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Marie Lorbeer (West) und Martyn Sorge (West) haben gemeinsam das ArchäologieSpielProjekt MOORWIESE in Berlin-Buch ins Leben gerufen.

© Kitty Kleist-Heinrich

25 Jahre Deutsche Einheit: Geht nicht, gibt’s nicht

Seit fast 25 Jahren gestalten Marie Lorbeer und Martyn Sorge Spiel- und Bildungsräume für Berliner Kinder.

„Weißt du noch, wie wir die Feuerwehr mit den Platten gebaut haben?“, fragt Marie Lorbeer. „Das war so locker mit dir.“ Zwei Menschen rollen auf, was lange her ist, und was Außenstehende nicht auf Anhieb verstehen. Es war in einer Zeit, in der für beide vieles möglich war, in der nicht alles festgelegt war, in der man improvisierte.

Martyn Sorge und Marie Lorbeer erinnern sich: an einen alten Feuerwehrwagen, den sie zu einem mobilen Ausstellungsraum für Kinder umbauten. Das war 1992. „Jeht nicht, jibt’s nicht“, lautete das Motto der Gruppe, die damals im wiedervereinigten Berlin ihr Konzept von Pädagogik umsetzte.

„Was ich im Westen nicht verwirklichen konnte, konnte ich hier realisieren“, sagt Marie Lorbeer. Sie kam 1985 nach dem Lehramtsstudium aus Nürnberg nach Berlin. Nürnberg war ihr zu klein, Berlin bot mehr Chancen. In den ersten Jahren wohnte sie nahe der Bornholmer Brücke. Nach der Wende zog sie nach Ostberlin, in ein besetztes Haus in Prenzlauer Berg. Sie kam 1991 zum „Netzwerk Spiel/Kultur Prenzlauer Berg e.V.“, einer Gruppe, die sich dort schon Ende der 70er Jahre zunächst unter dem Namen „Spielwagen“ gegründet hatte.

Ende in einer Pappschlacht

Sorge kam 1980 aus dem Oderbruch nach Berlin. Fast von Anfang an war er als Ehrenamtlicher bei Spielwagen dabei. „Wir wollten etwas anderes als die gängige DDR-Pädagogik“, sagt Sorge. Spielerisches Lernen in offenen Räumen, das nicht nur auf Schule, Schul-AGs und Pionierorganisationen beschränkt war.

„Wir hatten viele Ideen, die oft an den Verhältnissen im Osten gescheitert waren“, sagt Martyn Sorge. Drei Jahre vor der Wiedervereinigung, zum Stadtjubiläum „750 Jahre Berlin“, veranstaltete er mit Kindern und Jugendlichen am Kollwitzplatz ein Stadtspiel: Sie inszenierten Bürgermeisterwahlen, spielten Zeitung und bauten aus Pappe eine Kartonstadt. „Es endete alles in einer wunderschönen Pappschlacht.“ Zur gleichen Zeit arbeitete Lorbeer in West-Berlin bei einer Ausstellung zur 750-Jahr-Feier im Martin-Gropius- Bau.

Die Begrüßung war ernüchternd

Als eine Kollegin ihr drei Jahre später vorschlug, ihre Ausstellung „Menschenfresser – Negerküsse“ im Osten der Stadt zu zeigen, lernte sie das Netzwerk Spiel/Kultur kennen. 1992 ergab sich daraus der Grundstein für das „Kinder und JugendMuseum Prenzlauer Berg“. Das Museum, das heute „MACHmit! Museum für Kinder“ heißt, ist eine von vielen pädagogischen Einrichtungen, die aus dem Netzwerk heraus entstanden sind und bis heute die Stadt prägen – wie etwa die Vereins-Kita „Villa Kunterbunt“ oder die Freie Schule am Mauerpark.

Die Begrüßung beim Netzwerk war jedoch ernüchternd. Kurz nach der Wiedervereinigung sagte einer zu ihr: „Wessis brauchen wir hier nicht.“ Lorbeer überhörte es. Von Martyn Sorge kam so ein Kommentar nicht. Aus seiner Sicht brachte die Wende aufregende Zeiten.

Denn in West-Berlin gab es bereits eine „wilde Abenteuerspielplatz-Szene“, erzählt Sorge. Gleich nach der Wiedervereinigung begann die Zusammenarbeit. Auch wenn, oder vielleicht gerade weil der Westen für ihn irgendwie Ausland war. Bis heute organisiert Sorge internationale Begegnungen und engagiert sich bei der „European Playwork Association“, die interkulturelles Lernen und selbstbestimmtes Spielen über Ländergrenzen hinweg fördert. „Auch für mich war der Osten Ausland“, erinnert sich die 64-jährige Marie Lorbeer. Sie stellte schnell fest, dass man dort kreativ war und aus allem etwas machen konnte.

Nach Mauerfall ging es zur Tante

Mit Martyn Sorge ist sie seit Langem im Vorstand von Netzwerk Spiel/Kultur. Dort ist sie die Einzige aus dem Westen. „Wenn ihr drei redet, verstehe ich manches nicht“, sagt sie zu Sorge. Der guckt fragend. „Ich werde gesteigert“, statt „ich bekomme eine Gehaltserhöhung“, oder „Fahrerlaubnis“ statt „Führerschein“ – sprachlich war manches verschieden, erklärt sie. Für den 53-jährigen Sorge waren solche Unterschiede kaum je ein Thema. Ihm fiel schon auf, dass viele West-Berliner das Berlinern aufgaben, während man es in Ost-Berlin kultivierte.

Für ihn ist aber wichtiger, dass er und Lorbeer im „pädagogischen Gleichklang“ denken. In den vielen Jahren habe sich Freundschaft und Solidarität entwickelt.

Marie Lorbeer leitet noch immer das MACHmit! Museum in Prenzlauer Berg, Martyn Sorge den Abenteuer- und Archäologiespielplatz „Moorwiese“ in Buch. Ein alter Bekannter ist geblieben, Jens-Holger Kirchner, den Martyn Sorge weiter „Nilson“ nennt. Am Tag des Mauerfalls hatte er mit dem heutigen Bezirksstadtrat in Prenzlauer Berg an einem alten VW geschraubt. Nachdem Sorge von der Grenzöffnung erfahren hatte, war er zu seiner Tante gefahren. Lorbeer war über die Bornholmer Brücke in den Osten gelaufen. Getroffen haben sie sich in dieser Nacht nicht. Aber der Anfang für viele aufregende Jahre war gemacht.

Jana Scholz

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