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Ins Wort gefallen. In New York wird gegen Donald Trumps Umgang mit den Medien protestiert. Die Politik des Weißen Hauses erscheint gefährlich, weil eine rationale Grundlage häufig nicht zu erkennen ist.

© imago/ZUMA Press

Philosophin Susanne Hahn: Bloß nicht den Kopf verlieren

In unsicheren Zeiten ist Rationalität wieder gefragt. Die preisgekrönte Philosophin Susanne Hahn erklärt, was man dem Postfaktischen entgegensetzen kann.

Chaotische Verordnungen, affektive Testosteron-Politik, postfaktische Nebelkerzen – keine Frage, die ersten Wochen der Regierung Trump wirken, als lebten wir im Zeitalter des Irrationalismus. Den in den „sozialen Hetzwerken“ florierenden Wildwuchs an Verschwörungstheorien könnte man gleichfalls als ein Zeichen zunehmenden Vernunftverlusts lesen.

Nicht lange ist es her, da hatte der Begriff „Rationalität“ noch einen eher zweifelhaften Leumund. Die Aufklärungskritik der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, von der Frankfurter Schule bis zum französischen Poststrukturalismus, hatte die bloß instrumentellen Aspekte der Vernunft und deren eurozentrischen Charakter beschrieben.

Trotz aller berechtigten Kritik an der dunklen Seite der Rationalität, genügt dieser Tage ein kurzer Blick über den Atlantik oder in die Abgründe des Digitalen, um eine alte Einsicht zu bekräftigen: Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer.

Wie können Menschen rational handeln?

Schon deshalb scheint es folgerichtig, dass die Max-Uwe-Redler-Stiftung den mit 100 000 Euro dotierten deutschen Preis für Philosophie und Sozialethik im Jahr 2017 an Susanne Hahn verliehen hat. In ihrem aktuellen Werk nämlich nimmt die Düsseldorfer Philosophin die zentrale und viel diskutierte philosophische Kategorie „Rationalität“ unter die Lupe. In ihrer durchaus als Standardwerk zu bezeichnenden Habilitationsschrift „Rationalität. Eine Kartierung“ (2008) widmet sich Susanne Hahn dabei der umstrittenen Frage, auf welche verschiedenen Weisen Menschen rational handeln können.

„Die Rationalitätsthematik scheint wieder stärker gefragt zu sein. Das hängt vermutlich auch damit zusammen, dass es dieser Tage ein erstarkendes Bedürfnis nach Nachvollziehbarkeit im Handeln gibt“, sagt Susanne Hahn. Auch wenn uns Mittel und Ziele bestimmter Handlungen, zum Beispiel vonseiten der Mächtigen, missfallen mögen – solange man diesen eine spezifische Form von Rationalität unterstellen kann, bleiben sie berechenbar. Die affektive Testosteron-Politik des Weißen Hauses aber wirkt unkalkulierbar und gerade deshalb besonders gefährlich.

Susanne Hahn hat mit ihrem Werk in erster Linie eine extrem feingliedrige, erkenntnistheoretische Grundlagenarbeit geleistet. Der Terminus „Rationalität“, so Hahns Diagnose, sei ein inflationär gebrauchter „Ziehharmonika-Begriff, der mit enormen semantischen Hypotheken“ belastet sei. Extrem dehnbar, werde er mitunter auf alle möglichen Gegebenheiten und Handlungsformen angewendet. Andererseits leide der Ausdruck zuweilen unter einer „Engführung“, die zum Beispiel rationales Handeln mit moralisch gerechtfertigtem Handeln in eins setze.

Handlungen, die man erklären kann - und empfehlen

In der Philosophie, die für sich in Anspruch nehme, das „rationale Geschäft“ par excellence zu betreiben, herrsche dabei keineswegs Einigkeit darüber, was rationales Handeln im Kern ausmachen soll. Verschiedene „Rationalitätstypen“ beanspruchen jeweils für sich, die einzige und somit wahre Form des Rationalen zu verkörpern. Im Verlauf ihres umfangreichen Werkes untersucht Susanne Hahn die diversen Verwendungsweisen des Begriffs und weist letztlich sechs große Formen „rationalen Handelns“ im Prisma des menschlichen Verhaltens auf.

