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Die Mesokosmen sind im Raunefjord verankert und reichen 20 Meter in die Tiefe.

© Ulf Riebesell/Geomar

Kohlendioxid versenken: Mit Gesteinsmehl gegen die Erderwärmung

Minerale sollen das Treibhausgas Kohlendioxid im Meerwasser binden. Das Potenzial des Verfahrens für negative Emissionen wird in Norwegen erforscht.

Noch immer ist der Ausstoß an Kohlendioxid (CO2) hoch. Allein aus der Energiegewinnung wurden 2021 weltweit 36,3 Milliarden Tonnen freigesetzt. Zu viel, um die Erderwärmung zu bremsen. Umso bedeutsamer sind Wege, um CO2 aus der Atmosphäre zu entfernen. Einer führt über die Meere: Das Wasser kann das Treibhausgas aufnehmen, es wird darin gelöst. Die Aufnahme wird gesteigert, wenn bestimmte Minerale im Meer gelöst werden und das chemische Milieu verändern.

Etwas Ähnliches geschieht an Land seit Urzeiten bei der Verwitterung von Gesteinen, jedoch sehr langsam. Forscherinnen und Forscher wollen die Kohlendioxid-Aufnahme des Meerwassers nun forcieren. Fraglich ist jedoch, wie effektiv die Verfahren sind und ob es Nachteile gibt.

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Große Versuchsgefäße und der globale Maßstab

Das sollen Versuche im Raunefjord, südlich von Bergen in Norwegen, zeigen, die bis Mitte Juli andauern. Die Wissenschaftler haben dort Mesokosmen ins Wasser gebracht: Große Plastikschläuche, die mit zwei Metern Durchmesser und 20 Metern Tiefe wie riesige Reagenzgläser im Fjord hängen.

In die Mesokosmen, gefüllt mit der natürlichen Lebensgemeinschaft des Raunefjords, wurden Heringslarven gegeben, um auch deren Entwicklung im Klimaexperiment zu verfolgen. Das Team gibt gelöschten Kalk, stellvertretend für kalziumbasierte Minerale, sowie Magnesium-Silikat, als Vertreter für siliziumhaltige Minerale, hinzu. „Wir werden mit unterschiedlichen Mengen arbeiten und beobachten, welche Veränderungen für den Lebensraum damit verbunden sind und wie effizient die Methode ist, um Kohlendioxid aufzunehmen“, sagt Forschungsleiter Ulf Riebesell vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel.

In Modellrechnungen wurde den Verfahren ein enormes globales Klimaschutzpotenzial bescheinigt, sagt der Wissenschaftler. Doch darin wurde mit einer flächendeckenden Anhebung des pH-Werts kalkuliert. „In der Realität werden die Minerale punktuell eingebracht, da muss man genau hinschauen.“ So könnte beispielsweise gemahlener Basalt oder Kalkstein das Wasser trüben oder rasch nach unten absinken – das oberflächennahe Wasser, welches entscheidend für die Kohlendioxid-Aufnahme aus der Luft ist, bliebe unverändert und der Effekt bliebe aus.

Selbst wenn man das Gesteinsmehl auflöste, was derzeit in Forschung und möglichen Industrieanwendungen favorisiert wird, könnte die Lösung zu schnell in der Tiefe verschwinden. Oder das Wasser könnte übersättigt werden. Dann fallen Karbonate aus und CO2 wird wieder frei. Auch die Wassertemperatur und der natürliche Karbonatgehalt beeinflussen stark, wie viel von dem Gas aufgenommen wird.

Ein Forschungstaucher arbeitet an einem der Mesokosmen im Raunefjord in Norwegen.
Ein Forschungstaucher arbeitet an einem der Mesokosmen im Raunefjord in Norwegen.

© Michael Sswat/Geomar

Die Schwierigkeiten liegen nicht allein bei der Biologie und Meerwasserchemie. Offen ist auch, woher die gewaltigen Mengen an Gestein kommen sollen. Zumindest von Deutschland, wo um jede Steinbrucherweiterung gekämpft wird, sind kaum Beiträge zu erwarten. Das ist in anderen Ländern anders, zumal auch Stoffe aus der Zementindustrie als potenzieller Säurepuffer betrachtet werden.

Ob die ins Wasser dürften, ist eine andere Frage. Die Versuche finden nicht ohne Grund in Norwegen statt. „In Deutschland darf man selbst zu Forschungszwecken nicht mal homöopathische Mengen ins Meerwasser bringen“, sagt Riebesell. Für die Anwendung mit großen Mengen an gemahlenem Gestein oder Beton müssten rechtliche Voraussetzungen geschaffen werden.

„Die Governance wird mindestens genauso viel Arbeit machen wie die wissenschaftlichen Grundlagen zu legen“, sagt der Forscher. Vieles gelte es noch zu klären: Neben den unmittelbaren Auswirkungen interessiert die Wissenschaftler, ob die CO2-Aufnahme wirklich langfristig ist und nicht durch weitere Prozesse rückgängig gemacht wird. „Offen ist auch, wie das Monitoring erfolgt“, sagt der Meeresforscher. Wie beispielsweise eine Firma, die für Ihre Leistung CO2-Credits bekommt, nachweisen kann, wirklich etwas beigetragen zu haben. „Die Änderungen der Alkalinität im Wasser nach dem Ausbringen sind sehr gering und dürften von der natürlichen Variabilität überdeckt werden.“

Geschäftsmodell „Negative Emissionen“

Mehrere Start-ups sind auf diesem Feld aktiv. Ebb Carbon beispielsweise möchte aus Meerwasser mittels Ökostrom Salzsäure für Industrieprozesse gewinnen und die verbleibende Natronlauge zwecks pH-Korrektur zurückleiten. Planetary Technologies will stattdessen Abwässer aus dem Bergbau aufbereiten und ins Meer einleiten, um die Säure zu puffern. SeaChange wiederum will CO2 aus dem Meer nutzen, um synthetischen Kalkstein und Magnesit für die Bauwirtschaft zu gewinnen. Diese drei Firmen haben laut „heise.de“ bereits Klimaausgleichsgutscheine an Internet-Unternehmen wie Shopify und Stripe verkauft.

Das zeigt, wie schnell sich hier ein neuer Markt entwickelt. „Ich habe Sorge, dass die akademische Forschung dieser Dynamik nicht gewachsen ist“, sagt Riebesell. Dass der Druck aus der Privatwirtschaft so groß sei, dass einzelne Verfahren in manchen Regionen bereits zugelassen werden, obwohl noch nicht klar ist, ob sie wirklich etwas bringen.

Die Sorge haben auch andere Fachleute. Im Dezember empfahl die Nationale Akademie der Wissenschaften in den USA, Forschungen zur ozeanbasierten CO2-Entnahme mit 125 Millionen Dollar zu fördern. „Wenn wir fundiert über die Zukunft unserer Ozeane und unseres Klimas entscheiden wollen“, sagt Scott Doney von Universität von Virginia zur Begründung, „müssen wir in den nächsten zehn Jahren einige sehr wichtige Forschungsarbeiten abschließen.“

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