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Ist das die erste lebende Maschine der Welt? Forscher haben mit Hilfe eines Computers einen Roboter aus Froschzellen zusammengebastelt.

© Douglas Blackiston

Programmierbare Organismen: Forscher bauen erstmals lebende Roboter

Im Computer entworfene „Xenobots“ bestehen aus Froschzellen, können sich bewegen und selbst reparieren – und bald vielleicht noch viel mehr, wie Videos zeigen.

Es ist die Rede von einer komplett neuen Lebensform: Ein Forschungsteam um Josh Bongard von der University of Vermont hat aus Froschzellen von einem Computer entworfene, weniger als einen Millimeter große Roboter erschaffen.

Die „Xenobots“ sind in der Lage, sich fortzubewegen und sich selbst zu heilen. Sie sollen sogar eine kleine Last aufnehmen können, etwa ein Medikament. Es seien neuartige lebendige Maschinen, sagt Bongard: „Sie sind weder ein traditioneller Roboter noch eine bekannte Tierart.“ Stattdessen habe man es mit lebenden, programmierbaren Organismen zu tun. Ihre Ergebnisse veröffentlichen die Forscher im Fachblatt „PNAS“.

 Kombination aus Synthetischer Biologie und Robotik

Wissenschaftler weltweit arbeiten daran, Organismen so zu verändern, dass sie bestimmte Eigenschaften annehmen. Dafür nutzen sie zum Beispiel gentechnische Methoden wie die Gen-Schere CRISPR/Cas. Bioingenieure versuchen auch, Mini-Organe im Labor zu züchten, sogenannte Organoide – etwa für personalisierte Stammzelltherapien oder um Arzneimittel ohne Tierversuche prüfen zu können. Jedoch haben die Forscher bei dieser Methode recht wenig Einfluss auf die Struktur der Organoide und somit auch auf ihre Funktion. Bongard und seine Kollegen gehen mit ihren Xenobots einen etwas anderen Weg, für den sie Robotik und Synthetische Biologie kombinieren.

Im Prinzip funktioniert es so: Ein Computer kombiniert ein paar hundert Zellen zu verschiedenen Formen, immer mit dem Ziel, dass der so entstehende Zellhaufen eine von den Forschern gestellte Aufgabe meistern kann, etwa sich gezielt in eine Richtung zu bewegen. Dafür verwendeten die Wissenschaftler zwei verschiedene Zelltypen: pluripotente Stammzellen sowie Vorläufer von Herzmuskelzellen.

„Die Stammzellen sind mechanisch statisch, aber sie haben das Potenzial, eine Art Gewebe zu bauen. Herzmuskelzellen dagegen können pulsieren und haben daher eine Bewegungskomponente“, sagte der Biophysiker Friedrich Simmel vom Lehrstuhl für Physik Synthetischer Biosysteme an der TU München dem Tagesspiegel. Basierend auf diesen Eigenschaften könne man sich überlegen, was ein Material tut, dass einerseits eine bestimmte Hülle bildet und an verschiedenen Stellen zuckt.

 Evolution im Computer simuliert

Dieses „Überlegen“ übernahm in der Studie der Deep Green Supercomputer an der Universität Vermont. Dafür nutzte er einen „Evolutionären Algorithmus“ – setzte die die Zellen also zunächst zufällig zusammen und wählte dann jenes Ergebnis aus, das die gestellte Aufgabe in der Simulation am besten bewältigen würde. Als Basis dafür dienen biophysikalische Informationen darüber, was einzelne Froschzellen tun können.

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„Der Rechner nimmt die besten Ergebnisse, verändert diese weiter und simuliert, wie die entstehenden Strukturen sich verhalten würden“, erklärt Simmel. Sollen die kleinen Roboter sich bewegen, mache es zum Beispiel einen Unterschied, ob die kontraktilen Herzmuskelzellen außen oder zentral angeordnet seien. Hundertmal ließen die Forscher den Algorithmus laufen. Nicht funktionierende Modelle verwarf der Rechner, die vielversprechendsten aber wurden ausgewählt, um sie im Labor aus echten Zellen nachzubauen.

 Mit Mikropinzette ein Gewebe aus einzelnen Zellen zusammengepuzzelt

Diese anspruchsvolle Arbeit führten der Biologe Michael Levin und der Mikrochirurg Douglas Blackiston von der Tufts University nahe Boston durch. Die Stammzellen und Herzvorläuferzellen gewannen sie aus frühen Embryonen des Afrikanischen Krallenfroschs Xenopus laevis – daher auch der Name „Xenobots“ für die Kreaturen. Nachdem sie die Stammzellen vermehrt und wachsen lassen hatten, fügte Blackiston sie mit einer Mikropinzette und einer ebenso kleinen Elektrode zu einem Gewebe zusammen – möglichst genau nach den Bauplänen, die die Rechner vorher ausgegeben hatten. In diese Hüllstrukturen wurden dann die Vorläufer der Herzmuskelzellen eingebettet – fertig war der Xenobot.

