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Historischer Ort. Vom Lowell-Observatorium (Arizona) aus entdeckte Clyde Tombaugh 1930 den Planeten Pluto.

© mauritius images

Vor dem Höhepunkt der Mission "New Horizons": Pluto wurde zweimal entdeckt

Da draußen musste noch ein Planet sein, das war klar. Aber wo? Der Erste setzte sein ganzes Geld ein – und übersah ihn. Erst ein Farmerssohn hatte Erfolg und sichtete: Pluto.

Der Tatort könnte nicht stimmiger sein: In engen Kehren schlängelt sich ein Sträßchen hinauf in den dichten Wald. Nur die Scheinwerfer des Wagens schlagen eine Schneise in diese verregnete Dunkelheit oberhalb von Flagstaff (Arizona). Weit weg erscheint der abendliche Trubel unten in der kleinen Pionierstadt rund 120 Kilometer südlich des Grand Canyon. Hinter einer letzten Biegung dann fahlgelbes Licht von Straßenlaternen, ein leerer Parkplatz und der Eingang zum Lowell-Observatorium. Mitarbeiter Travis Brown steht schon ungeduldig in der Tür, eine voluminöse Taschenlampe in der rechten Hand. Brown ist Ermittler und Berichterstatter gleichermaßen in einem der spektakulärsten Wissenschaftskrimis in der Geschichte der Astronomie – der Suche nach Planet X.

Ein winziger Punkt auf einer Glasplatte

Nur wenige Schritte sind es über feuchte Wege. Kurz sucht Brown im Lampenschein nach dem richtigen Schlüssel. Dann öffnet er eine Tür in eine Zeitkapsel zurück ins frühe 20. Jahrhundert. Darin steht das Tatwerkzeug unter einer gewaltigen hölzernen Kuppel, gezimmert aus Ponderosa-Pinien. Es ist ein mächtiger „Astrograf“ mit drei Linsen auf einem beweglichen Fahrgestell, gebaut im Jahr 1929 und bis heute funktionstüchtig. „Mit diesem Teleskop gelangen jene Aufnahmen, auf denen Clyde Tombaugh am 18. Februar 1930 einen winzigen beweglichen Punkt jenseits des Neptun ausmacht – Planet X“, sagt Brown.

Am 18. Februar 1930 entdeckte der Hobbyastronom Clyde Tombaugh einen winzigen beweglichen Punkt jenseits des Neptun – Pluto.
Am 18. Februar 1930 entdeckte der Hobbyastronom Clyde Tombaugh einen winzigen beweglichen Punkt jenseits des Neptun – Pluto.

© picture alliance / Everett Colle

Tombaugh studierte dazu mit einem Gerät namens Blinkkomparator zwei zeitversetzt belichtete Glasplatten, die ihm im rasenden Wechsel präsentiert wurden. Nächtelang und mit tränenden Augen starrt er auf die Platten und entdeckt die winzige Abweichung. Im Museum des Observatoriums kann man dies mit zusammengekniffenen Augen heute am Original nachvollziehen.

Kanäle auf dem Mars?

Tombaughs Leistung erstaunt nicht nur, weil der 24-Jährige eine dicke Brille trägt und nie studiert hat, nachdem ein Hagelsturm die Farm seiner Eltern und damit die finanziellen Mittel dafür vernichtete. Es ist auch eine Sensation, weil Planet X seit Jahrzehnten überfällig ist. Aus Berechnungen von Bahnabweichungen von Uranus und Neptun wusste man, dass da draußen in den Weiten des Sonnensystems noch etwas sein muss. Man wusste nur nicht, dass man sich verrechnet hatte und deshalb an der falschen Stelle suchte. Und das ist nur ein tragischer Irrtum in dieser Geschichte.

