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Opfer der „Meinungsdiktatur“? Man dürfe in Deutschland zwar alles sagen, müsse aber bei unliebsamen Aussagen damit rechnen, dass man hernach erledigt sei, sagt Jörg Baberowski, in Talkshows ein gern gesehener Gast.

© imago/Schöning

HU-Historiker Jörg Baberowski: Der Professor als wütender Bürger

Jörg Baberowski, Historiker an der Berliner Humboldt-Uni, wird von links massiv kritisiert. Was ist dran am Vorwurf, er sei rechtsradikal? Eine Analyse.

Der Name Jörg Baberowski ist derzeit auch jenseits des akademischen Betriebs vieldiskutiert. Der Berliner Geschichtsprofessor und Stalinexperte, der für sein Buch „Verbrannte Erde“ 2012 den Preis der Leipziger Buchmesse erhielt, wurde von Studenten als „rechtsradikal“ und „rassistisch“ bezeichnet und klagte wegen Verleumdung. Das Landgericht Köln verbot die Titulierung „rassistisch“, erklärte es aber für legal, die politische Position des Klägers als „rechtsradikal“ zu bezeichnen. Unabhängig von der tatsächlichen Gesinnung Baberowskis sei dessen Verortung im rechten Spektrum ob seiner integrationsskeptischen Sätze keine Schmähkritik und durch die Meinungsfreiheit gedeckt.

Die Leitung der Humboldt-Universität erklärte sich daraufhin mit dem Professor solidarisch: Seine wissenschaftlichen Äußerungen seien nicht rechtsradikal. Schon vorher hatten deutsche Medien mehrfach die „Diskreditierungskampagne“ gegen den Wissenschaftler und die vermeintliche Bedrohung seiner Reputation durch die Schmähungen linker Sektierer beklagt. Die sozialistische Gleichheitspartei (SGP) und deren Jugendorganisation IYSSE machen auf ihrer „World-Socialist-Website“ gegen Jörg Baberowski mobil. Vor seinen Vorlesungen verteilen die wenigen Mitglieder dieser Gruppe Flugblätter mit Warnhinweisen. Auch fotografieren sie Baberowski in der Öffentlichkeit, wie der Professor berichtet. Die Gruppe versuche, sein Leben zu ruinieren.

Trotz dieser Vorfälle wird die Kritik an Baberowski nicht dadurch gegenstandslos, dass sie von einer trotzkistischen Gruppe ausgeht. Um zu klären, ob an den Vorwürfen etwas dran ist, sollte man seine Thesen und Argumente untersuchen. Zumal er selbst immer wieder beklagt, dass eine Auseinandersetzung mit seinen Argumenten fehle und dass die Debatte durch die Totschlagthese seiner angeblich rechten Gesinnung kurzgeschlossen werde. Was also sagt und meint der Historiker und Publizist Jörg Baberowski?

Soll das Asylrecht nicht mehr entscheiden, wer kommen darf?

Was Baberowski immer wieder moniert hat, ist die seiner Meinung nach unkontrollierte, in ihren Folgen für Deutschland unabsehbare Einwanderung. In einem Interview mit der „FAZ“ vom September 2015 erklärt er, zwar könne auch ein Analphabet aus Homs einen Asylgrund haben, jedoch dürfe man die Migration nicht über das Asylverfahren steuern: „Die Politik sollte mit Augenmaß darüber befinden, wer einwandern darf und wer nicht. Alle Einwanderungsländer verfahren so, und sie haben damit ihren Gesellschaften Halt gegeben. In Deutschland geschieht gerade das Gegenteil, weil das Asylrecht darüber entscheidet, wer kommen darf, nicht der politische Wille.“

Soll das Asylrecht also nicht mehr darüber entscheiden, wer kommen darf? Baberowski suggeriert, eine am Nutzen orientierte Einwanderungspolitik würde die „unkontrollierte Einwanderung“ von Asylsuchenden beenden. Sowohl die Fluchtgründe als auch der Schutzanspruch all jener, die in Syrien und anderswo von Fassbomben und Giftgas bedroht und aus den verschiedensten politischen Gründen verfolgt sind, blieben aber faktisch bestehen. Der Flüchtlingsschutz jedoch ist eine zivilisatorische Errungenschaft, deren Notwendigkeit spätestens mit dem Zweiten Weltkrieg und der Judenverfolgung offenbar geworden ist. In der Bundesrepublik herrscht noch immer weitgehend Konsens darüber, dass Deutschland als größter Flüchtlingsproduzent der Weltgeschichte eine besondere historische Verantwortung für politisch und religiös verfolgte Menschen trägt.

