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Von Mensch zu Mensch. Die Lungenpest wird ohne Zwischenwirte übertragen. Daher herrscht Maskenpflicht im Hilfszentrum in Toamasina in Madagaskar.

© AFP/Rijasolo/Médecins sans Frontières

Seuchenbekämpfung: Erst kommt der Geiz, dann die Pest

Nur mit Glück und rigiden Maßnahmen konnte die Weltgesundheitsorganisation eine Katastrophe auf der afrikanischen Insel verhindern.

Im Juli 2017 trat Tedros Adhanom Ghebreyesus sein Amt als Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation WHO an. Und sofort hatte er mit einem außergewöhnlich heftigen Ausbruch der Pest in Madagaskar zu tun, der sich zu einer infektionsmedizinischen Katastrophe zu entwickeln drohte.

Erschreckend hoher Anteil an Lungenpest-Patienten

Schon im Herbst registrierte die WHO eine extrem hohe „Epidemie-Reproduktionsrate“ von 1,7, das heißt, von jedem Krankheitsfall gehen statistisch fast zwei neue aus. Die Zahl der Erkrankungen nahm also von Woche zu Woche exponentiell zu. Bedrohlich war auch der mit 77 Prozent extrem hohe Anteil von Patienten mit Lungenpest, der hoch infektiösen Form der Krankheit, bei der das Bakterium Yersinia pestis ausschließlich von Mensch zu Mensch übertragen wird – und nicht über den Umweg Ratte-Floh-Mensch.

In aller Eile durchgeführte Studien zeigten, dass nicht nur Ratten ein Tierreservoir darstellten, sondern auch die Moschusspitzmaus. Das in Madagaskar heimische Nagetier lebt eigentlich in Trockenwäldern, ist im vergangenen Jahrzehnt jedoch zu einem Kulturfolger des Menschen geworden – vermutlich in Folge der Entwaldung. Nun halten sich die Tiere häufig in Vorratshäusern in Nachbarschaft von Wohngebäuden auf.

Über 2300 Infizierte, jeder zehnte starb

Insektenforscher entdeckten zudem, dass nicht nur der Rattenfloh (Xenopsylla cheopis), sondern auch drei weitere Arten von Flöhen das Pestbakterium übertragen können. Zu allem Übel sind viele davon auch noch gegen eine breite Palette von Insektiziden resistent, wohl weil Insektenbekämpfungsmittel in der Insellandwirtschaft seit Jahrzehnten massiv eingesetzt werden.

Auch andere Faktoren stimmten Seuchenbekämpfer pessimistisch: Im ganzen Land war die medizinische Infrastruktur in einem desolaten Zustand. Das Gesundheitsministerium hatte weder Geld noch Personal, um selbst die kleinen Pestausbrüche unter Kontrolle zu bringen, die seit 1921 regelmäßig in abgelegenen Landgemeinden zwischen September und April auftreten. Die für die Seuchenüberwachung und -bekämpfung verantwortliche Direction de la Veille Sanitaire et de la Surveillance Epidémiologique war durch Geldmangel auf eine Handvoll Mitarbeiter zusammengeschmolzen.

All diese Faktoren trugen dazu bei, dass seit Epidemiebeginn Anfang August letzten Jahres 2348 Personen an Pest erkrankten, 1854 davon eine Lungenpest entwickelten und jeder zehnte an den Folgen erstickte oder verblutete. Überlebende wurden stigmatisiert: Zu groß war die Sorge, sie trügen noch den „Schwarzen Tod“ mit sich und seien ein Risiko.

Kosten- und personalintensive Seuchenbekämpfung

Trotz der widrigen Umstände gelang es der WHO – mit überaus kosten- und personalintensiven Bemühungen –, die Epidemie zu stoppen. Noch im April wird Generaldirektor Ghebreyesus sie wohl für beendet erklären. Seit Ende November wurden keine neuen Pesterkrankungen mehr registriert. Vorläufig ist der Termin, weil die Pesterreger weiterhin in der Nagetierpopulation zirkulieren.

Die erfolgreiche Seuchenbekämpfung ist der konsequenten Umsetzung eines Masterplans zu verdanken. Diesen hatte die WHO nach der Ebola-Epidemie in Westafrika entwickelt. Binnen kürzester Zeit wurden Hunderte Seuchenkontrolleure auf die Insel geflogen, zehn Pestbehandlungszentren in Zeltkliniken eingerichtet, für den Transport hoch infektiöser Patienten geeignete Krankenwagen, Schutzkleidung für Tausende Freiwillige und 1,2 Millionen Dosen Antibiotika bereitgestellt. Schulen wurden geschlossen und Klassenräume mit Insektenvernichtungsmittel eingesprüht.

Außerdem wurden rund 8000 Gesundheitsagenten ausgebildet, die jedem Gerücht über einen möglichen Pestfall nachgingen und mithilfe eines Schnelltests überprüften. Dabei wurden mehr als 7300 Kontaktpersonen von Patienten aufgespürt und behandelt. Um die dabei anfallenden Informationen aus den Dörfern an die Einsatzzentrale zu leiten, wurde eine Mobilfunk-App entwickelt, mit der die Einsatzleitung die geografische Verteilung der Pestfälle in Echtzeit verfolgte.

Ein Bruchteil der Millionenkosten hätte den Ausbruch der Epidemie verhindert

Damit nicht genug: Eine Gruppe von Kommunikationsfachleuten entwickelte Flyer, Videos und Musikclips, die wichtige Informationen über die Pest für unterschiedliche Altersgruppen und Bildungsniveaus boten. Ein besonders heikles Thema, nämlich eine breite Akzeptanz für eine medizinisch sichere Variante der traditionellen Bestattungszeremonien zu finden, wurde in Zusammenarbeit mit Medizinsoziologen gelöst.

Glück war allerdings auch im Spiel: Zum einen war und blieb der Erreger empfindlich für die gängigen Antibiotika. Zum anderen wurde er nicht über die beiden internationalen Flughäfen, wo die Ausreisenden anfangs nicht auf Krankheitszeichen untersucht wurden, ins Ausland verschleppt.

Etwa 15 Millionen US-Dollar kosteten die Maßnahmen die WHO. Fachleute sind sich einig: Hätte man nur einen Bruchteil dieses Geldes in den vergangenen Jahren in die Verbesserung der medizinischen Infrastruktur und in eine funktionierende Seuchenüberwachung Madagaskars gesteckt, hätte es diese Epidemie wohl nie gegeben.

Hermann Feldmeier

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