In der Petrischale begannen einige der etwas mehr als einen halben Millimeter kleinen gräulichen Geschöpfe dann auch wirklich sich zu bewegen. Als Treibstoff dienten ihnen dabei die embryonalen Energiereserven der Zellen. Sie würden, so schreiben es die Forscher, „Tage oder Wochen“ reichen, ohne dass zusätzliche Nährstoffe nötig wären. Drehten die Wissenschaftler die Bots jedoch um, konnten diese sich nicht mehr bewegen, ähnlich einem Käfer, der hilflos auf dem Rücken liegt. „Das legt nahe, dass die Bewegung nicht zufällig zustande kam, sondern durch die ihnen gegebene Form“, schreiben sie.

 Zellhaufen, die Medikamente transportieren

Wenn die Roboter sich nicht so bewegten, wie der Computer es vorhergesagt hatte, ließen die Wissenschaftler den Algorithmus das Modell erneut berechnen. So kreierten sie nicht nur Roboter, die sich langsam geradeaus fortbewegten, sondern auch solche, die sich kreisförmig bewegten und dabei sogar kleine Partikel einsammelten – sowohl einzeln als auch in einer Gruppe. Die Wissenschaftler bauten auch Exemplare mit einem Loch in der Mitte, um den Widerstand zu verringern. Zumindest in einer Computersimulation konnte eine solche Tasche auch dazu benutzt werden, Objekte zu transportieren, etwa Medikamente.

Besonders erstaunt zeigen sich die Forscher darüber, dass die Herzmuskelzellen ohne weiteres Zutun der Wissenschaftler offenbar untereinander kommunizieren und sich dadurch  gerichtet bewegen konnten. Und: Die Xenobots behielten nicht nur ihre vorgegebene Form, sondern sie reparierten sich auch selbstständig, nachdem die Wissenschaftler sie fast zerteilt hatten. „Das ist etwas, was mit konventionellen Maschinen nicht funktioniert“, sagte Bongard. Ein weiterer Unterschied: Wenn der Lebenszyklus der Xenobots endet, lassen sie im Gegensatz zu Technologien aus Stahl, Beton oder Plastik nach ihrem Einsatz keinen Müll zurück. „Sie sind vollständig biologisch abbaubar“, sagt Bongard. „Wenn sie ihre Arbeit getan haben, sind es nur noch tote Hautzellen.“

Xenobots könnten helfen, Krebszellen aufzuspüren

Er und seine Kollegen können sich verschiedene Anwendungen vorstellen. Xenobots könnten etwa zielgenau Medikamente zu bestimmten Stellen im menschlichen Körper liefern oder arteriosklerotische Plaques aus dem Inneren von Arterien entfernen. Aber auch bei der Beseitigung giftiger oder radioaktiver Abfälle könnten sie hilfreich sein, schreiben die Wissenschaftler. Und mit der rasanten Entwicklung beim Maschinellen Lernen oder beim 3D-Druck von Geweben würden sich bald noch viele weitere Möglichkeiten auftun. Sie träumen schon davon, die Xenobots etwa mit Proteinen auszustatten, um etwa Krebszellen zu erkennen, oder sie sich selbst reproduzieren zu lassen, damit sie längere Zeit im Körper eingesetzt werden könnten. 

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Bis dahin sei der Weg allerdings noch weit, meint der Münchner Biophysiker Simmel. Auch, weil die Xenobots derzeit noch zu groß seien, um sie wirklich in den Körper einzuschleusen. Insgesamt bezeichnet er die Arbeit der Amerikaner aber als „recht beeindruckend“. „Sie zeigt, wie man Konzepte aus der Robotik mit solchen aus der Biologie verbinden kann.“ Statt traditionellen elektromechanischen Komponenten hätten die Wissenschaftler lebendige Zellen verwendet, die bestimmte mechanische Eigenschaften haben. Ob es sich dabei allerdings um die ersten „lebenden Roboter“ handelt, wie die Forscher schreiben, bezweifelt Simmel. „Sie bestehen aus Zellen und bewegen sich, aber das ist eine sehr weit gefasste Definition“, meint der Experte.

Die Xenobots lassen sich allerdings auch nutzen, um grundlegende Fragen der Biologie zu erforschen. Zum Beispiel: Wodurch wird eigentlich bestimmt, auf welche Art Zellen kooperieren? Die Forscher hoffen, dass die Bots verstehen helfen, wie Zellen sich organisieren, Informationen verarbeiten und speichern.

Was also einen Xenobots, der zu einhundert Prozent aus Frosch-DNA besteht, von einem „echten“ Frosch unterscheidet.

Koautor Michael Levin sieht darin eine Parallele auch zu anderen Gebieten. Verändere man komplizierte Systeme, habe das oft unerwartete Konsequenzen zur Folge. „Wenn die Menschheit in der Zukunft überleben soll, müssen wir besser verstehen, wie komplexe Eigenschaften aus einfachen Regeln entstehen.“

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