Will Baberowski dieses politische Axiom zu den Akten legen? Zumindest die Forderung nach einer Einschränkung des Flüchtlingsschutzes lässt sich aus seinen Ausführungen ableiten. Dies nicht zuletzt deshalb, weil er die politischen Fluchtgründe sehr vieler Schutzsuchender schlichtweg bestreitet. In seiner regelmäßigen Kolumne für die „Basler Zeitung“ schreibt er: „Millionen sind auf dem Weg nach Europa, und sie erstreiten sich den Zugang zum Sozialsystem, indem sie ihre Pässe wegwerfen und Grenzen überschreiten. Man profitiert von Wohltaten, ohne zu seiner (sic) Finanzierung beigetragen zu haben. Geschenke aber müssen freiwillig gegeben werden.“

Für Baberowski sind Geflüchtete "die anderen"

In dieser Lesart werfen „die Millionen“ sämtlich ihre Pässe weg, um in den illegitimen Genuss europäischer Sozialleistungen zu kommen. Immer wieder erklärt Baberowski, ob die Krise bewältigt werden könne, sei irrelevant, die zentrale Frage sei, ob wir die Krise auch bewältigen wollen. Die Tatsache, dass ein großer Teil dieser Menschen eben einen EU-rechtlich und in der Genfer Flüchtlingskonvention verbürgten Anspruch auf Verfolgungsschutz genießt und daher von „Geschenken“ keine Rede sein kann, klammert der Historiker aus.

Bei Baberowski kommen Geflüchtete nicht nur als Sozialschmarotzer vor, die im Pelz der hart arbeitenden Bevölkerung nisten, sondern auch als „die anderen“, die sich in die deutsche beziehungsweise europäische Lebenswelt nicht richtig eingliedern lassen.

Der Satz, der das Landgericht Köln dazu bewog, die Behauptung, Baberowski sei „rechtsradikal“, als durch die Meinungsfreiheit gedeckt zu definieren, findet sich in einem Text für die „FAZ“ vom Herbst 2015. Baberowski schreibt: „Die Integration von mehreren Millionen Menschen in nur kurzer Zeit unterbricht den Überlieferungszusammenhang, in dem wir stehen und der einer Gesellschaft Halt gibt und Konsistenz verleiht.“ Nun tut man Baberowski unrecht, wenn man ihm hier biologischen Rassismus unterstellt. Denn zwei Zeilen später definiert er diesen Zusammenhang über „gemeinsam Erlebtes, Gelesenes und Gesehenes“ – also explizit kulturell.

Gleichwohl schürt der Satz die Angst vor „dem Fremden“, das „das Eigene“ vermeintlich unterhöhlt. Der Traditionszusammenhang scheint in besagter Lesart durch die vielen Fremden in Gefahr. Was dieses Gemeinsame sein soll, ist nicht klar definiert. Gleichwohl wird der Diskurs von der okzidental-orientalischen, respektive christlich-muslimischen Unvereinbarkeit befeuert, gibt es eine deutliche Wir-Die-Dichotomie.

Rechtsterroristische Attacken auf Traumatisierte erscheinen als Bagatellen

Jörg Baberowski, Historiker an der Humboldt-Universität.
Jörg Baberowski, Historiker an der Humboldt-Universität.

© Hendrik Schmidt/ picture alliance / dpa

Weiter erklärt der Historiker in einem Interview mit dem Sender 3-Sat vom September 2015, dass es überall dort, „wo viele Menschen aus fremden Kontexten kommen“ und die Bevölkerung nicht in die Problembewältigung eingebunden sei, „natürlich zu Aggressionen“ komme. Zwar sei das Anzünden von Asylunterkünften eine schlimme Sache, aber angesichts der Probleme, die die Masseneinwanderung hervorrufe, noch „eher harmlos“ zu nennen. So erscheinen die rechtsterroristischen Attacken auf die von Krieg und Flucht Traumatisierten aber als Bagatelle, weil zum Glück „noch niemand umgekommen“ ist. Dass die Unterbringung von Geflüchteten in Turnhallen und Schulen Unmut provoziert, der wiederum in Gewaltexzesse mündet, wird als beinah notwendige Kausalkette präsentiert.

