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Helfender Arm. Ein Roboter übernimmt arbeiten im Chemie-Labor, vom Beladen von Versuchsgefäßen bis hin zur Gestaltung von Experimenten.

© University of Liverpool

Helfender Arm: Chemie-Roboter experimentiert eigenständig

Automatisierung ist ein Trend in der Forschung. Nun erfasst er die Forschenden selbst.

Selbstständige Forschungstätigkeit im Bereich Chemie, 150 Stunden Wochenarbeitszeit, keine Bezahlung, freies Akkuaufladen: Mit dieser Stellenausschreibung könnte man wenige Bewerber locken, aber Forschende von der University of Liverpool stellen in der Zeitschrift „Nature“ einen aussichtsreichen Kandidaten vor.

Der „erste Roboter-Wissenschaftler seiner Art“ könne eigenständig entscheiden, welche chemischen Experimente er durchführt und er habe bereits einen neuen Katalysator entdeckt, teilte die Universität mit.

Die Maschine wiegt rund 400 Kilogramm, kann sich aber aufgrund ihrer menschenähnlichen Größe von 1,75 Metern frei in einem Standardlabor bewegen. Anstelle eines Visionssystems wurde der Roboter mit einer Kombination aus Laserabtastung und Berührungsrückmeldung ausgestattet.

Er kann die gleichen, auch zerbrechlichen Gefäße und Gerätschaften handhaben wie ein Mensch. Im Gegensatz zu seinen menschlichen Kollegen kann er täglich 21,5 Stunden arbeiten und muss nur pausieren, um seine Batterie aufzuladen.

Teammitglied mit Superkräften

„Unsere Strategie war hier die Automatisierung des Forschers und nicht der Instrumente“, sagt Forschungsleiter Andrew Cooper. Der Einsatz des Roboters verändere die Arbeitsweise grundlegend: „Er ist ein neues Teammitglied mit Superkräften und gibt den menschlichen Forschenden mehr Zeit, kreativ zu denken.“

In „Nature“ beschreiben die Erbauer das erste Projekt des Roboters: Er führte in acht Tagen 688 Experimente durch und arbeitete 172 von 192 Stunden. Er führte insgesamt rund 6500 Mal Bewegungen aus einem Repertoire von 319 Manövern zur Handhabung der Utensilien aus und legt eine Gesamtstrecke von 2,17 Kilometern zurück.

Zu seinen Aufgaben gehörten das Einwiegen von Feststoffen, das Dosieren von Flüssigkeiten und das Entfernen von Luft aus dem Behälter. Der Roboter ließ verschiedene katalytische Reaktion ablaufen und untersuchte die Reaktionsprodukte.

Mit Hilfe eines Suchalgorithmus trifft die Maschine auch die Entscheidung, welches Experiment als nächstes durchzuführen ist. Der Algorithmus durchsucht einen zehn-dimensionalen Raum mit mehr als 98 Millionen Optionen, um eine vorgegebene Hypothese zu überprüfen oder vorliegende Ergebnisse weiter zu bearbeiten.

Auf diese Weise entdeckte er einen Katalysator für eine photochemische Reaktion, der sechsmal aktiver ist als der bisher verwendete Reaktionsbeschleuniger. Dass der Roboter bei völliger Dunkelheit arbeiten konnte, verbesserte die Versuchsbedingungen für die lichtempfindlichen Reaktionen.

Beschleunigung des Erkenntnisgewinns

„Hier sehen wir ein fantastisches Beispiel wie moderne Robotik ein Werkzeug für immer mehr Bereiche jenseits der klassischen Automobilindustrie wird“, teilte Sami Haddadin dem Tagesspiegel mit. Der Direktor der Munich School of Robotics and Machine Intelligence war an der Entwicklung des Feinfühligkeitsmechanismus maßgeblich beteiligt, der beim Liverpooler Roboter zum Einsatz kommt.

Daneben betrachtet er seine Fähigkeit, eigenständig zu arbeiten als wichtigste Qualität. „Mittlerweile ist das im Grunde kommerziell verfügbare Technologie, aber hier eben sehr schön eingesetzt“, sagt Haddadin.

Für Benjamin Burger, der den Roboter gebaut und programmiert hat, war die Fehlerrate der Maschine die größte Herausforderung: „Um über mehrere Tage hinweg autonom zu arbeiten muss die Ausfallrate für jede Aufgabe sehr gering sein.“ Jetzt mache der Roboter weit weniger Fehler als ein menschlicher Forscher.

Als Chemie-Doktorand würde Haddadin aber nicht um seinen Job fürchten: „Ganz im Gegenteil, ich wäre froh, dass ich in dieser repetitiven und äußerst langwierigen Arbeit unterstützt und sozusagen multipliziert werde.“

Er befürchtet auch nicht, dass der Mensch Innovation und Kreativität aus der Hand gibt, indem er nicht nur Handreichungen, sondern auch Planung und Bewertung von Experimenten einer Maschine überträgt.

„Die Kreativität liegt ja darin dieses Werkzeug noch effizienter einzusetzen“, sagte Haddadin. Die Beschleunigung der Experimente komme direkt dem Erkenntnisgewinn zugute.

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