
© Ina Seuffert
Mit Navi durchs trübe Wasser: Berliner Forscher entschlüsseln elektrischen Sinn der Messerfische
Jahrzehntelang glaubten Forscher, dass manche südamerikanische Fische elektrisch miteinander reden. Ein Berliner kommt nach Messungen an hunderten Tieren zu anderen Schlüssen.
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Laut den Eingeborenen Guyanas tragen diese Fische die Seelen der verstorbenen Ahnen: Jede Nacht steigen die braunen „Geister“ aus den Tiefen des Essequibo-Flusses auf. Unsichtbar und ähnlich geisterhaft ist die elektrische Aura, die die aalartigen Kreaturen umgibt. Dies scheint ihnen zur Kommunikation zu dienen – glaubte man bisher. Doch Livio Oboti hat eine andere Theorie dazu.
Der Forscher von der Berliner Humboldt-Universität ist überzeugt, dass das Tier, das im Englischen tatsächlich „Brown Ghost“ heißt und auf Deutsch den schlichten Namen „Brauner Messerfisch“ trägt, mit seinem Elektrosinn in erster Linie seine Umgebung erkundet. „Die Signale korrelieren mit der Schwimmaktivität und der wechselseitigen Position der Fische.“ Dies sei für ihn die einfachste und naheliegendste Erklärung, aber bisher nicht wirklich untersucht worden.
In seinen Versuchen, die er nun zusammen mit Kollegen im Fachblatt eLife präsentierte, konnte er die seit etwa 70 Jahren kolportierte soziale Funktion nicht nachvollziehen. Das würde bedeuten, dass die Tiere nicht miteinander reden, sondern mit ihrem Elektrosinn die Umgebung abscannen, inklusive der Fische darin: „Wenn Fische sozial interagieren, müssen sie sich auch gegenseitig lokalisieren“, gibt Oboti zu. Aber nur zu erkennen, wo genau sich ein anderer Fisch befindet, sei lediglich eine Voraussetzung für soziales Verhalten.
Ein elektrisches Summen
Anders als etwa dem Zitteraal dient dem schwach elektrischen Fisch seine Fähigkeit nicht zum Betäuben von Beute. „Die Messerfische kann man sich vorstellen wie eine Batterie, die ihre Polung 600-mal in der Sekunde umkehrt“, sagt Oboti. Permanent würden die Fische elektrisch vor sich hin brummen. Damit könnten sie Steine, Pflanzen oder andere Tiere in ihrer Nähe wahrnehmen.
Die Tiere mit dem wissenschaftlichen Namen Apteronotus leptorhynchus sind im gewöhnlichen Zoohandel erhältlich. Dort hat der Forscher auch seine über 200 „Geister“ erstanden. Wer seine Hand ins Becken hält, wird das elektrische Wechselfeld nicht spüren, dafür ist es zu schwach. Doch schon mit zwei Drähten im Wasser und einem Lautsprecher wird das Signal als eine Art Summ- oder Flötenton hörbar, was Bastler zur Konstruktion einer Fisch-Orgel inspirierte. Jeder Fisch hat eine individuelle Tonlage zwischen 600 und 1000 Hertz, die Männer summen dabei höher als die Weibchen.
Außerdem „Zwitschern“ die Fische, indem sie wiederholt für wenige Millisekunden ihre Basisfrequenz erhöhen. Im Fachjargon „Chirps“ genannt, wurden diese kurzen Signale bisher als Kommunikation gedeutet. „Es sieht so aus, als würden die Fische aufeinander reagieren, vor allem, wenn sie manchmal versuchen, Überschneidungen von Signalen zu vermeiden“, sagt Oboti. Statt einander zu antworten, verlagern sie ihre Chirps in solchen Fällen nur in einen anderen Rhythmus, um ihre Positionsmessungen ungestört weiterzuführen.
In der Nähe von Artgenossen und bei Kämpfen zwitschern die Messerfische besonders intensiv. Daher stammte wohl auch die frühe Vermutung, dass sie sich mit den Signalen beeindrucken oder einschüchtern wollten. Nur: Als Oboti und Kollegen zuvor bei Kämpfen aufgezeichnetes Gezwitscher abspielten, löste das bei den Fischen kein besonderes Verhalten wie Aggression aus. Auch anderes soziales Verhalten zwischen zwei Fischen – etwa bei der Balz – hatte keinen eindeutigen Bezug zu den elektrischen Signalen.