An gleicher Stelle sagt Baberowski, dass in jenen Ländern, „in denen es Parteien gibt, die dieses Problem artikulieren, die Gewalt gegen Flüchtlinge sehr viel geringer“ sei. Dass die Hetze von AfD und ähnlichen Parteien die aggressive Stimmung gegen alles Fremde wohl eher verstärkt als abmildert, steht auf einem anderen Blatt.

So erachtet Baberowski denn auch den zuweilen gegen die „Alternative für Deutschland“ erhobenen Faschismus-Vorwurf als unbegründet. Dieser zielt ihm zufolge darauf, die als Faschisten verunglimpften Konservativen mundtot zu machen und vom politischen Diskurs fernzuhalten. „Wer die Öffnung der Grenzen und die Auflösung der Nationalstaaten ablehnte und verlangte, alles müsse bleiben, wie es ist, müsste ein Konservativer genannt werden“, so der Historiker in Bezug auf die AfD in der „Basler Zeitung“ vom 17. Februar – also etwa einen Monat nach Björn Höckes „Holocaust-Rede“. In dieser forderte der AfD-Politiker bekanntlich aber gerade nicht, dass alles so bleiben solle, wie es ist, sondern „eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ – und zeigte damit aufs Neue, in welchem ideengeschichtlichen Zusammenhang Teile seiner Partei stehen.

Auch sich selbst sieht Baberowski als Opfer der vermeintlichen „Meinungsdiktatur“. Der Tenor seiner Texte und Interviews für „FAZ“, „Basler Zeitung“ und „Neue Zürcher Zeitung“ ist immer derselbe: Eine „autoritäre, lebensferne Elite“ steuert demnach die politische Debatte und nutzt ihr „Informationsmonopol“ bedenkenlos „zur Manipulation der Öffentlichkeit“. Jede harsche Kritik werde in der Tugendrepublik Deutschland mit einem Platzverweis vom legitimen Diskursfeld geahndet. Viele Pressevertreter fungierten in der „Diktatur des politisch Korrekten“ als „Hofberichterstatter“ und frönten einem verblödenden „Erziehungsjournalismus“. Die „Gegenöffentlichkeit“ solle „aus der Welt geschafft“ werden. Im Parlament gebe es inzwischen „keine echte Opposition“ mehr.

Baberowski bedient rechtspopulistische Denkfiguren - ob er das nun beabsichtigt oder nicht

Diesen und ähnlichen Aussagen eignet – ob Baberowski das nun beabsichtigt oder nicht – eine Fülle verschwörungstheoretischer und rechtspopulistischer Denkfiguren. Vom Lügenpressediskurs über das angebliche Verschüttgehen der Meinungsfreiheit bis zur Mär vom manipulativen Allparteienkartell, das den wahren Willen des Volkes missachte. In zahlreichen Texten suggeriert der Historiker, linke Moralapostel hätten die kulturelle Hegemonie inne und würden mit ihren Denk- und Sprechverboten den Diskurs regulieren.

In der „Basler Zeitung“ schreibt Baberowski, zwar dürfe man in Deutschland alles sagen, müsse aber bei unliebsamen Aussagen damit rechnen, dass man hernach erledigt sei. In der „FAZ“ erklärt er gar: „Einwände aber sind im Reich der Tugendwächter, in das viele Medien und Politiker Deutschland inzwischen verwandelt haben, verboten.“ Der HU-Professor formuliert also in einem bedeutenden Medium einen Einwand und erklärt im selben Satz, Einwände seien verboten. Von Anbeginn der Flüchtlingskrise bis heute kommt Baberowski als besorgter Bürger und gern gesehener Talkshow-Gast in großen Zeitungen und auf diversen öffentlich-rechtlichen Kanälen zu Wort – und behauptet gleichzeitig, Kritiker würden aus den öffentlichen Räumen verbannt.

Nun muss ein renommierter Historiker – wie Tobias Bütow im Hinblick auf Baberowski in dieser Zeitung schrieb – noch lange kein guter Politberater sein. Wie aber verhält es sich mit Baberowskis akademischem Werk? Immerhin kursiert in linksradikalen Kreisen die These, er verharmlose die Verbrechen des Nationalsozialismus. Dies rührt auch daher, dass er im „Spiegel“-Gespräch mit Dirk Kurbjuweit vor gut drei Jahren den Historiker Ernst Nolte verteidigte. Nolte hatte mit seiner schuldprojektiven These einer direkten Abhängigkeit des deutschen Konzentrationslagers vom russischen Gulag seinerzeit den Historikerstreit vom Zaun gebrochen.

