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Lernpause. Schlafzeiten von 18 Stunden am Tag sind bei kleinen Kindern keine Seltenheit. Viele schlafen aber auch erheblich weniger. Eltern machen sich oft zu Unrecht Sorgen und lassen sich von Ratgebern verrückt machen, sagen Forscher. Foto: picture-alliance/ZB

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Schlaf: Großreinemachen im Kopf

Im Schlaf verarbeiten Kinder Erlebtes – nicht alles ist es wert, im Gedächtnis gespeichert zu werden.

Strahlender Blick und dunkle Augenringe – bei frischgebackenen Eltern muss das kein Widerspruch sein, verbringen sie die Nächte doch nur selten schlafend im eigenen Bett. Halten die nächtlichen Turbulenzen über die ersten Lebensmonate hinaus an, kann der Kinderschlaf schnell zum familiären Reizthema werden. Für Wissenschaftler ist das Thema hingegen reizvoll, wie sich kürzlich auf einer Tagung von Schlafmedizinern in Bremen zeigte. Schlummert sich der Mensch doch beim Heranwachsen durch ein Spektrum von Schlafmustern, was den Reifezustand des Gehirns widerspiegelt.

Junge Säuglinge etwa gleichen lange Wachzeiten nicht durch besonders tiefen Schlaf aus, wie es ältere tun würden. Die ganz Kleinen also wach zu halten, um anschließend eine lange Ruhepause zu erhalten, funktioniert nicht. Das zunächst noch chaotische Schlafmuster des Neugeborenen bekommt erst ab etwa dem 4. Lebensmonat eine erkennbare Struktur, die zunächst vom REM-Schlaf dominiert wird. Neugeborene verbringen etwa 70 Prozent in diesem, durch rasche Augenbewegungen gekennzeichneten, „Traumschlaf“. Während der REM-Schlaf dann abnimmt, steigen die Anteile, die das Kind im Tiefschlaf verbringt von den ersten Lebensmonaten bis zu einem Maximum kurz vor der Pubertät an.

Kleine Kinder schlafen oft sehr tief. Für den Tiefschlaf typisch sind die im Schlaflabor mit der Elektroenzephalografie (EEG) gemessenen langsamen Hirnstromwellen. Sie entstehen, weil sich in dieser Schlafphase große Gruppen von Nervenzellen im Gehirn verbünden und gleichmäßig elektrische Impulse aussenden. Diese Gleichschaltung funktioniert dabei offenbar umso besser, je stärker die einzelnen Nervenzellen miteinander über Kontaktstellen, die Synapsen, verbunden sind. Ein Zustand, der besonders zwischen dem 5. und 10. Lebensjahr erreicht wird, wenn die Verbindungsdichte zwischen den Nervenzellen dramatisch ansteigt. Nach der Pubertät wird diese starke Vernetzung wieder etwas herunterreguliert, was am Kurvenverlauf im EEG sichtbar gemacht werden kann.

Doch auch ohne Schlaflabor wissen Eltern, was sich bei ihren Sprösslingen nach und nach ändert. Das Kind schläft nachts mehr am Stück und spätestens nach der Kindergartenzeit tagsüber meist gar nicht mehr. Bis ins Schulalter hinein hat der kleine Mensch mehr Zeit im Schlaf als im Wachzustand verbracht. Doch die Schlafdauer sinkt, von 14 bis 18 Stunden bei Neugeborenen bis auf durchschnittlich acht Stunden beim jungen Erwachsenen. Warum allerdings die Jüngeren mehr Schlaf bräuchten als die Großen, ließe sich nur mutmaßen, da die Wissenschaft noch gar nicht beantworten könne, warum wir eigentlich schlafen, sagt Oskar Jenni vom Zentrum für Schlafmedizin am Kinderspital Zürich.

