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Lebendige Wissenschaft. Mit Buch und DVD öffnet Zischler auch ansonsten verschlossene Sammlungen des Naturkundemuseums. Da ahmt etwa ein Ornithologe beim gemeinsamen Gang durch den Vogelsaal den Gesang der ausgestopften Tiere nach.
© Thilo Rückeis

Museen: In der Fliegenfalle

Der Hobbyforscher Hanns Zischler hat fünf Jahre lang Streifzüge durch die verborgenen Innenwelten des Berliner Naturkundemuseums unternommen. Nun bringt er in seinem Buch „Vorstoß ins Innere“ alle dunklen Geheimnisse ans Tageslicht.

Es gibt kaum ein geheimnisvolleres Museum in Berlin als das Naturkundemuseum. Nicht nur, weil die Wunder der Natur, die es in überwältigender Fülle zeigt, Rätsel genug enthalten, von deren Lösung der Mensch auch heute nur träumen kann. Sondern auch, weil das Haus an der Invalidenstraße, das im vergangenen Jahr sein 200. Jubiläum feierte, selbst an jeder Ecke Geheimnisse birgt.

Für diese Geheimnisse hat sich nun ein besonderer Hobbyforscher begeistert: Hanns Zischler, der Berliner Schauspieler, Autor, Verleger und findige Erkunder der Seitenwege der Kulturgeschichte, hat fünf Jahre lang Streifzüge durch die verborgenen Innenwelten des Naturkundemuseums unternommen. Entstanden ist dabei ein höchst anregendes, lehrreiches Wissenschaftsbuch, das den neugierigen Blick des Laien mit dem vielfältig verzweigten Wissen der Fachleute vereint. Heute wird es im Naturkundemuseum vorgestellt.

Am Anfang stand ein Frustrationserlebnis. Hat der Besucher den prächtigen Lichthof mit seinen Saurierskeletten durchschritten, steht er in den monumentalen Treppenhäusern vor Absperrungskordeln: Der Weg ins Obergeschoss ist verwehrt. Oder wenn er doch gestattet ist, endet er oben vor verschlossenen Türen, hinter denen man fleißige Wissenschaftler forschen sieht. Das Berliner Naturkundemuseum ist seit seiner Gründung zweigeteilt: Im Erdgeschoss die Schausammlung für den interessierten Besucher. In den Obergeschossen die Depots, die der wissenschaftlichen Forschung dienen. Die Käfersammlung mit ihren sechs Millionen Exemplaren, die ausgestopften Vögel und Meerestiere, hier lagern sie zum Teil noch in den Regalen und Kartons der Erbauungszeit. Wissenschaftsgeschichte lässt sich hier ebenso gut studieren wie Naturgeschichte. Nur das Schaudepot des 2010 wiedereröffneten Ostflügels vermittelt auch dem normalen Besucher einen Einblick in die Fülle des Archivs.

Diese Zweiklassen-Hierarchie war schon zur Erbauungszeit umstritten: Die prächtigen Treppenhäuser künden davon, dass das ganze Haus ursprünglich für Besucher geöffnet sein sollte – erst kurz vor der Eröffnung schwenkte die Museumsleitung um. Doch auch der ehemalige Generaldirektor Reinhold Leinfelder plante, Teile der verschlossenen Räume als Schaudepots zugänglich zu machen. Bis dahin darf man sich getrost Hanns Zischler und seinen Mitarbeitern als Cicerone anvertrauen. Sie haben, in einer DVD-Rom, die sie dem Buch im Schuber beilegen, Streifzüge durch das Museum ermöglicht und verschlossene Türen geöffnet. Da steht man mit einem Ornithologen im Vogelsaal, und er ahmt den Gesang der ausgestopften Tiere nach. Oder man streift durch die Weltkriegs-Ruine des Ostflügels, die vom Architekturbüro Diener & Diener gerade erst wiederaufgebaut wurde. Der Fuß eines 1838 in Potsdam mit Blausäure vergifteten Elefanten, ein in Alkohol eingelegter Lurch aus der Sammlung der Nasspräparate, ein Ou-Vogel aus Hawaii oder gläserne Modelle von Tiefseeorganismen schweben als Sonderthemen im virtuellen Museumsraum – man kann sie sich sozusagen selbst aus dem Regal holen.

Multitalent: Hanns Zischler ist Schauspieler, Autor, Verleger
Multitalent: Hanns Zischler ist Schauspieler, Autor, Verleger
© ddp

Dass Forscher, besonders der „fremde Stamm der Zoologen“, wie ihn Hanns Zischler nennt, immer auch Fantasten und schräge Vögel waren, belegen Gespräche mit den Museumsmitarbeitern ebenso schön wie die Biografien ihrer Vorgänger. Da philosophiert der Meeresbiologe Charles Olivier Coleman in einem Essay über den Tod im Glas und den moralischen Aspekt des Präparierens, Frank Koch, Kustos der Hautflügler-Abteilung, feiert die Fliegenfalle als epochale Erfindung, der Kunsthistoriker Ulrich Moritz begeistert sich für den ästhetischen Eigenwert von naturhistorischen Zeichnungen seit Albrecht Dürer und Eva Dolezel erklärt den minutiös aufgebauten Insektenschrank von Günther Enderlein. Kuriositäten wie die seit dem Mittelalter den Enten-Vögeln zugeordnete Krebsform der „Entenmuschel“ werden ebenso gefeiert wie das berühmte „Theatrum Naturae“ des Zeichners Lazarus Röting, eine Sammlung von 675 zusammengehefteten Originalblättern, die lange Zeit im Archiv verborgen war und nun in der Sonderausstellung zum 200. Jubiläum zumindest in digitaler Form zugänglich gemacht wird. Und die Künstlerin Silke Krüger lässt sich von Insektenpräparaten zu großformatigen Fotografien inspirieren.

Ein Gang durch ein Kuriositätenkabinett, ähnlich der fürstlichen Kunstkammer, mit der alles seinen Anfang nahm, getrieben vom naiven Staunen ob der Vielfältigkeit der Schöpfung? Wenn man das Universum an Erkenntnissen samt der unzähligen schwarzen Löcher des Nichtwissens besieht, mag es so scheinen. Selbst Fachleute wie der Evolutionsforscher Michael Ohl geben im Gespräch zu bedenken: „Es ist zwar ganz schön zu wissen, es gibt sagen wir 30 Grabwespenarten in dem Gebiet XY in Südamerika, aber das ist als politisches Programm nur schwer vom Briefmarkensammeln zu trennen.“ Dennoch beteuern die Wissenschaftler gerade den zeitgenössischen Nutzen gerade der Taxonomie, also der Artenklassifikation, zum Beispiel für medizinische und biosystematische Grundlagenforschung.

Die Frage nach dem „geheimen Sinn der teilweise überwältigenden Naturschönheit“ allerdings, die Hanns Zischler umtreibt, beantwortet dieser mit dem Schriftsteller und Schmetterlingssammler Vladimir Nabokov am Ende ausgesprochen lakonisch: „Because there is no reason.“

Vorstoß ins Innere, hrsg. von Hanns Zischler und Andreas Kratky, Alpheus Verlag, Berlin 2010, Buch, Leporello und DVD-Rom im Karton, 98 Euro. Das Buch wird am heutigen Freitag (25.2.) um 19.30 Uhr im Naturkundemuseum, Invalidenstraße 43, Berlin-Mitte, vorgestellt.

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