Zwar hat Baberowski selbst die These vom „kausalen Nexus“ wiederholt bestritten und die Singularität des Holocaust hervorgehoben. Gleichwohl findet sich an der erwähnten prominenten Stelle, nämlich im „Spiegel“-Gespräch, der isolierte Satz: „Nolte wurde Unrecht getan. Er hatte historisch Recht.“ Womit genau Nolte indes recht gehabt haben soll, bleibt unerwähnt.

"Hitler war kein Psychopath, er war nicht grausam"

Auch erklärt Baberowski an gleicher Stelle: „Hitler war kein Psychopath, er war nicht grausam. Er wollte nicht, dass an seinem Tisch über die Judenvernichtung geredet wird. Stalin dagegen hat die Todeslisten voller Lust ergänzt und abgezeichnet, er war bösartig, er war ein Psychopath.“ Zwar mag es sich hierbei bloß um eine im klinischen Sinne gemeinte Gegenüberstellung von Tätertypen handeln. Wenn aber im selben Gespräch die deutschen und die russischen Verbrechen als „im Grunde das Gleiche“, nämlich „industrielle Tötung“ beschrieben werden, scheint doch ein gewisses Muster erkennbar. Der Eindruck entsteht, dass es Baberowski um eine wenigstens relative Minderung der deutschen Schuld zu tun ist. Auch resultiert die Gleichsetzung aus einer bloßen Ergebnisbetrachtung und ignoriert die Motive des eliminatorischen Antisemitismus.

Baberowskis Thesen zum anthropologisch konstanten Gewaltraum, die er in seinem Werk „Räume der Gewalt“ entfaltet, laufen in der Konsequenz ebenfalls auf ein Einebnen historischer Unterschiede und eine Schmälerung von deutscher Schuld hinaus – auch der seines eigenen Vaters. In Baberowskis Gewaltpanorama ist die Gewalt stets Resultat der jeweiligen Situation und eine ständige menschliche Möglichkeit. Ideologische und soziokulturelle Prägungen, mithin auch Rassenhass und Antisemitismus werden beinahe bedeutungslos. Der in den Gewaltraum geworfene Mensch erlebt eine Verschiebung seiner moralischen Parameter und handelt in einer Weise, die im gewaltfreien Raum unvorstellbar wäre.

Baberowski verbindet seine Aussagen mit einer Apologie seines Vaters

Zwar hat diese These eine gewisse Plausibilität. Dennoch: Baberowski verbindet seine Aussagen immer wieder mit einer Apologie des eigenen Vaters, der als Wehrmachtssoldat im Zweiten Weltkrieg kämpfte. So macht er sich im Interview mit der „FAZ“ das Argument dieses Vaters zu eigen, er habe nicht „aus dem fahrenden Panzer“ aussteigen können, um „Friedensdemonstrationen zu organisieren“. Überhaupt habe sich der Vater zeitlebens als Opfer eines Krieges gefühlt, den er schlicht nicht gewollt habe. Letztlich wird die individuelle Verantwortung bestritten, der deutsche Täter zum Opfer der Umstände erklärt. Der Subtext ist deutlich: Die Väter waren keine Nazis, der Gewaltraum hat ihre Köpfe vernebelt und ihnen den Weg ihres grausamen Handelns gewiesen.

Es ist sicher übertrieben, Baberowski als rechtsradikal zu bezeichnen. Gleichwohl haben die migrationsskeptischen und pressekritischen Sätze, die er in seiner Rolle als wütender Bürger formuliert, eine rechtspopulistische Schlagseite. Im Umfeld seines historischen Werks hat er – so verdienstvoll es im Einzelnen sein mag – Thesen geäußert, die einer Relativierung deutscher Schuld zumindest Vorschub leisten.

Dabei steht es Baberowski selbstredend frei, sich in der von ihm bevorzugten Weise zu äußern. Denn anders als er selbst und das ihn verteidigende HU-Präsidium meinen, bewirken Einwände gegen seine Thesen keinen Kurzschluss der Debatte – sie setzen diese überhaupt erst in Gang. Zum Glück leben wir ja in einem Land, in dem nicht nur das Recht auf Asyl, sondern auch das auf freie Meinungsäußerung grundgesetzlich gesichert ist.

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