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Naturschützer von NABO zählen die Insekten auf dem Wildbienenlehrpfad im Regierungsviertel.

© Matthias Ubl

Auf dem Balkon, der Wiese oder am Wasser: Naturschutzbund ruft zur großen Insektenzählung auf

Beim "Insektensommer" nehmen Menschen sich Zeit, um die Artenvielfalt zu erkunden. Das hilft der Forschung und soll für das Insektensterben sensibilisieren.

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Es gibt zwei Arten von Gras im Berliner Regierungsviertel – sterilen Rasen und einen kleinen Streifen wilde Wiese. In letzterer stehen zwei Naturschützerinnen zwischen gelben und roten Blüten, sie beginnen zu zählen und zu notieren, was dort so fliegt, krabbelt und kriecht.
Es ist der Beginn des deutschlandweiten „Insektensommers“. Vom 6. Bis zum 15. August ruft der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) zur Erfassung der Insektenpopulationen auf. So viele Menschen wie möglich sollen sich in den nächsten Tagen eine Stunde Zeit nehmen und sich mit offenen Augen in eine Wiese, auf den Balkon oder ans Wasser setzen und einfach notieren, was sie dort so entdecken. Auf der Webseite oder in der App des Nabu sollen die Ergebnisse dann bis zum 22. August rückgemeldet werden.
„Die Teilnehmenden geben dabei den Ort mit an, an dem sie gezählt haben“, sagt Laura Breitkreuz, Referentin für Biodiversität und Insektenkunde des Nabu. „So bekommen wir ein Bild davon, welche Arten sich dort befinden und wie groß die Großgruppen sind, also wie viele Käfer oder Wespen es da gibt.“
Wenn man nicht genau weiß, was man vor sich hat ist könne man auf der Webseite naturgucker.de nachschauen. Dort kann man seine Region, die Art des Fundes und das entsprechende Gebiet eingeben eingeben und bekommt dann Fotos angezeigt – ein digitales Insektenlexikon.
Eine exakte Erfassung des Bestandes sei durch den Insektensommer natürlich nicht abschließend möglich, doch die Daten seien trotzdem nützlich, erklärt Breitkreuz. „Bei unseren letzten Zählungen konnten wir etwa beobachten, dass sich die blauschwarze Holzbiene in immer nördlicheren Regionen finden lässt.“

Artensterben schreitet drastisch voran

Um belastbare Ergebnisse zu erzielen, sei es außerdem wichtig, dass sich möglichst viele Menschen an den Insektenzählungen beteiligen. Bei der Zählung im vergangenen Jahr sind fast 10 000 Meldungen von 15 000 Beobachtenden eingegangen. In diesem Jahr haben allein bei der ersten Zählung im Juni haben bereits 9000 Menschen teilgenommen, wie Nabu auf seiner Webseite bekannt gibt.
Die Daten werden von Experten überprüft und anschließend in bestehende wissenschaftliche Datenbanken eingespeist. Durch das kontinuierliche Zählen der Tiere, das Forscherteams etwa auch mit sogenannten Malaise-Fallen betreiben, soll auf Dauer ein immer genaueres Bild der Insektenanzahl- und Vielfalt möglich werden.

Nabu Mitarbeiterinnen zählen Insekten.
Nabu Mitarbeiterinnen zählen Insekten.

© Matthias Ubl

„Alle Informationen die wir jetzt sammeln, könnten für spätere Forschungsprojekte große Wichtigkeit haben und neue Erkenntnisse fördern“ sagt Breitkreuz. Sie selbst hat über Grabwespen und Florfliegen promoviert. Doch hinter dem „Insektensommer“ steht nicht nur ein Erkenntnisinteresse. Der Nabu hat auch ein klares aktivistisches Anliegen, denn das Artensterben schreitet auch bei den Insekten drastisch voran.
Zu erschreckenden Ergebnissen kam etwa eine Langzeitstudie von 2017, die über dreißig Jahre Insektenbestände in deutschen Naturschutzgebieten untersucht hat. Bei den Erhebungen ist ein Rückgang von 76 Prozent der Fluginsekten-Biomasse festgestellt worden. 42 Prozent der Insektenarten sind bestandsgefährdet, extrem selten oder bereits ausgestorben. Für diesen drastischen Rückgang möchten Breitkreuz und ihre Kollegen Bewusstsein schaffen, was auch bedeutet, Menschen mit der Naturzerstörung zu konfrontieren. „Klimaschutz ist Artenschutz“ sagt Breitkreuz, an der ein Admiral-Schmetterling vorbeischwebt. Intakte Ökosysteme würden außerdem dafür sorgen dass CO2 gebunden wird und helfen somit die Folgen der Klimaerwärmung abzumildern.

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Der sogenannte Wildbienenlehrpfad im Regierungsviertel windet sich im Spreebogenpark am Wasser entlang. Von hier aus lässt sich direkt auf das Bundeskanzleramt schauen. Die nächste Regierung müsse beim Insektenschutzgesetz unbedingt nachbessern, sagt Breitkreuz. Es brauche eine allgemeine Strategie zur Pestizidreduktion in der gesamten Agrarlandschaft sowie eine gezielte Förderung natürlicher Ökosysteme, um den Artenschwund zu stoppen.
Was das heißen könnte wird einem beim Blick auf den breitflächigen Rasen direkt neben dem Wildbienenpfad klar. Warum sollte hier nicht eine riesige Wildblumenwiese entstehen, durch die Ackerhummeln und blaugrüne Mosaikjungfern, Schwalbenschwänze und Taupfauenaugen schweben?

Matthias Ubl

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