Eigentlich hatte sich nämlich bereits Jahre zuvor der Textilfabrikantenerbe Percival Lowell der Suche nach Planet X verschrieben. Während seine Schwester Amy als Dichterin und sein Bruder Abbott als Präsident der ehrwürdigen Ostküstenuniversität Harvard Aufmerksamkeit erregen, widmet sich Percy der Astronomie. Er ist fasziniert von den angeblichen Kanälen auf dem Mars, die der Italiener Giovanni Schiaparelli entdeckt haben will. Die Verfärbungen des Mars zu unterschiedlichen Jahreszeiten hält Lowell für Vegetationszyklen und träumt von weiteren Einsichten.

Pleite wegen Pluto

Er schickt Agenten in das unerschlossene Territorium Arizona. In der Nähe der Bahnstrecke nach Los Angeles lässt er Tonnen von Baumaterial und Instrumenten auf ein 2210 Meter hohes Plateau schleppen. Fern vom Licht der Großstädte entsteht sein eigenes Observatorium, zunächst ohne Strom und geregelte Versorgung. Doch den Traum vom grünen Mars muss Lovell bald aufgeben. Stattdessen sucht er ab 1905 mithilfe von Fachleuten und mit seinem gesamten Kapital nach Planet X. Er lässt neuestes Gerät auf den Berg liefern. Schon das erste Teleskop hat einen Durchmesser von 24 Zoll und ist damit zu jener Zeit an der Weltspitze. Lowell belichtet zahlreiche Fotoplatten, erfolglos. Als er 1916 in Flagstaff stirbt, ist er pleite. Und Planet X ist weiterhin nur eine Hypothese.

Daran ändert auch nichts, dass Lowells Bruder noch zu dessen Lebzeiten 1000 Dollar zur weiteren Suche stiftet. Lange Zeit will sich einfach niemand an die beschwerliche Arbeit machen. Erst als der Autodidakt Tombaugh sich mehr als ein Jahrzehnt später mit eigenen Zeichnungen an Observatoriumschef Vesto Slipher wendet, erkennt der den Fanatismus des jungen Mannes und setzt ihn als Assistent auf die ziemlich aussichtslose Sache an. Wenig später werden alle Skeptiker eines Besseren belehrt. Die Klatschpresse der Welt jubelt. Venetia Burney, ein elfjähriges Mädchen aus Oxford, schlägt den passenden Namen für die Neuentdeckung vor: den Unterweltgott Pluto.

Kurz nach der Entdeckung machen die Lowell-Mitarbeiter dann im Stillen noch einen zweiten Fund. Im Archiv verstaut finden sie zwei Glasplatten, die Percival Lowell 1915 kurz vor seinem Tod belichtet hatte. Darauf ist Planet X jetzt klar zu sehen. „Lowell hat ihn gesehen, aber nicht erkannt“, sagt Travis Brown mit Blick auf das Original hinter Glas.

Tombaughs Asche an Bord

Doch auch für Clyde Tombaugh ist die Geschichte mit Pluto noch nicht zu Ende. In den 1990er-Jahren plant die Nasa eine Mission ganz in dessen Nähe. Als die Sonde „New Horizons“ schließlich 2006 abhebt, hat sie symbolisch auch einen Teil der Asche von Tombaugh an Bord. Nach neuneinhalb Jahren ist sie nun am Ziel: Am Dienstag soll sich die Sonde dem Himmelskörper bis auf 12 500 Kilometer nähern und zahlreiche Messungen vornehmen (mehr dazu hier).

Dass die Internationale Astronomische Union den Winzling Pluto – er ist nur ein Drittel so groß wie der Mond – 2006 nach hitziger Debatte zum Kleinplaneten degradiert und damit wieder aus dem Olymp der neun Planeten verbannt hat, sieht man am Ort seiner Entdeckung hingegen gelassen. Ja, es sei schade, dass Percival Lowell damit posthum auch seiner zweiten großen Vision beraubt wurde, sagt Travis Brown. „Aber das ist eben Wissenschaft.“ Neuerdings ist die Debatte um Pluto und seinen Status neu entbrannt. Das letzte Wort ist hier offensichtlich noch nicht gesprochen.

Martin Wein

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