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Wechsel an der Fraunhofer-Spitze: „Rücktritt war überfällig“
Nach gravierenden Regelverstößen tritt Fraunhofer-Präsident Reimund Neugebauer zurück. Künftig wird Holger Hanselka Europas größte anwendungsorientierte Forschungsorganisation führen – und kündigt einen Kulturwandel an.
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Die Liste war lang, die Vorwürfe schwerwiegend: Überteuerte Reisen, rechtswidrig abgerechnete Spesen, auch für die Ehefrau, ein Imagefilm auf Kosten der Steuerzahler für die Firma des Präsidenten: Die Fraunhofer-Gesellschaft hat in den vergangenen Monaten viel Reputation verloren.
Vom Bundesrechnungshof und Bundesforschungsministeriums konfrontiert, hatte es lange so ausgesehen, als könnte sich Präsident Reimund Neugebauer dennoch halten. Nun wurde der Druck offenbar zu groß: Die Fraunhofer-Gesellschaft gibt bekannt, dass Neugebauer bereits am heutigen Tag sein Amt niederlegt, „einvernehmlich“, wie es heißt.
An seine Stelle tritt Holger Hanselka als 11. Präsident der Gesellschaft. Der 1961 in Oldenburg geborene Maschinenbauingenieur leitet seit 2013 das Karlsruher Institut für Technologie (KIT).
„Der Rücktritt von Prof. Neugebauer war nach unzähligen gravierenden Regelverstößen überfällig“, sagt Kai (Grüne), Vorsitzender des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung des Bundestags. Für diesen unausweichlichen personellen Befreiungsschlag sei leider öffentlicher Druck notwendig gewesen. Zu einem Neustart gehöre jetzt auch eine Aufarbeitung der Strukturen, in denen der aktuelle Reputationsschaden bei Fraunhofer möglich waren. „Vom Bundesforschungsministerium erwarte ich, dass es Fraunhofer auf dem Weg zu einem adäquaten Umgang mit Steuermitteln eng begleitet und der Maßgabebeschluss des Haushaltsausschusses vollumfänglich umgesetzt wird.“
Der anstehende Wechsel, so kann man erfahren, wird von Fraunhofer-Mitarbeitern mit großer Erleichterung aufgenommen, Hanselkas guter Ruf lasse auf einen Neuanfang hoffen. Zu bedrückend war wohl die lange Verschleppung der Affäre gewesen.
Neugebauers autoritärer Führungsstil und sein Netzwerk von Vertrauten hatte wohl schon lange eher dem eigenen Machterhalt als der Verwirklichung ambitionierter Forschungsziele gedient und für viel Missmut in der Organisation gesorgt.

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Seit März ermittelt die Münchner Staatsanwaltschaft gegen Unbekannt im Zusammenhang mit der Affäre, wegen eines Verdachts auf strafbare Handlungen.
Fraunhofer-Senat reagiert nun doch
Die Entscheidung des vorzeitigen Wechsels traf der Senat der Fraunhofer-Gesellschaft unter der Führung von Hildegard Müller, die seit dem 1. Januar dieses Jahres Senatsvorsitzende ist. Über Monate hatte es so ausgesehen, als, könnte Neugebauer die Affäre einfach aussitzen und sich noch bis Ende September halten.
Und das, obwohl Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) die sofortige Ablösung der gesamten Fraunhofer-Chefetage gefordert hatte, ebenso mehrere Bundestagsabgeordnete, darunter der Vorsitzende des Forschungsausschusses, Kai Gehring (Grüne).
„Holger Hanselka ist für Fraunhofer die richtige Person zum richtigen Zeitpunkt im richtigen Amt“, so wird Müller in einer Pressemitteilung des Fraunhofer-Instituts zitiert. Hanselka, zuvor unter anderem Leiter des Fraunhofer-Instituts für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit in Darmstadt und von 2006 bis 2012 Präsidiumsmitglied der Fraunhofer-Gesellschaft führte das KIT in seiner Präsidentschaft in die Riege der Exzellenzuniversitäten zurück.
„Das Vertrauen des Senats der Fraunhofer-Gesellschaft ehrt und freut mich sehr“, wird Hanselka in einer ersten Stellungnahme zitiert. „Das Amt des Fraunhofer-Präsidenten ist eines der spannendsten und gleichzeitig herausforderndsten in der deutschen Wissenschaft.
Gemeinsam mit den 30.000 Mitarbeitenden werde ich mein Bestes geben, die Spitzenstellung, die Fraunhofer weltweit unter den führenden Forschungseinrichtungen innehat, auszubauen und das Profil von Fraunhofer zu stärken.“
„Modernes Leitbild“ für Fraunhofer erarbeiten
„Seine hohe wissenschaftliche Reputation, seine profunde Kenntnis der nationalen und internationalen Wissenschaftsorganisationen, seine jahrelange Erfahrung mit der Transformation und Weiterentwicklung wissenschaftlicher Einrichtungen sowie in der Führung von Institutionen zeichnen ihn aus“, sagte Müller. „Darauf aufbauend bin ich sicher, dass er mit Gespür, Tatkraft und großer Leidenschaft Fraunhofer in Zeiten des herausfordernden stetigen Wandels in eine erfolgreiche Zukunft führen wird.“
Hanselka nennt die weitere Internationalisierung der Fraunhofer-Gesellschaft und die Erarbeitung eines modernen Leitbildes als zentrale Aufgaben zu Beginn seiner Amtszeit: „Wir leben in einer Zeit massiver globaler Veränderungen und Herausforderungen. Da muss auch die Forschung bedarfsorientiert weltumspannender werden.“
Zur Affäre um Neugebauer sagte er im Wiarda-Blog. „Ich werde mich nicht zu meinem Vorgänger äußern. Das habe ich auch bislang nie getan“, sagte er. „Eines sage ich aber ganz deutlich: Fraunhofer braucht einen Kulturwandel. Hin zu einer modernen Corporate Governance, einer funktionierenden Compliance und Mitarbeitern, die in die Strukturen vertrauen.“
Wann genau er bei Fraunhofer starte, könne er noch nicht sagen. „So schnell wie möglich – ja. Aber das heißt, ich bleibe auch noch so lange am KIT, wie nötig, um dort einen guten Übergang zu gewährleisten.“ Auch könne und werde er „heute noch keine Strategie für die Zukunft von Fraunhofer formulieren. Ich habe mir vorgenommen, bis zu meinem Dienstantritt viele Gespräche zu führen, genau in die Gesellschaft hineinzuhorchen und den Menschen zuzuhören. Und dann zu sagen: Wo geht die Reise hin.“
Bis es soweit ist, wird die Fraunhofer-Gesellschaft interimistisch von Sandra Krey, Vorständin für Finanzen und Controlling geführt.
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