
© KIT/Markus Breig
Monster-Neutrino im Mittelmeer: Rekord-Teilchen vor Sizilien entdeckt
Eine große Detektoranlage am Meeresboden vor Sizilien registriert ein extrem energiereiches Teilchen aus dem fernen Weltall – und zwar schon, ehe die Anlage fertiggestellt war.
Stand:
Am 13. Februar 2023 schoss ein Elementarteilchen mit gewaltiger Energie durch die Detektoranlage ARCA hindurch, die vor der Küste Siziliens auf dem Grund des Mittelmeers entsteht. Sensoren auf der gesamten Länge von ARCA registrierten das Teilchen in einer Tiefe von 3450 Metern und ermöglichten eine genaue Analyse des Ereignisses. Ursache sei, so berichtet das ARCA-Team jetzt im Fachblatt „Nature“, das bislang energiereichste Neutrino, das je aus den Tiefen des Weltalls auf der Erde empfangen wurde.
„Neutrinos zählen zu den geheimnisvollsten Elementarteilchen“, erläutert Rosa Coniglione vom Nationalen Institut für Kernphysik in Italien, eine leitende Forscherin des ARCA-Experiments. „Sie besitzen keine elektrische Ladung und fast keine Masse und reagieren nur sehr schwach mit normaler Materie.“ Das macht den Nachweis dieser Teilchen schwierig: Sie können den gesamten Erdball durchqueren, ohne eine einzige Reaktion auszulösen.
Blau leuchtende Myonen
Im Mittel treffen in jeder Sekunde zehn Milliarden Neutrinos auf jeden Quadratzentimeter der Erdoberfläche. Um wenigstens einige davon nachzuweisen, installieren Forscher in internationaler Zusammenarbeit große Detektoranlagen wie beispielsweise IceCube im antarktischen Eis oder eben ARCA im Mittelmeer.
Reagiert ein Neutrino mit einem Wassermolekül, so entstehen elektrisch geladene Teilchen – nämlich Myonen –, die mit nahezu Lichtgeschwindigkeit herum rasen und dabei blaues Licht aussenden. Diese sogenannte Tscherenkow-Strahlung registrieren die Detektoren in der Tiefsee mit zahlreichen Lichtverstärkern.
Insgesamt 128.340 solcher Lichtverstärker soll ARCA nach seiner Fertigstellung enthalten. Hinzu kommen noch einmal 64.170 Lichtverstärker in ORCA vor der französischen Mittelmeerküste, mit der ARCA dann zusammen das Kubikkilometer-Neutrino-Teleskop namens KM3NeT bildet.
Kollision mit Wassermolekül
Das am 13. Februar 2023 von ARCA empfangene Signal stammt von einem Myon mit einer Energie von 120 Peta-Elektronenvolt. Das Myon durchquerte die Detektoranlage nahezu waagerecht – es konnte also nicht oberhalb der Anlage durch kosmische Strahlung in der Erdatmosphäre entstanden sein. Die einzige mögliche Erklärung, so die Wissenschaftler: Das Myon ist durch den Zusammenstoß eines Neutrinos mit einem Wassermolekül in unmittelbarer Nähe des Detektors entstanden.
Dieses Neutrino muss dann noch energiereicher als das Myon gewesen sein: 220 Peta-Elektronenvolt, so haben Coniglione und ihre Kollegen ausgerechnet. Das ist mehr als das Zwanzigfache des bisherigen Rekords eines von IceCube nachgewiesenen Neutrinos.
Physiker messen die Energien von Elementarteilchen in Elektronenvolt, die Vorsilbe Peta bedeutet eine Eins mit 15 Nullen, also eine Million Mal eine Milliarde. Für ein Elementarteilchen ist das unglaublich viel – es ist fast so viel wie die Energie eines kleinen Hagelkorns, das mit 50 Kilometern pro Stunde auf den Erdboden aufschlägt.
Herkunft unbekannt
Woher das Monster-Neutrino stammt, können Coniglione und ihre Kollegen nicht sagen, denn dazu reicht die Genauigkeit der ARCA-Messung noch nicht aus. Zum Zeitpunkt der Messung war erst ein Zehntel der geplanten Detektoren in Betrieb. Wenn das KM3NeT erst vollständig fertiggestellt ist, so hoffen die Forscher, lässt sich auch der Ursprung der extrem energiereichen Neutrinos ermitteln.
Supermassereiche Schwarze Löcher, Sternexplosionen und Zusammenstöße von Neutronensternen kommen dafür infrage – oder auch bislang noch unbekannte Phänomene, so die Wissenschaftler. „Diese erste Entdeckung eines Neutrinos mit Hunderten von Peta-Elektronenvolt“, meint KM3NeT-Sprecher Paschal Coyle, „öffnet ein neues Kapitel der Neutrino-Astronomie und damit ein neues Beobachtungsfenster in das Universum.“ (dpa)
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: