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Bildnummer: 56034266  Datum: 11.10.2004  Copyright: imago/blickwinkel

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Tagesspiegel Plus

Stickstoffeinträge schaden dem Myzel im Waldboden: Angriff auf das Pilzgeflecht

Es versorgt die Bäume mit Nährstoffen und hilft ihnen bei der Kommunikation. Aber das Pilzmyzel im Waldboden ist gefährdet: wahrscheinlich durch Gülle.

Im Jahr 1997 veröffentlichte Suzanne Simard im Fachmagazin „Nature“ einen Artikel mit dem Titel „The wood-wide web“. In Anlehnung an den Begriff „World Wide Web“ für das Internet beschrieb die kanadische Forstwissenschaftlerin das „waldweite“ Netz bestimmter Pilze im Boden und dessen lebenswichtige Funktion für die Wälder. Das unterirdische Geflecht von Fäden dieser Mykorrhiza-Pilze, das „Myzel“, dient unter anderem zum Austausch von Kohlenhydraten und sogar Nachrichten zwischen Bäumen.

Stickstoffeinträge aus der Atmosphäre schaden den Mykorrhizapilzen jedoch und gefährden so die Gesundheit von Waldökosystemen, zeigen jüngste Forschungsergebnisse des „Internationalen Kooperationsprogramms Wälder“, kürzlich veröffentlicht im „ISME Journal“.

Im Waldbeobachtungsnetzwerk „ICP-Forests“ erfassen Förster und Wissenschaftler in ganz Europa an hunderttausenden Nadel- und Laubbäumen Messdaten: etwa die Art, Höhe und den Stammdurchmesser der Bäume, verschiedene Klima- und Umweltfaktoren wie Stickstoffeinträge aus der Luft, Bodenqualität und das Zusammenwirken von Ektomykorrhiza und Bäumen.

Durch atmosphärische Stickstoffeinträge von mehr als 5,8 Kilogramm pro Jahr auf einen Hektar Wald werden Mykorrhizapilze geschwächt.

Walter Seidling, Thünen-Institut Eberswalde

Ektomykorrhizapilze – ihre Bezeichnung setzt sich aus dem griechischen „Mykes“ für Pilz und „Rhiza“ für Wurzel zusammen – umspinnen mit einem feinen Geflecht Wurzelspitzen von Bäumen und reichen bis in die Zellenzwischenräume der Wurzelrinde. Hier findet der intensive Austausch von Nährstoffen und Informationen zwischen Pilz und Baum statt. Neben den Ektomykorrhizapilzen gibt es Endomykorrhizapilze, deren Geflecht direkt in die Wurzeln hinein wächst. Diese spielen für mitteleuropäische Baumarten allerdings nur eine untergeordnete Rolle.

Grenzwert wird in Deutschlands Wäldern wahrscheinlich deutlich überschritten

Fast alle heimischen Baumarten haben Pilzpartner. Etwa ein Drittel sämtlicher Pilzarten in unseren Wäldern sind Mykorrhizapilze. Bei ihren Untersuchungen haben Forschende festgestellt, dass hohe Stickstoffeinträge durch die Luft diese engen Kooperationen zwischen Pilzen und Bäumen empfindlich stören, indem sie die Konkurrenzverhältnisse zwischen Pilzen im Boden stark verändern. Pilzarten, die an stickstoffarme Standorte angepasst sind, werden durch diese Stickstoffeinträge aus der Luft durch Arten verdrängt, die sich in diesem Milieu wohler fühlen.

„Wir konnten nachweisen, dass durch atmosphärische Stickstoffeinträge von mehr als 5,8 Kilogramm pro Jahr auf einen Hektar Wald Mykorrhizapilze geschwächt werden“, sagt Walter Seidling, der am Eberswalder Thünen-Institut den deutschen Beitrag zu ICP-Forests koordinierte. Dieser Grenzwert wird wahrscheinlich auf den meisten Waldflächen Deutschlands deutlich überschritten. Laut Bundesamt für Naturschutz erreichen Stickstoffeinträge aus der Luft pro Hektar sechs bis 60 Kilogramm im Jahr. An Waldrändern sogar bis zu 100 Kilogramm. Als größter Verursacher dieser Stickstoffemissionen gilt die Landwirtschaft. Stickstoff wird etwa freigesetzt, wenn Gülle auf Felder ausgebracht wird.

Eine Quelle der Stickstoffeinträge, die  aus der Luft in den Waldboden gelangen und der Mykorrhiza schaden, könnte Gülle aus der Landwirtschaft sein.
Eine Quelle der Stickstoffeinträge, die aus der Luft in den Waldboden gelangen und der Mykorrhiza schaden, könnte Gülle aus der Landwirtschaft sein.

© Philipp Schulze/dpa

„Wesentlich für diese Erkenntnisse zu Auswirkungen des Stickstoffs waren Untersuchungen der englischen Mykorrhiza-Arbeitsgruppe“, sagt Seidling. Filipa Cox von den Royal Botanic Gardens in Kew und ihre englischen Kollegen hätten entscheidende Erkenntnisse gewonnen. Cox und ihr Team haben das Erbgut von fast 40.000 Ektomykorrhizapilzen analysiert. Die Artzugehörigkeit sämtlicher aktiven Mykorrhizapilze zu bestimmen war laut Seidling die Basis, um Auswirkungen der Stickstoffeinträge auf die Pilze erfassen zu können.

„Zahlreiche Pilzpartner wie der sehr häufige Warzige Hirschtrüffel bilden unterirdische Fruchtkörper und werden bei der optischen Suche meist übersehen“, sagt Seidling. Andere Mykorrhizapilze wie Steinpilze oder Pfifferlinge bilden nicht jedes Jahr Fruchtkörper aus. Die Verfügbarkeit von Stickstoff hat sich in wenigen Jahrzehnten von einem Mangelfaktor grundsätzlich zu einem im Überfluss vorhandenen Nährstoff gewandelt. „Die Waldökosysteme hatten tausende von Jahren Stickstoffhunger“, sagt Seidling.

Die Fruchtkörper von Maronen-Röhrling und Steinpilzen werden gern gesammelt, unterirdisch sind ihre Myzele jedoch überlebenswichtig für die Bäume in den Wäldern, in denen sie wachsen.
Die Fruchtkörper von Maronen-Röhrling und Steinpilzen werden gern gesammelt, unterirdisch sind ihre Myzele jedoch überlebenswichtig für die Bäume in den Wäldern, in denen sie wachsen.

© ZB

Unter diesen Bedingungen haben sich viele Pilzarten als wichtige Partner von Bäumen etablieren können, indem sie diesen Nährstoff lieferten. Das Myzel der Pilze kann das Wurzelnetzwerk von Bäumen bis zu hundertfach vergrößern. Dadurch versetzt es Bäume in die Lage, selbst rare Bodennährstoffe in ausreichender Menge zu erschließen.

Schutz vor Parasiten

Zudem erfüllten Pilze weitere wichtige Funktionen für die Gesundheit der Bäume, etwa zum Schutz vor pathogenen Pilzen wie Hallimascharten. „Wo Bäume mit gesunden Mykorrhizen leben, haben diese Schwächeparasiten schlechte Karten“, sagt Seidling. Die Pilzgeflechte verhindern, dass pathogene Pilze in Baumwurzeln eindringen können. Zudem schützen sie mit ihrem dichten Geflecht die empfindlichen Wurzelspitzen vor dem Austrocknen, was in der aktuellen Klimakrise zunehmend eine Rolle spielt.

Eine komplexe Partnerschaft, für die Pilze gewissermaßen Durchleitungsgebühren einfordern. Sie ziehen Stoffe für ihren Eigenbedarf ab, sagt Seidling. „Die Pilze filtern Stoffe, lasse also nicht alle durch.“

Er verweist auf nährstoffarme Waldstandorte, die meist mit Nadelbäumen bestockt seien. Pilzsucher wissen, dass gerade auf solchen Böden hohe Aussichten bestehen, mit Fruchtkörpern von Mykorrhizapilzen wie Pfifferlingen oder Maronen die Körbe zu füllen. „Unser Projekt hat ermittelt, dass bei steigenden Stickstoff-Einträgen auf diesen oligotrophen Flächen, die dortigen Ektomykorrhizen und natürlich auch die an sie gebundenen Bäume wie Fichten oder Kiefern zunehmend leiden.“

Nicht nur Schadstoffe, auch die anhaltende Trockenheit schadet den Pilzgeflechten im Waldboden.
Nicht nur Schadstoffe, auch die anhaltende Trockenheit schadet den Pilzgeflechten im Waldboden.

© Sinan Reçber

Es sei ein Wechselspiel. „Kann ein gesunder Baum dem Pilz ausreichend Kohlenhydrate liefern, ist der Pilzpartner vitaler, wächst besser und beschafft dem Baum mehr Nährstoffe aus dem Boden“, erklärt Seidling. Falls nicht, liefert der Pilzpartner weniger und beide sind geschwächt. Bäume sind laut Seidling aber zeitlebens auf Pilzpartner angewiesen. „Sie haben stets mehrere Pilzpartner und praktizieren hier eine Art Risikoverteilung.“ Sollte ein Pilzpartner ausfallen, können bis zu einem gewissen Maße andere deren Part übernehmen.

Birken kommunizieren über das Pilzmyzel mit Douglasien

Neben dem Nährstofftransport tauschen Bäume über das „waldweite Netz“ auch Nachrichten aus. Sie informieren etwa ihre Nachbarbäume, wenn sie von Insekten angegriffen werden oder wenn Nährstoffe fehlen. Suzanne Simard zeigte, dass Birken während ihres Blattaustriebs mit Kohlenhydraten von Douglasien versorgt wurden. Im Laufe der Vegetationsperiode revanchierten sich die Birken, indem sie Kohlenhydrate an die Douglasien lieferten.

Zur Vitalisierung von Stadtbäumen oder auch bei Aufforstungen von Ackerland sei es angebracht, Mykorrhizapilze in den Boden zu bringen. Sonst komme es bei Aufforstungen zur sogenannten „Ackersterbe“, die gepflanzten Bäume sterben ab oder verkümmern: Pilz und Baum sind abhängig voneinander.

Seidling ist besorgt: „Wenn weiter hohe Stickstoffeinträge in die Waldökosysteme gelangen, wird sich das Pilzartenspektrum massiv verändern und auch verringern.“ Pilzarten, die mit hohen Stickstoffeinträgen leben können, würden dann zunehmen. „Andere werden mit diesen gestärkten Arten nicht mehr konkurrieren können und verschwinden.“

Für die Gesundheit der Wälder wäre das eine schlechte Prognose. Waldbäume, die seit Jahren durch Trockenheit geschwächt sind und wie die Esche mit eingeführten Pilzkrankheiten aus Asien kämpfen, würden damit auf zahlreichen Standorten ihre wichtigsten Verbündeten verlieren.

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