Navigation in der Dunkelheit
Folgt man Oboti, wollen sich die Messerfische in solchen Situationen einfach gegenseitig orten. Dafür spricht, dass die Art der Signale vor allem durch den Winkel bestimmt werden, in dem die Fische zueinander stehen. Diesen Zusammenhang konnte das Team aus Wissenschaftlern herstellen, indem sie elektrische Messungen und damit synchronisierte Hochgeschwindigkeitsvideos der Schwimmaktivität auswerteten.
In den heimischen Lebensräumen – trübe und dunkle Gewässer Südamerikas – wäre den stark gefährdeten Fischen ein siebter Sinn nützlich. Mit ihrer auf der Körperunterseite verlaufenden Flosse sind sie extrem manövrierfähig und gelangen damit zum Verstecken in die engsten Nischen und Winkel. Eine der Versuchsreihen zeigte tatsächlich, dass die Tiere auch ohne Artgenossen im Becken geschwätzig werden. Als Oboti sie etwa in ein dunkles Aquarium oder eines mit vielen Steinen und Pflanzen setzte, zwitscherten sie lebhafter. Alles Indizien, dass die Fische ihren Elektrosinn nutzen, um sich aktiv ein genaueres Bild ihrer Umgebung zu verschaffen.
Newcomer mischt die Szene auf
Oboti, der zuvor den Geruchssinn an Mäusen erforschte und noch recht neu ist im Feld der Fischwissenschaftler, eckte mit seiner These bei Kollegen an. Kein Wunder, schließlich bricht er mit jahrzehntealter Tradition. Noch immer seien nicht alle überzeugt, sagt er. Zwar lobten auch die Kollegen, die die Arbeit begutachteten, die Vielzahl der Experimente und die „einfach atemberaubende“ Menge an Daten.
Vom Tisch sei die These der Kommunikation jedoch nicht: „Die eigentliche Stärke dieser Studie besteht nicht darin, dass sie die Kommunikationshypothese schlüssig widerlegt, sondern dass sie diese Hypothese infrage stellt und gleichzeitig überzeugende Beweise für eine alternative Funktion liefert“, urteilt einer der Gutachter.
Dies sei erst mit dem heutigen Stand der Technik möglich gewesen, sagt Oboti. Noch vor wenigen Jahren gab es keine Messmethoden in dieser Präzision, und aus den mit beschränkten Mitteln gewonnen Daten seien die bestmöglichen Schlüsse gezogen worden. Jetzt sei es aber an der Zeit, die alten Experimente zu überdenken.
Bürokratie sei Dank
Dabei begann der Forscher die Arbeit am Thema ohne die Intention, längst etablierte Theorien umzuwerfen. Ursprünglich wollte er elektrische Ströme im Kopf der Fische untersuchen. Braune Messerfische sind vergleichsweise gut erforscht: Ihre Hirne altern nicht wie die von Menschen, was sie zu begehrten Untersuchungsobjekten für die Neurobiologie macht.
Bevor er mit den Versuchen am geöffneten Fisch anfangen konnte, musste er diese von den Behörden genehmigen lassen – was dann viel länger dauerte, als Oboti erwartet hatte. „In der Zwischenzeit wollte ich einfach besser verstehen, mit welchen Signalen ich Aktivitäten im Gehirn auszulösen würde“, sagt er und begann Messungen an den Aquarien. „Dann wurde mir klar, dass eigentlich nicht bekannt ist, was diese Signale wirklich bedeuten.“ Die kleine Revolution im Feld der elektrischen Fische ist also ausgerechnet der Berliner Bürokratie zu verdanken.
Ungewöhnlich sei diese Art der aktiven Ortung im Tierreich eigentlich nicht – auch Fledermäuse würden sich durch das Echo ihrer Rufe im Raum orientieren. Ganz ausschließen will er nicht, dass die seltsame Elektroaura der Messerfische auch zur Kommunikation dient. „Möglicherweise kommunizieren sie anderen Fischen ihre eigene Position“, sagt der Forscher. „Das halte ich für einen guten Kompromiss in der Debatte.“
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