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Bunt wird es in der Tiefsee nur im Scheinwerferlicht.

© Schmidt Ocean Institute

Klimawandel in den Meeren: Erwärmung verändert Lebensräume in der Tiefsee

Der Großteil der globalen Erwärmung findet im Meer statt. Den Unter-Wasser-Ökosystemen stehen große Veränderungen bevor.

Die Tiefsee ist kein Tummelplatz für skurrile Kreaturen. Leuchtende Rippenquallen, Fische mit Riesengebiss und hungrige Riesenkalmare − wer gerne Tierfilme schaut, hat die eindrücklichen Bilder vor Augen. Dabei erscheint das Meer schon wenige Meter unter der Oberfläche nicht mehr bunt und ab etwa sechzig Metern ist es kalt, dunkel und eintönig.

Diese Eigenschaft, Lebensbedingungen, die sich über Tausende Kubikkilometer Wasser kaum ändern, könnte Bewohnern dieses Lebensraums zum Verhängnis werden. Denn der Klimawandel ist in der Tiefe angekommen und könnte dort schneller voranschreiten als an der Oberfläche.

Wissenschaftler messen dies mit der Klimageschwindigkeit, in Grad Celsius pro Jahrzehnt. Das ist die Geschwindigkeit, mit der sich gleichbleibende Klimabedingungen geographisch verschieben, wenn sich zum Beispiel Gebiete mit kühlen Wassertemperaturen in die Tiefe oder in größere Nähe zu den Polen verlagern.

Für viele Meeresbewohner verschiebt sich damit auch die Grenze ihres Lebensraumes. Zwar können sie sich freier bewegen als Landbewohner, aber auch ihren Wanderungen sind Grenzen gesetzt: Küstenlinien zum Beispiel. Viele Arten sind sesshaft und können ohnehin nur langsam oder passiv mit vorherrschenden Strömungen wandern.

Rasche Veränderungen unter der Oberfläche

Wie ein internationales Forscherteam um Isaac Brito-Morales von der University of Queensland im Journal „Nature Climate Change“ berichtet, war bereits im Untersuchungszeitraum von 1955 bis 2005 die Klimageschwindigkeit in der Tiefsee höher als an der Oberfläche: rund 25 Kilometer pro Jahrzehnt in Tiefen zwischen 1000 und 4000 Metern gegenüber 12 Kilometern pro Jahrzehnt an der Oberfläche.

Die Modellberechnungen zeigen, dass bei starker Verminderung des Treibhausgasausstoßes die Klimageschwindigkeit an der Oberfläche bis zum Ende des Jahrhunderts um die Hälfte abnehmen, in tieferen Schichten jedoch um ein Vielfaches ansteigen könnte: in Tiefen von 200 bis 1000 Meter von sechs auf rund 50 Kilometer pro Jahrzehnt. Bei unvermindertem Ausstoß könnten es bis zum Ende des Jahrhunderts 135 Kilometer pro Jahrzehnt sein.

Temperaturwerte mit biologischer Bedeutung

„Es ist ein neuer Ansatz, die Veränderungen der Klimageschwindigkeiten in der Tiefe zu betrachten“, sagt Elvira Poloczanska, Klimaökologin am Alfred-Wegener-Institut in Bremen. Es gebe bislang relativ wenige Langzeit-Beobachtungsdaten zur Entwicklung der Biodiversität in größeren Tiefen, aber Klimageschwindigkeiten verliehen Temperaturwerten biologische Bedeutung. „Sie sind ein guter Anhaltspunkt, um Bewegungen von Arten abzusehen“, sagt Poloczanska.

Erwärmung lässt Arten in Richtung neuer Lebensräume mit ihren bevorzugten, kühleren Lebensbedingungen wandern. An Land können sie sich in größere Höhenlagen begeben, oder ihre Lebensräume polwärts verlagern. Die Richtung „polwärts“ können auch Meeresbewohner einschlagen.

[Lesen Sie auch unseren Bericht über das gegenwärtige Artensterben: Das Verschwinden der Arten ist die Krise des Jahrhunderts]

Eine neue französisch-amerikanische Studie zeigt, dass Meeresbewohner dem Klima besser folgen können als Landlebewesen. Ein Team um Jonathan Lenoir und Romain Bertrand vom französischen Forschungszentrum CNRS hat in einer globalen Geodatenbank die Lebensraumverschiebungen von rund 12.000 Pflanzen- und Tierarten erfasst.

Es gebe zwar ein räumliches Ungleichgewicht zugunsten der besser untersuchten Arten der Nordhalbkugel und eher unscheinbare Arten seien unterrepräsentiert. Die Daten zeigten aber, dass sich marine Arten auf der Suche nach der bevorzugten Temperatur sechsmal schneller zum Pol hinbewegen als terrestrische Arten, berichten die Wissenschaftler in „Nature Ecology & Evolution“.

Der lange Weg aus der Wüste

Landbewohnern stellen sich dabei oft unüberwindbare Hindernisse in den Weg: vom Menschen veränderte Landschaften, Gebirge, Wüsten oder eben das Meer. „Unsere Ergebnisse stellen infrage, ob sich Landbewohner an den erwarteten Klimawandel des 21. Jahrhunderts anpassen können“, werden die Forscher in einer Mitteilung des CNRS zitiert.

Zunehmende Klimageschwindigkeit könnte auch die Anpassungsfähigkeit von Meereslebewesen überfordern. Die Entfernungen zu geeigneten Habitaten mit den richtigen Temperaturen wachsen immer schneller an. „Denken Sie an eine Wüste“, sagt Elvira Poloczanska. „Wenn man in der Mitte ist, muss man einen weiten Weg zurücklegen, bis man herausfindet.“

Mit den Veränderungen durch den Klimawandel Schritt zu halten, könnte für Tiefseebewohner schwierig werden. Die aktuellen Studien können einen Beitrag dazu leisten, Meeresschutzgebiete auszuweisen, die auch bei fortschreitender Erwärmung geeignete Habitate bieten: kalt, dunkel und eintönig.

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