
© Egor Kitov, Samara Valley Project
Geschichte in den Zahnstein geschrieben: Milch machte eurasische Migration möglich
In der Bronzezeit durchwanderten Menschen die eurasische Steppe. Ihre Bewegungen – und ihre Zähne – lassen Rückschlüsse auf die Domestizierung des Pferdes zu.
Stand:
Sie gehörten zu den ersten Hirtengruppen der eurasischen Steppe: Die Jamnaja erschlossen sich bereits in der Bronzezeitvor mehr als 5000 Jahren neues Weideland im Westteil der Eurasischen Steppe.
Solche Migrationsbewegungen führten zu einem Genfluss über weite Strecken, der heute Bevölkerungen in Skandinavien mit Gruppen in Sibirien verbindet. Bislang blieb jedoch unklar, wie es den mobilen Tierhaltern in der Bronzezeit gelang, solche enormen Distanzen zurückzulegen.
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Kühe, Schafe, Ziegen und Pferde
Die Ausbreitung der halbnomadischen Jamnaja, gilt als eine der größten und folgenreichsten Migrationen nach Europa. Das Zentrum der Jamnaja-Kultur lag in der pontischen Steppe, im Westen der Eurasischen Steppe. Vor ungefähr 5000 Jahren begannen die Viehhirten sich allmählich über weite Teile des Kontinents auszubreiten. Sie veränderten ihn innerhalb weniger Jahrhunderte sowohl genetisch als auch sprachlich nachhaltig.
Eine neue Studie, angeführt von Forschenden des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte in Jena, liefert nun einen entscheidenden Hinweis darauf, wie die Wanderung möglich wurde. Die Migrationsströme fallen mit einem Wandel in der Ernährungsweise zusammen: dem Konsum von Tiermilch.

© Shevan Wilkin
Die Forschenden nutzten für ihre Studie Zahnstein von den Zähnen 56 erhaltener Skelette. Der verkalkte Zahnbelag bildet sich, wenn sich Mineralien aus dem Speichel einlagern und das Material erhärten lassen. Die ältesten Proben stammten aus einer Zeit von etwa 4600 vor Christus, die jüngsten datierten auf 1700 vor Christus. Die Wissenschaftler:innen entnahmen Proben und untersuchten die darin noch erhaltenen Proteine. Wie sie in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins „Nature“ berichten, konnten sie auf diese Weise feststellen, welche Individuen Milch tranken und welche nicht.
„Es bildete sich ein besonders starkes Muster ab“, sagt die Hauptautorin der Studie und Spezialistin für Paläoproteomik Shevan Wilkin. „90 Prozent der untersuchten Individuen vor der Bronzezeit, zeigten keine Anhaltspunkte für einen Milchkonsum.“ Dagegen waren 94 Prozent der Individuen aus der frühen Bronzezeit eindeutig Milchtrinker.
Die Forschenden analysierten daraufhin, welche Art von Milch die Hirten konsumierten. „Die Unterschiede zwischen den Milchpeptiden unterschiedlicher Arten sind zwar gering, jedoch entscheidend“, erklärt Wilkin. Peptide sind kleinere Eiweiße, die in unterschiedlichen Zusammensetzungen in der Milch verschiedener Säugetieren enthalten sind. „Sie ermöglichen es uns, zu rekonstruieren, von welcher Tierart die konsumierte Milch stammt.“ Während die meisten Milchpeptide von Kühen, Schafen und Ziegen stammten, konnten im Zahnstein von einigen Individuen sogar Spuren von Stutenmilch nachgewiesen werden.
Vom Fleisch- zum Milchlieferanten
„Die Domestizierung des Pferdes wird in der eurasischen Archäologie heftig diskutiert“, sagt Wilkin. Eine Region, von der vermutet wird, dass dort bereits früh Milch konsumiert wurde, ist das Gebiet um die 3500 Jahre alte Stätte Botai in Kasachstan. Die Forschenden untersuchten den Zahnstein von Individuen aus Botai, fanden jedoch keine eindeutigen Belege für den Milchkonsum. Dies stimmt mit der These überein, dass Przewalski-Pferde – eine frühe Form von Pferden, die nahe der Stätte ausgegraben wurden – nicht die Vorfahren des heutigen domestizierten Pferdes sind. Die Domestizierung von Pferden und damit auch der Konsum von Pferdemilch fand wahrscheinlich etwa 1500 Kilometer westlich in der Pontokaspis im Zentrum der westlichen eurasischen Steppe statt.

© Foto: A. Senokosov
„Nicht jeder wird von unseren Ergebnissen begeistert sein, doch sie zeigen ein klares Bild“, so Nicole Boivin, Hauptautorin der Studie und Direktorin der Abteilung für Archäologie am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte. „Wir beobachten einen Übergang zur Molkerei genau an dem Zeitpunkt, als die Pastoralisten begannen, sich nach Osten auszubreiten.“ Als Pastoralisten werden Völker bezeichnet, die ihre Haustiere auf natürlichem Grasland weiden lassen.
Sehr wahrscheinlich unterstützte das neue Haustier Pferd die Wanderung. „Die Bevölkerungen der Steppe nutzten die Tiere nicht mehr nur für den Fleischkonsum, sondern auch aufgrund weiterer Eigenschaften, darunter Milch oder auch als Transportmittel“, wird Boivin in einer Mitteilung der Max-Planck-Gesellschaft zitiert.
Welchen entscheidenden Vorteil die Milch den Pastoralisten verlieh, muss jedoch noch weiter untersucht werden. Aber es ist wahrscheinlich, dass die zusätzlichen Nährstoffe sowie der hohe Protein- und Flüssigkeitsgehalt von Milch in einer besonders trockenen Umgebung über das Überleben im rauen Klima der Steppe entschieden haben könnten. „Wir sehen hier eine Art kultureller Revolution“, sagt Wilkin. „Die Hirten der frühen Bronzezeit realisierten eindeutig, dass der Milchkonsum einige grundlegende Vorteile bot, und als sie dies erkannten, wurde die enorme Ausdehnung dieser Gruppen über die Steppe möglich.“ (mit dpa)
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