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Neue Bedrohung für die Erdatmosphäre: Wird das wachsende Satellitenmeer zum Ozonkiller?
Zehntausende Satelliten sollen in den kommenden Jahren auf Erdumlaufbahnen gebracht werden. Etliche verglühen schon nach kurzer Zeit in der Atmosphäre – mit ungewissen Folgen für Ozonloch und Klima.
Stand:
Allein im Januar sind nach Angaben der Plattform „spaceweather.com“ mehr als 120 Starlink-Satelliten in der Erdatmosphäre verglüht. Hübsche Leuchterscheinungen waren die Folge.
Doch Forscher befürchten auch langfristige Schäden an der dünnen Schutzhülle unseres Planeten. Brisant ist, dass sich die Auswirkungen womöglich um Jahrzehnte verzögert zeigen. „Wir sollten jetzt genauer hinschauen, damit wir nicht in 30 Jahren ein Problem haben, gegen das wir nichts mehr tun können“, sagt Leonard Schulz von der Technischen Universität Braunschweig.
Erst in der Nacht zum Mittwoch waren Auswirkungen des Starlink-Vorhabens auch über Deutschland zu sehen: Verglühende Teile einer Falcon-9-Rakete des Unternehmens SpaceX, mit der solche Satelliten ins All gebracht werden, fielen zahlreichen Beobachtern auf.
Lange galt der Wiedereintritt ausgedienter Satelliten und Raketen vor allem als Risiko für Trümmer-Einschläge. Heute werden zumindest die Satelliten oft so konstruiert, dass sie restlos verglühen. Doch die schiere Masse neu hinzukommender Flugkörper könnte ein anderes Problem bedeuten – für Mensch und Natur gleichermaßen.
50.000 zusätzliche Satelliten bis 2030?
Denn: Verglühen heißt nicht verschwinden. Zahlreiche Verbindungen entstehen. Und gerade die Chemie der sehr dünnen oberen Atmosphäre ist empfindlich und kann sich schon bei geringen Veränderungen erheblich verändern, wie Claudia Stolle von der Universität Rostock erklärt.
Laut einer 2023 im Fachmagazin „PNAS“ veröffentlichten Studie enthalten bereits etwa zehn Prozent der Schwefelsäurepartikel in der Stratosphäre Aluminium und andere Metalle, die aus verglühten Satelliten und Raketenstufen stammen. Die Menge drohe erheblich zuzunehmen, wenn wie prognostiziert allein bis 2030 rund 50.000 zusätzliche Satelliten in der Umlaufbahn sein werden.
Aluminiumoxid beschleunigt den Ozonabbau
Satelliten bestehen zum Großteil aus Aluminium, erläutert Johannes Schneider vom Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz. Dieses reagiere beim Wiedereintritt in die Atmosphäre mit Sauerstoff und bilde dabei Aluminiumoxid – von dem seit Jahrzehnten bekannt ist, dass es den Ozonabbau beschleunigt.
Einer im Juni 2024 im Fachblatt „Geophysical Research Letters“ vorgestellten Studie zufolge entstehen beim Verglühen eines kleinen, 250 Kilogramm schweren Satelliten etwa 30 Kilogramm Aluminiumoxid-Partikel. Diese katalysieren an ihren Oberflächen Reaktionen, bei denen aus chlorhaltigen Verbindungen Chlor abgespalten wird. Chlor wiederum zerstört Ozonmoleküle.
Droht also ein neues Ozonloch? „Wir sehen ein Risiko, aber es fehlen noch Messdaten für eine realistische Abschätzung“, sagt Geophysiker Schulz. Zwar werde auch durch verglühende Meteoriden ständig Material in die Atmosphäre eingetragen – die Brocken enthielten aber zum Beispiel kaum Aluminium.

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Zu berücksichtigen sei zudem, dass es sich um Katalysator-Reaktionen handele, bei denen schon sehr kleine Mengen große Auswirkungen haben können, betont Karl-Heinz Glaßmeier von der Technischen Universität Braunschweig.
Ozonschicht ist essenziell für das Leben
Die Ozonschicht schützt die Erde vor der ultravioletten Strahlung (UV) der Sonne und ist essenziell für das Leben auf der Erde. Schon einmal, in den 1980er Jahren, entdeckten Forschende, dass die Schicht immer dünner wurde. Ursache waren vom Menschen freigesetzte Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW). 1987 verständigten sich zahlreiche Länder im Montreal-Protokoll auf einen FCKW-Ausstieg.
