten Referenzdosis verschärfen wir die künftige Bewertung potenzieller Risiken durch Glyphosat“, sagte der Efsa-Pestizidexperte José Tarazona. 2016 soll überprüft werden, ob Glyphosatspuren in Lebensmitteln dazu führen können, dass die Akute Referenzdosis überschritten wird.

Umweltgruppen wie „Bund“ und Greenpeace sowie die Grünen fordern ein Verbot von Glyphosat. Das Herbizid ist aus mehreren Gründen im Fadenkreuz der Kritiker. Glyphosat ist das am meisten verbreitete Herbizid (Jahresproduktion 2012: mehr als 700 000 Tonnen). Es blockiert ein pflanzliches Enzym, das für die Herstellung bestimmter Aminosäuren zuständig ist.

Pflanzen können gentechnisch gegen die Glyphosat-Attacke geschützt werden, so dass das Mittel auch beim Einsatz dieser umstrittenen Technik eine Schlüsselrolle spielt. Und schließlich gilt der Wirkstoff als relativ wenig giftig, verglichen mit anderen Pflanzenschutzmitteln. Ein Glyphosat-Verbot könnte dieser Logik zufolge bedeuten, andere Pestizide „erst recht“ zu verbieten und so der vermeintlich „chemiefreien“ Bio-Landwirtschaft Auftrieb geben.

Grundlage der Efsa-Entscheidung zu Glyphosat war ein Bericht des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) in Berlin vom Frühjahr 2015. Das Bundesinstitut kam zu dem Schluss, dass kein Krebsrisiko besteht. Die Efsa ist dem Befund des BfR weitgehend gefolgt. Hätte sie sich der Ansicht der UN-Krebsagentur IARC angeschlossen, wäre Glyphosat vom europäischen Markt verschwunden. So bleibt womöglich fast alles beim alten.

"Skandal", "Verharmlosung", "Ignoranz" urteilen Umweltverbände

Dementsprechend unfreundlich fielen die ersten Stellungnahmen von Umweltgruppen aus. Die Entscheidung sei ein „Skandal“, kommentierten die „Naturfreunde Deutschlands“. Der „Bund“ warf der Efsa Verharmlosung und „unglaubliche Ignoranz“ vor. Besonders verwerflich sei, dass die „täglich akzeptierte Dosis für die Aufnahme des Wirkstoffes durch den Menschen von 0,3 Milligramm auf 0,5 Milligramm pro Kilo Körpergewicht angehoben“ werden solle, hieß es in einer Mitteilung des „Bund“.

Die Efsa begründet ausführlich, warum sie sich der Ansicht der IARC nicht angeschlossen hat. Zum einen hat die IARC auch Studien zu „Formulierungen“ berücksichtigt, also zu Produkten, die neben Glyphosat weitere Mittel enthalten. Solche Mischungen verschiedener Chemikalien haben andere Effekte als ein „reiner“ Wirkstoff. Geprüft wurde von der Efsa lediglich Glyphosat selbst, für die verschiedenen Pflanzenschutzmittel gibt es eigene Genehmigungen.

Hochdosisversuche mit Glyphosat sind umstritten

Unterschiedlicher Meinung waren WHO und EU auch bei der Auslegung von Tierversuchen mit Glyphosat. So fanden sich aus Sicht der Efsa in neun Langzeitstudien mit Ratten keine bedeutsamen Hinweise auf ein erhöhtes Tumorrisiko. Zumindest bei zwei Untersuchungen sahen die Gutachter der WHO das anders. Auch bei Tests an Mäusen war man anderer Ansicht. Während die IARC bei Nagern Anhaltspunkte für Krebsgefahr durch regelmäßige Glyphosatzufuhr ausmachte, führte die Efsa die Effekte auf die extrem hohe Dosis zurück. Diese habe zu allgemeinen Vergiftungserscheinungen geführt, von denen nicht auf krebserzeugendes Potential geschlossen werden dürfe.

Weit auseinander liegen die Experten bei der Einschätzung, ob das Herbizid die Erbinformation schädigen kann, also „genotoxisch“ ist – ein wichtiges Indiz für ein Krebsrisiko. Die Efsa sieht dafür keine stichhaltigen Anhaltspunkte. Die IARC hält es für so gut wie gesichert. Ebenfalls anderer Meinung ist man bei der Frage, ob Studien in der Bevölkerung auf eine erhöhte Tumorgefahr durch Glyphosat hindeuten. Die WHO-Fachleute sehen Anzeichen dafür, die Efsa nicht. Kontroverser geht es nicht. Nun muss die Politik entscheiden, wem sie vertrauen will.

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