
© Alfred-Wegener-Institut / Boris Radosavljevic
Tauwetter in der Arktis: Permafrostböden haben viele Kipppunkte
Das Auftauen bislang dauerhaft gefrorener Böden in der Arktis gilt als Treibhausgas-Zeitbombe. Dass sie bei einer bestimmten Temperatur gezündet wird, ist nach einer neuen Bewertung jedoch unwahrscheinlich.
Stand:
Gefrorene Böden der Arktis speichern große Mengen Kohlenstoff, der bei ihrem Auftauen in Form der Treibhausgase Kohlendioxid oder Methan frei werden und das Tauen verstärken könnte. Doch nach einer neuen Bewertung gibt es keinen Schwellenwert der globalen Temperatur, ab dem dieser Prozess für alle Permafrostböden in Gang gesetzt würde, berichten Forschende im Fachjournal „Nature Climate Change“.
Permafrostböden entsprächen damit nicht der Definition von Kippelementen im Klimasystem, die bei Erreichen eines Kipppunktes kaum umkehrbar in einen neuen Funktionsmodus übergehen. Bekannte Beispiele sind das Abtauen des Grönländischen Eisschildes oder der Übergang von Regenwald zu offenerer Landschaft in Amazonien. Entwarnung für die Permafrostböden im Klimawandel gibt das Autorenteam der aktuellen Studie jedoch nicht: „Wir argumentieren, dass es ohne globalen Kipppunkt keinen Sicherheitsspielraum gibt, innerhalb dessen der Verlust von Permafrostböden akzeptabel wäre.“
Es gibt keine Evidenz für sich selbst verstärkende interne Prozesse, die ab einem bestimmten Grad der globalen Erwärmung den gesamten Permafrost gleichzeitig erfassen würden.
Jan Nitzbon, Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung
Die Studie zeige, dass die Permafrostzone sehr heterogen ist. Viele kleine lokale Kipppunkte werden deshalb zu unterschiedlichen Zeiten und Erwärmungswerten überschritten und ihre Effekte summieren sich über die Zeit auf. Das weltweite Tauen des Permafrosts verläuft nicht langsam ansteigend und dann mit einem plötzlichen Sprung, sondern parallel zur globalen Erwärmung – bis zum Totalverlust bei etwa fünf bis sechs Grad Celsius globaler Erderwärmung.
Ein riesiger Kohlenstoffspeicher
Permafrostböden bedecken etwa ein Viertel der Landfläche auf der Nordhalbkugel und speichern riesige Mengen von organischem Kohlenstoff in abgestorbenen Pflanzenresten. Diese werden im gefrorenen Zustand nicht abgebaut. Erst wenn der Permafrost taut, werden Mikroorganismen aktiv und setzen viel Kohlenstoff als Kohlendioxid und Methan in die Atmosphäre frei.
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Die steigenden globalen Temperaturen könnten diese gigantischen Speicher also aktivieren und den Klimawandel durch zusätzliche Emissionen massiv verstärken. Daher wird angenommen, dass der Permafrost ähnlich wie der Eisschild auf Grönland eines von mehreren Kippelementen im Erdsystem ist. Demnach schwindet der Permafrost im Zuge der globalen Erwärmung zunächst nur langsam. Erst beim Überschreiten eines kritischen Schwellenwertes verstärken sich die Auftauprozesse plötzlich selbst und ein rasanter, unumkehrbarer globaler Permafrost-Kollaps setzt ein.
Ob diese Vorstellung zutrifft, hat nun ein internationales Forschungsteam um Jan Nitzbon vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) untersucht. „Wir haben für unsere Studie alle aktuellen Erkenntnisse zu Auftauprozessen daraufhin bewertet, ob und auf welcher räumlichen Skala – lokal, regional, global – sie zu einem selbsterhaltenden Auftauen und somit zu einem Kippen bei einem bestimmten Erwärmungsschwellenwert führen können“, wird der Forscher in einer Mitteilung des AWI zitiert.

© Alfred-Wegener-Institut / Josefine Lenz
Die Forschenden fanden sich selbst verstärkende, teilweise unumkehrbare geologische, hydrologische und physikalische Prozesse. Diese wirkten jedoch nur lokal oder regional. Ein Beispiel ist die Bildung sogenannter Thermokarst-Seen. Dabei schmilzt Eis in Permafrostböden, die daraufhin absinken. Das Schmelzwasser sammelt sich an der Oberfläche und bildet einen dunklen See, der viel Sonnenenergie absorbiert. Dadurch verstärkt sich die Erwärmung des Permafrosts unter dem See und es entsteht ein sich selbst erhaltender Tauprozess.
Ähnliche verstärkende Rückkopplungen fanden sich auch bei anderen für den Permafrost relevanten Prozessen wie dem Verlust von borealen Nadelwäldern durch Brände – auch hier jedoch nur im lokalen bis regionalen Maßstab.
„Es gibt keine Evidenz für sich selbst verstärkende interne Prozesse, die ab einem bestimmten Grad der globalen Erwärmung den gesamten Permafrost gleichzeitig erfassen würden“, erklärt Nitzbon. Auch die geschätzte Freisetzung von Treibhausgasen aus den Permafrostböden würde mindestens bis zum Ende des Jahrhunderts nicht zu einem globalen Sprung in der Erderwärmung führen.
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