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Zauberschüler Harry Potter: Die Forschergruppe „Cinepoetics“ untersucht unter anderem, wie Magie im Film ausgedrückt wird.

© picture-alliance / Mary Evans Picture Library

Forschung zu audiovisuellen Medien: Im Geflecht der Bilder und Töne

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert ein Grundlagenprojekt zur Analyse audiovisueller Medien.

Harry Potter rennt. Er ist in das Zauberministerium eingedrungen und hat ein Medaillon geklaut. Der böse Zauberer Yaxley verfolgt ihn eilenden Schrittes und mit wütendem Gesicht. Er feuert Zauber auf den Jungen ab, die wie Blitze einschlagen, ihr Ziel aber verfehlen. Es kracht, wenn die Lichtkegel die Wände treffen und explodieren. Dramatische Musik untermalt die Szene. Potter flieht in einen Fahrstuhl, wieder blitzt es, eine graue Wolkenwand. Der Ton wird gefressen, verstummt. Schnitt. Verschwommen wiegen sich die Blätter im Wind, das Bild wird scharf. Eine Baumkrone.

Wer Harry Potter und die Heiligtümer des Todes schon einmal gesehen hat, kennt die Szene, in der die Helden des Films disapparieren – sich also auf magische Weise von einem Ort zum anderen bewegen. Der Filmwissenschaftler Michael Wedel von der Filmuniversität Babelsberg hat diese und andere Szenen der Harry-Potter-Reihe untersucht: „Uns interessierte, wie Magie filmisch ausgedrückt und so sinnlich erfahrbar gemacht wurde.“ Wie verhält sich die beschriebene Szene zu anderen magischen Vorgängen im Film? Wie ist das Verhältnis von Bild, Ton und emotionaler Führung des Zuschauers? Was erkennt der Zuschauer wieder, was ist neu?

„Wer sich genauer mit der Umsetzung von Magie in diesen Filmen beschäftigt, wird feststellen, dass die Welt des Harry Potter sehr fluide ist. Die Effekte werden nach und nach eingeführt, Rhythmus, Resonanz und Bilder der einzelnen Zauber fügen sich zu einem ästhetischen Gebilde, das der Zuschauer in immer neuen Variationen wiederentdeckt“, sagt Professor Michael Wedel.

Gemeinsam mit Professor Hermann Kappelhoff vom Seminar für Filmwissenschaft am Institut für Theaterwissenschaft der Freien Universität ist Michael Wedel Sprecher der Kolleg-Forschergruppe „Cinepoetics“, die seit Oktober von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wird. Die Gruppe erforscht Poetologien audiovisueller Bilder: Es soll untersucht werden, wie filmische Bilder mit anderen filmischen Bildern interagieren, wie sie aus anderen Bildern entstehen und immer neue filmische Bilder hervorbringen. Das Ziel ihrer Arbeit ist ambitioniert: „Audiovisuelle Medien werden zwar in vielen geistes- und sozialwissenschaftlichen Untersuchungen rezipiert. Aber es gibt noch keine einheitliche Methode. Wir wollen einen neuen Standard entwickeln, mit dem Historiker und Theaterwissenschaftler, Politologen und Kunsthistoriker audiovisuelle Quellen umfassend beschreiben und auswerten können“, sagt Hermann Kappelhoff.

Jede Sequenz wird in in viele Einheiten zerlegt

Die Wissenschaftler bedienen sich dabei einer von ihnen entwickelten, neuen Form der Filmanalyse: Jede Sequenz wird in sogenannte Ausdrucksbewegungs-Einheiten zerlegt und dann beschrieben: Wie sind die formalen Strukturen von Dauer, Ton und Bild? Wie verändert sich die emotionale Wirkung? Welche Metaphern und Topoi werden verwendet? Wie werden Übergänge geschaffen von einer Szene zur anderen? Auf diese Weise lassen sich gleichermaßen Videoclips und Blockbuster, Arthouse-Filme und Computerspiele beschreiben und auswerten.