Dass sich das Ozonloch erst ab dem Jahr 2000 wieder – sehr langsam – zu erholen begann und sich bis heute nicht deutlich vermindert hat, zeige, wie langfristig Prozesse dort nachwirkten, erklärt Stolle, Direktorin des Leibniz-Instituts für Atmosphärenphysik (IAP). „Wenn wir uns die Ozonschicht wieder verstärkt kaputt machen, wird das Loch sehr lange bleiben.“
Könnte sich der Trend zur Erholung umkehren?
Schätzungen der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) sagen derzeit die vollständige Erholung der Ozonkonzentrationen in der Stratosphäre für etwa 2075 voraus. Der Einfluss verglühender Satelliten und Raketenstufen ist bei dieser Prognose noch nicht berücksichtigt.
Daten aus konkreten Messungen gebe es bisher nur vereinzelt, sagt Schulz. Auch exakte Auflistungen zu verwendeten Materialien seien aufgrund wettbewerbsbedingter Zurückhaltung oft schwer zu bekommen, ergänzt Glaßmeier. „Darum ist es schwer zu sagen, was genau in welchen Mengen eingetragen wird.“
Unklar ist zudem, wie groß die beim Verglühen entstehenden Partikel sind. „Das hat riesigen Einfluss“, erklärt Schulz. Unter anderem deshalb, weil sich die Satelliten in 90 bis 50 Kilometern Höhe in ihre Bestandteile auflösen, während sich die stratosphärische Ozonschicht hauptsächlich in 15 bis 30 Kilometern Höhe befindet. „Ein zehn Mikrometer großes Teilchen sinkt binnen Wochen dorthin ab, bei einem nur Nanometer messenden Partikel kann das Jahrzehnte dauern“, erklärt Schulz.
Späte Folgen heutigen Verglühens?
Einfluss auf mögliche Reaktionen habe auch, dass sich die Oberfläche solcher Partikel mit der Zeit verändert, erklärt Schneider. „Wir wissen nicht, wie sie nach 30 Jahren aussehen.“ Einer in den „Geophysical Research Letters“ vorgestellten Studie des Teams um Joseph Wang von der University of Southern California zufolge könnte es etwa 30 Jahre dauern, bis die Partikel die Ozonschicht erreichen – bis das Verglühen sich also messbar auswirkt.
Hinter diesem Wert stehe aber ein sehr großes Fragezeichen, sagt Schulz. Aufklärung könnten sogenannte Lidar-Messungen bringen. Ein Lidar sendet Laserpulse aus und detektiert das zurückgestreute Licht aus der Atmosphäre. Am IAP seien entsprechende Messungen bereits angelaufen, sagt Stolle. „Wir wollen die Entwicklung aufzeichnen, unter anderem für Aluminium.“
In den nächsten Jahren werde es zahlreiche ähnliche Messungen geben, ist Glaßmeier überzeugt. Die überraschende Erkenntnis, dass das Verglühen von Raketenstufen und Satelliten so großen Einfluss haben könnte, animiere Forschungsgruppen und auch Raumfahrtagenturen, Studien anzugehen. „Und die Technik dafür ist längst da.“
Was ließe sich anders machen?
Was hingegen fehlt, sind mögliche Auswege. Vorstellbar wäre Schulz zufolge, mehr Edelstahl statt Aluminium zu verwenden. „Das ist zwar schwerer und mehr Masse verursacht bei Starts immer mehr Kosten, aber die Startkosten je Kilogramm Gewicht sinken seit Jahren stetig.“ Mögliche Effekte dürften bei Edelstahl weit weniger ins Gewicht fallen, weil Eisen auch vom stetigen Strom verglühender Meteoriden in großen Mengen eingetragen werde.
Wäre es ein Ausweg, ausgediente Satelliten ins All hinauszusteuern? „Unglaublich teuer“ sei das wegen des nötigen Treibstoffs und deshalb nicht praktikabel, erklärt Schulz. Denkbar sei aber, wieder stärker auf kontrolliertes Abstürzen statt vollständiges Verglühen zu setzen.