„Zentral ist die Unterscheidung zwischen Handlungen, die ich erklären, und solchen, die ich empfehlen kann“, sagt Hahn. „Zum Beispiel kann ich die subjektiv-zweckrationale Handlung erklären, dass jemand sein Physikbuch unters Kopfkissen legt, weil er meint, dies sei das geeignete Mittel zum Erreichen des Zwecks, seine Prüfung zu bestehen. Empfehlen kann ich diese Handlung aber nicht.“

Anders verhalte es sich zum Beispiel mit objektiven Formen regelrationalen Handelns, bei denen eine selbst auferlegte Handlungsregel tatsächlich dazu geeignet ist, einen bestimmten Zweck zu befördern. Wenn jemand also nach der Regel handelt, seinen Müll zu trennen, weil er gerne auf bescheidene Weise zum Umweltschutz beitragen möchte, ist das im Hinblick auf das anvisierte Ziel eine empfehlenswerte Handlung. „Für die Empfehlung einer Handlung ist die Bezugnahme auf einen gesicherten Kenntnisstand unentbehrlich“, sagt Hahn.

Dieser „gesicherte Kenntnisstand“ wird in politischen Aussagen und Handlungen der Gegenwart mehr und mehr ignoriert. Ob in Donald Trumps „Twitteritis“ oder der häufig auf verschwörungstheoretischen Annahmen gründenden Hate-Speech des Social-Media-Universums. Nicht von ungefähr bilden die Folgen der Digitalisierung neben wirtschaftsethischen Erwägungen einen der anwendungsbezogenen Forschungsschwerpunkte der Düsseldorfer Philosophin.

Eine Schlüsselkompetenz: Quellenkritik

Eine Schlüsselkompetenz, die es am besten schon in der Schule zu erlernen gelte, sei die Quellenkritik. Welche Kriterien machen eine Quelle satisfaktionsfähig? Und was sind die erkenntnistheoretischen Voraussetzungen legitimer Annahmen und Behauptungen? Dem Verschwörungstheoretiker, der einer asymmetrischen Bewertung der Quellen für und wider seine eigene Weltsicht frönt, könne man dabei nur auf einer Metaebene begegnen. Einer im starren Meinungsgerüst eingesperrten Person solle man die Frage stellen, welche Kriterien denn eigentlich erfüllt sein müssten, damit sie ihre Annahmen korrigieren und zu einer anderen Auffassung gelangen würde. „Aussagen, die sich unter keinen Umständen falsifizieren lassen, sind erkenntnistheoretisch zweifelhaft“, sagt Hahn.

Ein wesentliches Problem, das die Digitalisierung mit sich bringe, sei eine „Fraktionierung der Gesellschaft“. Beunruhigend findet Susanne Hahn den Strukturwandel der geteilten Öffentlichkeit hin zum bloßen Nebeneinander abgeriegelter Parallelgesellschaften, die in ihren jeweiligen Filterblasen bloß noch dem Echo der eigenen Tweets nachlauschen. Heute kann sich jeder in seinem Meinungscontainer verschließen und den auf die bereits bestehende Auffassung zugeschnittenen Content abonnieren. Fakten und Argumente, die außerhalb der eigenen Echokammer kursieren, finden in solchen Fällen kaum noch Gehör.

Alle in ihrer Filterblase - da sollen Philosophen gegenwirken

Auch befördere das Internet ein bloß mehr punktuelles Engagement der Subjekte. Sich zu äußern, bei irgendetwas kurzfristig mitzumachen, sei heute einfacher denn je; langfristiges graswurzelpolitisches Engagement jedoch, das mit der Übernahme von Verantwortung verbunden sei, werde zum Auslaufmodell.

Susanne Hahn sieht auch die Philosophie in der Pflicht, dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Die Philosophie habe sich nicht zuletzt um das „Sortieren von Erkenntnissen“ zu kümmern. So könne sie zum Beispiel die Frage beantworten, mit welchem Anspruch und unter welchen Voraussetzungen man etwas behaupten kann; was man an Unterfütterung braucht, um eine wahrheitsförmige Aussage zu treffen.

In der aus den Fugen geratenen Welt des postfaktischen Zeitalters muss die Philosophie, sagt Susanne Hahn, also vor allem eine Sache beherzigen: „den Kopf nicht zu verlieren“.

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