Der Mensch muss schlafen, sonst wird er psychotisch

Eines steht fest: der Mensch muss schlafen. Versuche, Wachrekorde zu brechen, endeten meist mit Zusammenbrüchen und Psychosen. Es gibt einleuchtende Erklärungsversuche: schlafen zur körperlichen Erholung; schlafen, weil unsere Sinne nachts nur eingeschränkt funktionieren und schlafen als wichtiger Faktor bei Gedächtnisbildung und Lernen. Da Kinder noch viel lernten und die Gehirnentwicklung im vollen Gange sei, müssten sie auch viel schlafen, so eine populäre Erklärung, die jedoch wissenschaftlich kaum untersucht sei, erklärt Jenni.

Nach Ansicht der Schlafforscher Giulio Tononi und Chiara Cirelli von der Universität von Wisconsin ist Schlaf der Preis, den der Mensch für den Austausch mit der Umwelt und die Aufnahme von Informationen während des Wachseins zu zahlen hat. Während des Tages wird die eingehende Information fortwährend in Netzstrukturen der Nervenzellen eingearbeitet. Kontakte zwischen den Nervenzellen, Synapsen, werden größer, schwerer und zum Teil auch neu geknüpft. Würden diese Prozesse ununterbrochen weitergehen, wären Energie- und Platzreserven und damit das Gehirn selbst schnell erschöpft. Hier kommt der Schlaf ins Spiel, der die Verknüpfungsfreude der Nervenzellen im Gleichgewicht hält. Das ist der Kerngedanke der Theorie der „synaptischen Homöostase“.

Im Tiefschlaf nämlich führten die langsamen Hirnstromwellen dazu, dass Synapsen wieder kleiner würden, erklärt Oskar Jenni. Nur dort, wo Fakten und Fertigkeiten tiefe Gedächtnisspuren hinterlassen haben, die Synapsenstärke also kräftig angewachsen ist, bleibt Erlerntes bestehen. Die „Festplatte“ des Gehirns werde so von Unwichtigem gesäubert und sei bereit, am nächsten Tag wieder neu beschrieben zu werden. Da es bei Kindern bis zur Pubertät zunächst zu einer Synapsenüberproduktion mit der bekannten hohen Lernfähigkeit kommt, verwundert eine lange Schlafdauer nicht, in der alles „überarbeitet“ werden muss.

Doch aus der Notwendigkeit des Schlafens eine bestimmte Schlafdauer abzuleiten, ist problematisch. Denn der Schlafbedarf unter gleichaltrigen Kindern ist sehr unterschiedlich. Junge Säuglinge etwa schlafen überwiegend 14 bis 18 Stunden am Tag, manchen reichen 12, andere brauchen bis zu 20 Stunden täglich. Weil die Variabilität so groß sei, gäbe es ein „normales“ Schlafverhalten eigentlich gar nicht, sagt Jenni.

Auch kulturelle Einflüsse spielten eine Rolle bei dem, was als normaler Kinderschlaf angesehen werde. Eltern würden durch die Ratgeberliteratur häufig verunsichert und ein Beharren auf einer festen Schlafdauer könne die Entstehung von Schlafstörungen sogar fördern. So seien die elterliche Überschätzung des kindlichen Schlafbedarfs und falsche Einschlafgewohnheiten die häufigsten Ursachen für Schlafstörungen im Kindesalter.

Kurzzeitige Schlafdefizite können Kinder und Jugendliche gut wegstecken, das berichtete der Freiburger Psychiater Christoph Nissen auf der Tagung. Bei einer Studie an der Freiburger Uniklinik hatte es keinen Einfluss auf die Gedächtnisleistung, ob die Jugendlichen über vier Nächte fünf oder neun Stunden schliefen. Wie sich zeigte, blieb die Tiefschlafdauer aller Teilnehmer konstant, egal wie lange sie insgesamt schliefen. Auch nach dieser Studie sei aber offen, welche Auswirkungen es habe, wenn Jugendliche dauerhaft zu wenig schliefen, hob Nissen hervor. Junge Erwachsene schlafen oft nur sechs bis sieben Stunden, obwohl sie acht bis neun gebrauchen könnten. Und das, wo die Hirnreifung erst mit dem 24. Lebensjahr abgeschlossen ist.

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