Ebenfalls gegen den Trend wäre es, Satelliten wieder langlebiger zu gestalten: Derzeit werde nicht nur bei Starlink auf billige Massenprodukte mit hoher Ausfallrate gesetzt mit einer Haltbarkeit von etwa fünf Jahren, sagt Schulz. „Wenn man das auf zehn Jahre verdoppeln würde, wäre der Materialeintrag schon mal halbiert.“ Positiven Einfluss wiederum habe, dass Firmen wie SpaceX inzwischen auf wiederverwendbare erste Raketenstufen setzten, ergänzt Glaßmeier. „Das ist ein enormer Brocken an Masse, der jeweils nicht verglüht. Ökonomie verbindet sich da mit Ökologie.“
Es ist Eile geboten
Fest steht: Die Zeit drängt. 2000 habe es etwa 200 menschengemachte Objekte im All gegeben und 50 seien verglüht, sagt Stolle. Im vergangenen Jahr hätten sich die Zahlen bereits auf etwa 3.000 vorhandene und 700 verglühte erhöht. Die allein im Jahr 2022 verglühten Satelliten brachten Wangs Team zufolge wohl rund 17 Tonnen Aluminiumoxid-Verbindungen in die Atmosphäre. Schon bald könnten es weit über 300 Tonnen jährlich sein.
Allein Starlink peilt einen Ausbau auf mehr als 30.000 Satelliten an. Seit 2018 hat SpaceX von Tech-Milliardär Elon Musk mehr als 7.000 Satelliten in die Erdumlaufbahn gebracht. Etliche kommen nun schon wieder runter. „Die anhaltende Rate der täglichen Wiedereintritte ist beispiellos“, wird Jonathan McDowell vom Harvard Center for Astrophysics von „spaceweather.com“ zitiert. Jeden Tag verglühten demnach zuletzt bis zu fünf ausgemusterte Starlink-Satelliten der ersten Generation.
In den kommenden Jahren sollen zehntausende Satelliten in niedrige Erdumlaufbahnen – etwa 160 bis 2.000 Kilometer über der Erdoberfläche – gebracht werden, als sogenannte Megasatellitenkonstellationen. Das sind Anordnungen so billig wie möglich gebauter Satelliten mit gemeinsamer Aufgabe wie der Versorgung mit Breitband-Internet.
Gewaltige, kurzlebige Satellitenschwärme
Dahinter stehen neben SpaceX Firmen wie Eutelsat One Web und Blue Origin von Amazon-Gründer Jeff Bezos sowie mehrere Projekte Chinas wie Qianfan, GW und Honghu-3. Auch die EU plant mit Iris² ein Netzwerk. Eines haben die Satellitenschwärme Stolle zufolge gemeinsam: „Sie sind nicht auf lange Haltbarkeit ausgelegt.“
Zwar würde theoretisch ein Netzwerk genügen, um der gesamten Welt Internetzugang zu gewähren. Mit den jüngsten politischen Entwicklungen etwa in den USA scheint das aber geopolitisch undenkbar. Diverse Länder setzen darauf, lieber eine eigene Kommunikation im All aufzubauen. „Das macht die Situation noch mal viel problematischer“, sagt Schulz.
Zudem gilt für die Genehmigung der Projekte: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. In den genutzten Umlaufbahnen ist zwar viel Raum, doch die Zahl möglicher Funklizenzen ist begrenzt, wie Glaßmeier erklärt. Projekte würden darum unabhängig davon beantragt, was zeitnah realisierbar sei – etwa von Ruanda, das 2021 bei der Internationalen Fernmeldeunion (ITU) eine Lizenz für eine Megakonstellation aus mehr als 300.000 Satelliten beantragt habe. „Es wird versucht, Claims abzustecken.“
Zukünftige Raumfahrtaktivitäten könnten zu Ozonabnahmen im Prozentbereich führen, heißt es im Ozonbulletin des Deutschen Wetterdienstes (DWD) vom Juli vergangenen Jahres. Die Unsicherheiten seien dabei noch groß, aber: „Wir müssen das im Auge behalten.“ Der Mainzer Max-Planck-Forscher Johannes Schneider betont: „Die Frage ist, wie groß der Effekt ist, nicht, dass es ihn gibt.“ (dpa)
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