In den kommenden sieben Jahren soll diese Methode in Workshops und Tagungen diskutiert, weiterentwickelt und verbreitet werden. Kolleg-Forschergruppen sind ein neues Förderformat der DFG für die Geisteswissenschaften: Als „besondere Orte der geisteswissenschaftlichen Forschung“, sollen sie Freiräume für Wissenschaftler schaffen. Renommierte Gastwissenschaftler aus aller Welt werden Impulse in die Arbeit einbringen. Jeder der Kolleg-Forscher kann zudem eigene Akzente setzen.

Hermann Kappelhoff etwa treibt insbesondere die Frage um, wie neue Technologien nicht nur unsere Wahrnehmung von Wirklichkeit verändern, sondern auch die Darstellungsformen in Filmen. Beispiel Irak-Krieg: Als US-Präsident George Herbert Walker Bush im Januar 1991 die ersten Luftschläge auf irakische Stellungen in Kuwait fliegen lässt, soll der Welt ein chirurgisch und klinisch sauberer Krieg vorgeführt werden. In den Sondersendungen auf CNN und NBC, aber auch in ARD und ZDF sieht man die grauen, statischen Bilder der Nachtsichtkameras amerikanischer Bomber. In der Bildmitte markiert ein Fadenkreuz das Ziel, weiße Lichtblitze lassen die Detonationen der Bomben nur erahnen. Von Fehlschlägen, Blut und Tod sieht die Weltöffentlichkeit zunächst nichts.

Durch den Siegeszug des Smartphones verändert sich unser Bild vom Krieg

„Diese Darstellung des Krieges war prägend für viele militärische Konflikte nach dem Ende des Kalten Krieges“, sagt Filmwissenschaftler Kappelhoff. „Die Darstellungsform hielt Einzug in Computerspiele, wurde künstlerisch in Filmen und Videoinstallationen verarbeitet. Wer heute an Bombenangriffe der westlichen Militärs denkt, denkt zuerst an die Aufklärungsbilder der Bomber, nicht an die Szenen, die sich am Boden abspielen.“

Durch den Siegeszug des Smartphones verändert sich unser Bild vom Krieg weiter: Auf dem Video-Portal Youtube sind inzwischen solche Filme zu finden: verwackelte Bilder eines grauen Himmels, den ein Flugkörper kreuzt. Die Clipbeschreibung verrät: russische Drohne über Aleppo. Wir sehen Häuserruinen, etwas fliegt durch die Luft. Handgranaten? Kämpfer mit violettem Stirnband haben die Gewehre angelegt und schießen in Richtung einer Mauer. Wer sind sie? Für wen kämpfen sie?

Dass solche Aufnahmen auf den Zuschauer echt wirken, auch wenn sie nachgestellt sein können, liegt daran, dass diese Form inzwischen unser eigenes Erleben prägt. Mit dem Smartphone filmen wir die Geburtstagsfeier unserer Tante und die Hotelanlage auf Teneriffa. Deshalb hat diese Aufnahmetechnik auch Einfluss auf unser ästhetisches Empfinden und verändert den Film. Was früher als unprofessionelle oder verwackelte Aufnahme herausgeschnitten worden wäre, wird heute als Stilmittel bewusst eingesetzt. „Als bekannt wurde, dass viele jugendliche Schläger ihre Straftaten mit Handys filmen und wie eine Trophäe im Internet verbreiten, hielten solche Bilder auch Einzug in die Filmwelt.“

Heute gebe es kaum noch einen Tatort, der sich nicht dieser Mittel bediene: Da werde ein Täter auf einem Handyvideo überführt oder eine Überwachungskamera liefert den entscheidenden Hinweis, sagt Filmwissenschaftler Hermann Kappelhoff: „Handybilder und Aufnahmen von Überwachungskameras suggerieren Authentizität. Doch in Wahrheit sind auch das nur Bilder und bestenfalls ein Ausschnitt der Wirklichkeit.“

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