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Psychologie: Resilienz ist das falsche Mittel gegen Krisen

Umfokussieren, balancieren, abprallen lassen sind die neuen Strategien gegen Zumutungen. Dabei wäre es oft viel wichtiger zu sagen: Stopp, jetzt reicht's. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Claudia Keller

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Macht kaputt, was euch kaputt macht", sangen Ton Steine Scherben 1970. Heute empfehlen Psychologen Resilienz gegen die Krise. Das Wort kommt vom lateinischen „resilire“ und bedeutet „zurückspringen“, „abprallen“: so wie ein Gummiball in seine Form zurückspringt, nachdem er eingedrückt wurde. Und so wie dem Gummiball eine Delle nichts ausmacht, könne man persönliche Krisen überstehen, Burnout vermeiden und Rückschläge wegstecken, wenn man nur die „seelischen Widerstandskräfte“ stärke, „flexibel balanciere“, „umfokussiere“. Das versprechen „Resilienztrainer“ täglich zig Tausenden gestressten Menschen.

An der Universität Mainz gibt es seit 2014 sogar ein „Deutsches Resilienz-Zentrum“, in dem Neurowissenschaftler, Psychologen und Soziologen das Gehirn vermessen, um Strategien zu entwickeln, wie Menschen Stress besser verarbeiten und mit steigendem Leistungsdruck umgehen lernen. Eine „breite Wirkung in die Gesellschaft hinein“ sei beabsichtigt, heißt es auf der Internetseite.

Der Gummiballeffekt ist längst nicht mehr nur ein Thema für Psychologen und Stressforscher. Auch Bildungsexperten, Innenpolitiker, Umweltschützer, Städteplaner, Versicherungsgesellschaften und Ökonomen haben die Resilienz entdeckt. Alle wappnen sich gegen die Unsicherheit und rüsten sich für Katastrophen, die offenbar unvermeidlich sind. Architekten entwerfen die terrorresistente Stadt, Innenpolitiker diskutieren Resilienz als „sicherheitspolitisches Trendkonzept“. Wirtschaftsminister überlegen, wie sie die Energieversorgung vor politischen Erpressungsversuchen seitens autoritärer Despoten schützen können, und Banken fragen sich, wie sie die nächste Finanzkrise überstehen können. Soziologen sprechen von der „resilienten Gesellschaft“. Resilienz wird zur Ideologie, zum Fetisch, zum Allheilmittel gegen die Krise.

Wer sich immer anpasst, arrangiert sich auch mit dem Falschen

Natürlich ist es richtig, nicht sehenden Auges in Katastrophen zu stolpern und sich zu schützen, wo es möglich ist. Natürlich sollten Städteplaner und Politiker vorausschauend handeln und die Gesellschaft vor absehbaren Krisen schützen. Alles andere wäre verantwortungslos.

Doch Resilienz ist keine Strategie, um die Ursachen von Krisen zu bekämpfen. Im Gegenteil. Es setzt sich der Gedanke fest, man müsse nur schön flexibel sein und sich anpassen, manchmal ein bisschen biegen und auch mal verbiegen, dann könne man unbeschadet schwierige persönliche und gesellschaftliche Phasen überstehen. Das verleitet Menschen dazu, sich mit scheinbar unabwendbaren Gegebenheiten zu arrangieren, statt sich dagegen zu wehren und zu versuchen, die Gegebenheiten zu verändern. Das kann fatale Auswirkungen haben.

Denn Gesellschaften sind keine Gummibälle. Sie können sich mit solcher Wucht deformieren, dass Mentalitäten über Jahrhunderte davon geprägt sind. Demokratien können erodieren und autoritäre Herrschaftsformen können sich etablieren, und zwar dauerhaft. Donald Trumps Wahlsieg hat den europäischen Rechtspopulisten Auftrieb gegeben. Überall fühlen sich Nationalisten und Rassisten bestärkt. Sie reagieren auf Krisen und Verunsicherungen nicht mit Resilienz, sondern lassen ihrem Zorn freien Lauf und attackieren demokratische Grundrechte.

Gewerkschaften helfen gegen miese Jobs - nicht Resilienztrainer

Dass sie nicht noch mehr Einfluss bekommen, verhindert man nicht, indem man sich fit macht für die Katastrophe und sich ansonsten wegduckt und anpasst. Sondern indem sich möglichst viele dagegen wehren, argumentieren, politisch aktiv werden und sagen: Stopp, jetzt reicht's, bis hierhin und nicht weiter.

Gegen unzumutbare Arbeitsverhältnisse und wachsenden Leistungsdruck können starke Gewerkschaften mehr ausrichten als private Resilienztrainer. Viele Menschen können sich die auch gar nicht leisten.

Vielen ist es nicht möglich, sich gegen Zumutungen und Katastrophen zu wappnen, weil sie sozial ausgegrenzt sind und keinerlei Macht haben, weil sie in großer Armut leben oder zu einer Minderheit gehören, die diskriminiert wird. Ihnen hilft, dass andere für ihre Rechte kämpfen. Doch auch die Solidarität kommt zu kurz bei der Resilienz. Da geht es erst mal darum, dass sich jede Person, jede Nation für sich selbst widerstandsfähiger macht. Dadurch mag es für den einzelnen kurzfristig erträglicher werden, mit einer schwierigen Situation umzugehen. Doch so werden Machtverhältnisse zementiert. Macht kaputt, was euch kaputt macht, hieß es früher. Heute heißt es: Macht bloß nichts kaputt! Höchstens euch selbst.

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