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Karl Lauterbach (SPD) erntet für den Gesetzentwurf zur Triage Kritik.

© Annette Riedl/dpa

„Fällt zunehmend schwer, den Minister ernst zu nehmen“: Lauterbach kassiert umstrittenen Triage-Entwurf wieder ein

Nach einem Kritiksturm zieht der Minister einen Gesetzentwurf zur Triage zurück. Und verkündet plötzlich das Gegenteil von dem, was sein Vorschlag beinhaltete.

Rolle rückwärts bei der Triage: Nachdem er erst einen 24-seitigen Entwurf seines Ministeriums zur gesetzlichen Regelung der Triage in pandemiebedingten Notsituationen kurz vor dem Wochenende in die Ressortabstimmung gegeben hatte, kassierte der Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sein eigenes Papier am Montag überraschend selbst wieder ein.

Und verkündete sodann das inhaltlich exakte Gegenteil dessen, was das BMG als Formulierungshilfe für die Ampelfraktionen ursprünglich vorgeschlagen hatte: Die Ex-Post-Triage soll in Deutschland nun doch nicht erlaubt werden.

„Ex-Post-Triage ist ethisch nicht vertretbar und weder Ärzten, Patienten noch Angehörigen zuzumuten“, schrieb Lauterbach zur Begründung in einer Mitteilung an die Presse. „Deshalb werden wir es auch nicht erlauben.“

Ex-Post-Triage bedeutet, dass eine bereits begonnene intensivmedizinische Behandlung eines Patienten mit geringer Überlebenswahrscheinlichkeit abgebrochen wird, um einen Patienten mit besserer Prognose zu retten, wenn die medizinischen Ressourcen nicht für alle reichen. Das Verfahren ist medizinethisch hoch umstritten und wird von der Mehrheit der Strafrechtler in Deutschland als Totschlag gewertet.

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In dem ursprünglichen Entwurf, der vor vier Tagen an die anderen Ministerien zur Abstimmung gegangen war, hatte es dagegen explizit geheißen, dass die Ex-Post-Triage für bestimmte Notsituationen gesetzlich erlaubt werden solle.

Entgegen seiner eigenen Überzeugung hatte Lauterbach diesen Passus damals offenbar auf Druck des Bundesjustizministers Marco Buschmann (FDP) in den Entwurf aufgenommen, der andernfalls eine Regelungslücke befürchtet hatte.

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Dies hatte über das Wochenende einen orkanartigen Proteststurm bei Behindertenverbänden und Medizinrechtlern, aber auch bei dem grünen Koalitionspartner und Ärzten ausgelöst. Die Grünen hatten klar gestellt, dass sie Lauterbachs Entwurf in dieser Form nicht mittragen würden.

Entwurf sei „unausgegoren“ gewesen

Die bizarre Kehrtwende Lauterbachs sorgt nun im (gesundheits-)politischen Berlin für massives Kopfschütteln und erhebliche Zweifel an seiner politischen Handlungsfähigkeit und Ernsthaftigkeit.

Insbesondere der Umstand, dass sich der Gesundheitsminister angeblich erst nicht gegen den Justizminister hatte durchsetzen können oder wollen, um sich dann ein paar Tage später eines Besseren zu besinnen und so für maximale Verwirrung auch innerhalb der Ampelkoalition zu sorgen, wurde mit Unmut quittiert: „Dass der Vorschlag zur ex-post-Triage gerade einmal ein Wochenende überlebt hat, zeigt, wie unausgegoren der gesamte Entwurf ist“, sagte die Grünen-Bundestagsabgeordnete Corinna Rüffer, die Berichterstatterin für Behindertenpolitik ihrer Fraktion ist, zu Tagesspiegel Background. „Das ist schlicht fahrlässig, angesichts der Fragestellung, um die es hier geht.“

Doch auch ohne Ex-Post-Triage-Regelung sei der Entwurf „hochproblematisch, weil er den Schutz behinderter Menschen nicht sicher gewährleistet, und das bisherige Verfahren formal zweifelhaft ist“, erklärte Rüffer. „Wir brauchen dringend ein ordentliches Beteiligungs- und umfassendes Beratungsverfahren, um den Entwurf auf eine solide Grundlage zu stellen.“

Lauterbachs Aussagen bleiben schwammig

Doch danach sieht es weiterhin nicht aus. Lauterbach lässt die Öffentlichkeit auch gestern weiterhin im Unklaren darüber, was genau er denn nun wann vorschlagen wolle, um dem gesetzgeberischen Auftrag des Bundesverfassungsgerichts aus dem Dezember nachzukommen, behinderte Menschen im Fall einer pandemiebedingten Triage vor Diskriminierung zu schützen.

Schwammig teilte er lediglich mit: „Selbst die Triage im Vorfeld einer Behandlung sollte nur unter hohen Auflagen möglich sein.“ Einen „entsprechenden Gesetzentwurf legen wir in Kürze vor“, versprach er, ohne zu präzisieren, was er mit „in Kürze“ meinte. „Aufgrund des Verfassungsgerichturteils“ müsse der „Graubereich von medizinischen Entscheidungen in der Pandemie allerdings ausgeleuchtet“ werden.

Der Hamburger Rechtsanwalt Oliver Tolmein, der die Verfassungsbeschwerde mehrerer Menschen mit Behinderungen vor dem Bundesverfassungsgericht vertreten hatte, zeigt sich konsterniert über den laxen Umgang mit den Interessen und dem Schutz einer hochvulnerablen Patientengruppe: „Es fällt zunehmend schwer, den Minister ernst zu nehmen. Entweder ändert er seine Meinung etwas rasch und vergisst sofort, was er vorher vertreten hat - oder er weiß nicht, was in Gesetzentwürfen steht, die sein Haus verlassen“, sagte er zu Tagesspiegel Background.

Heike Haarhoff

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