zum Hauptinhalt
Vollversammlung der Berliner Studis am Campus-Nord der HU Berlin, Februar 2022 & Abstimmung zum bundesweiten Bündnis GenugIstGenug

© Eva Murasov/Tagesspiegel

Frust und Mobilisierung von Studierenden: Protest in der Krise „nicht den Rechten überlassen“

Geldsorgen und Ärger über die Krisenpolitik der Ampel: Das eint viele Berliner Studierenden in diesem Winter. Ein neues Bündnis will nun mobilisieren und Studi-Anliegen mit Arbeitskämpfen verbinden.

„Wer von euch hat diesen Winter in seiner Wohnung gefroren aus Sorge vor unbezahlbaren Heizkosten?“ Alle im Saal klatschen in Zustimmung. Zu Beginn der Vollversammlung, zu der der „RefRat“, der Asta der Humboldt-Universität, die Berliner Studierenden eingeladen hat, sammelt die Moderatorin ein Stimmungsbild. Genauso laut ist die Antwort auf die Frage, wer die gestiegenen Lebensmittelpreis schmerzlich im Geldbeutel spüre. Dann die Frage: „Und wer hat bereits die 200 Euro Energiepauschale ausgezahlt bekommen?“ Stille, vereinzelte Lacher.

Im September wurde angesichts der steigenden Energiepreise allen, die im Wintersemester immatrikuliert sind, eine Pauschale von 200 Euro zur Entlastung versprochen. Bis heute ist das Geld bei den Studierenden nicht angekommen, ob das bis Ende des Winters gelingt, ist fraglich. Die digitale Plattform zur Beantragung ist noch in Arbeit.

Entsprechend groß ist der Ärger über die Ampelregierung, der sich auf der Vollversammlung entlädt. Den Unmut der Studis über Haushaltsentscheidungen des Bundes in Krisenzeiten – und ihr zentrales Anliegen – bringt ein Banner hinterm Podium auf den Punkt: „Jetzt 100 Milliarden für Bildung und Soziales!“ Wenn schon Investitionen in die Rüstungsindustrie in diesem Umfang gemacht würden, sollte man die wenigstens die Gewinne besteuern, damit die Profite dem Gemeinwohl zu Gute kommen, ist der Tenor.

Von knapp 300 Teilnehmenden im voll besetzten Erich-Fischer-Hörsaal am Campus-Nord kommen die meisten von der Humboldt-Uni, doch auch andere Berliner Hochschulen sind vertreten. Man ist gut organisiert, die Gäste bekommen je nach Unizugehörigkeit Plätze zugewiesen, Abstimmungskarten und eine Tagesordnung. Neben Fakten und Zahlen zur Wirtschaftslage, die eingangs vorgetragen werden, gibt es auch emotionale Reden zum Studieren in Krisenzeiten.

Die Vollversammlung an der HU hat eine Hochschulgruppe des bundesweiten Bündnisses „GenugIstGenug“ organisiert, das auch von Gewerkschaften getragen wird.
Die Vollversammlung an der HU hat eine Hochschulgruppe des bundesweiten Bündnisses „GenugIstGenug“ organisiert, das auch von Gewerkschaften getragen wird.

© Eva Murasov/Tagesspiegel

Das Studentenleben würde oft „romantisiert“, beklagte eine Rednerin, das Leben am Existenzminimum mit beschönigenden Klischees abgetan wie „dann gibt‘s am Ende des Monats halt Nudeln mit Ketchup“. Stattdessen prägten den Alltag junger Menschen seit der Coronapandemie „Verarmung, Vereinzelung, Depression“. Energiekrise und Inflation verschärften das nur. Tatsächlich waren dem statistischen Bundesamt zufolge rund 39 Prozent der Studierenden in Deutschland armutsgefährdet, bei denen, die allein oder in einer Studi-WG wohnten, lag diese Zahl bei 76 Prozent.

Gegründet hat das Bündnis der „Jacobin“

Deutlich wird – man fühlt sich von der Regierung im Stich gelassen. Und einige kleine Gruppe will den Anstoß geben, „politisch Druck zu machen“: Angestoßen hatten das Treffen Vertreter:innen der Hochschulgruppe von „GenugIstGenug“, einem bundesweiten linken Mobilisierungsbündnis, das für mehr soziale Gerechtigkeit und Entlastungen für Geringverdiener eintritt. Ursprünglich von dem sozialistischen „Jacobin“-Magazin in Anlehnung an britische Gewerkschaftsstreiks initiiert, wird das Bündnis hierzulande bislang offiziell von Verdi, dessen Berliner Krankenhausbewegung und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft unterstützt.

Auf der Versammlung sollen auch die Berliner Studierenden überzeugt werden, sich anzuschließen und auf die Straße zu gehen. Davon, sich mit den Tarifstreiks von Angestellten der BSR, in der Pflege oder bei der Post zu solidarisieren, könne man sich auch mehr Nachdruck für die eigenen Forderungen gegenüber der Regierung erhoffen, heißt es in der Abstimmungsvorlage.

Auch an die Berliner Politik gibt es konkrete Forderungen: Mehr Geld für Forschung und Lehre vom Senat, höhere Löhne und bessere Beschäftigungsverhältnisse an für Hochschulangestellte, mehr Gewicht der Interessengruppe der Studierenden in den Akademischen Senaten.

Doch zunächst scheint es darum zu gehen, sich gegenseitig Hoffnung und etwas gute Stimmung zu machen. Und darum, die sozialen Proteste in Krisenzeiten wieder mit linken Positionen zu verbinden: Kritik an der Ampel würde bisher „nur von rechts besetzt“, heißt es: „So kann es nicht bleiben!“ Unterstützung kommt per Videobotschaft von der Rapperin Sokee, die wie sie erzählt, als Arbeiterkind an der HU studierte, sowie von einer Sprecherin von „Deutsche Wohnen und Co Enteignen“.

Und zuletzt auch von einer Professorin der FU Berlin. Marina Allal, Diversity-Beauftragte des Fachbereichs Philosophie und Geisteswissenschaften, stellt in einer kurzen Rede das Problem prekärer Beschäftigungsverhältnisse im akademischen Mittelbau dar. Damit gingen „Abhängigkeitsverhältnisse einher“ die im Widerspruch zum Ideal der Freiheit von Forschung und Lehre stünden. Und sie bekräftigt die Idee, dass sich jung und alt solidarisieren: Die Streiks zur Rentenreform in Frankreich hätten gezeigt, dass dies Früchte tragen kann. Dort gingen im Januar landesweit an manchen Tagen rund 1 Millionen auf die Straße.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false