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Digital ist nicht immer genial.

© Getty Images/Andriy Onufriyenko

Hirnfäule: „Brain Rot“, große Sprachmodelle und großer Sprachmüll

Junkfood für das Denkorgan: Die Auswahl des englischsprachigen Wortes des Jahres sagt viel über unsere Gegenwart. Doch man soll die Hoffnung nicht aufgeben.

Richard Friebe
Eine Glosse von Richard Friebe

Stand:

Sprache ist der Spiegel der Gesellschaft. Aktuelle Sprachtrends sind ein Spiegel ihrer gegenwärtigen Verfassung. Gegenwärtige Trendwörter sind ja etwa „Offene Feldschlacht“ und „D-Day“. Sich in Kriegszeiten einer Kriegsrhetorik zu bedienen, ist auch ganz besonders innovativ. Hoffentlich wird keines davon zum deutschen Wort des Jahres.

Das englische Wort des Jahres hat jetzt die Redaktion des Oxforder Universitätsverlages, der das wichtigste Wörterbuch der globalen Lingua Franca herausgibt, gekürt: „brain rot“, zu Deutsch Hirnfäule. Es steht nicht für organische Erkrankungen unseres Denkorgans wie etwa Demenzen, sondern für die mentalen Symptome des digitalen Overloads, eine „Verschlechterung des geistigen oder intellektuellen Zustands einer Person, insbesondere als Folge des übermäßigen Konsums von als trivial oder anspruchslos angesehenen Inhalten“, heißt es aus Oxford.

Large Language Bullshit

Die Auslöser des „brain rot“ sind also gleichsam das Äquivalent zu Junk Food im Bereich Ernährung. Sie verführen, ohne irgendwohin zu führen, sie füllen ab, ohne auszufüllen. Man findet sie nicht mal gut, sie machen krank, lassen uns langsam dahin rotten, aber wir konsumieren sie trotzdem.

Dass „brain rot“ gerade jetzt den Hauptpreis bekommt, hat auch mit etwas anderem zu tun, das auf der Shortlist der Sprachpreisrichter aus Oxford stand: „slop“. Der Begriff tauchte im 19. Jahrhundert erstmals auf und man meinte damit übertrieben schmalzige Literatur. Er steht inzwischen interessanterweise für durch Künstliche Intelligenz generierten Grenzwert-Nonsense-Content, mit dem sich online Geld verdienen lässt: große Sprachmodelle, die großen Sprachmüll produzieren, wenn man sie entsprechend „prompted“.

Man muss sich all dem aber nicht aussetzen. Was es dazu braucht, ist ein noch einigermaßen funktionierendes, noch nicht allzu rottendes Brain – und vielleicht ein wenig „demure“.

Das Wort stand auch auf der Shortlist. Es steht ursprünglich für eine ruhige See und heute unter anderem für würdiges Auftreten, Seriosität, weise Zurückhaltung, Bedächtigkeit – alles Dinge, die mit „brain rot“ gar nicht gehen. Vielleicht gewinnt so ein Wort, als Spiegel einer dann nicht mehr so hirnverrotteten Gegenwart, ja nächstes Jahr.

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