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NAchgemessen: Das Verhältnis von Taille zu Körpergröße ist ein besseres Maß für überschüssiges Körperfett als der Körper-Masse-Index BMI.

© Shutterstock / New Africa/New Africa

Übergewichts-Paradoxon widerlegt: Kein Überlebensvorteil bei Herzleiden

Übergewicht soll bei einer Herzschwäche entgegen der medizinischen Erwartung einen Überlebensvorteil bieten. Nun zeigt eine Studie, dass ein anderer Faktor viel wichtiger ist.

Von Alice Lanzke

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Übergewichtige oder fettleibige Patient:innen haben bei einer Herzinsuffizienz offenbar doch keinen Überlebensvorteil. Schottische Forschende berichten im „European Heart Journal“, dass ihre Studienergebnisse dieses Adipositas-Paradoxon entkräfteten.

Das Adipositas-Paradoxon besagt, dass Menschen mit Übergewicht oder Fettleibigkeit zwar ein höheres Risiko haben, Herzprobleme zu entwickeln, bei solchen Erkrankungen aber eher überleben als normalgewichtige Patienten. Um dies zu begründen mussten Mediziner spekulieren: etwa, dass zusätzliches Fett bei Herzbeschwerden einen Schutz vor weiteren gesundheitlichen Problemen bieten könnte.

BMI weniger aussagekräftig als Proportionen

Ein Team um den Kardiologen John McMurray von der Universität Glasgow vermutete indes, dass der BMI ein eher schwacher Hinweis dafür sei, wie viel Fettgewebe ein Patient hat. „Wir wussten, dass dies nicht stimmen konnte und dass Fettleibigkeit eher schlecht als gut sein musste“, sagt er mit Blick auf das Adipositas-Paradoxon.

Der BMI setzt das Gewicht eines Menschen in Verhältnis zur Größe. Er lässt jedoch die Zusammensetzung von Fett, Muskeln und Knochen sowie die Fettverteilung außer Acht. Darauf weisen Stephan von Haehling und Ryosuke Sato vom Universitätsklinikum Göttingen in einem Kommentar zur Studie hin.

„Wäre es plausibel anzunehmen, dass ein amerikanischer Profi-Ringer (mehr Muskeln) und ein japanischer Sumo-Ringer (mehr Fett) mit demselben BMI ein ähnliches Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen hätten?“

Das gelte auch für besonders muskulöse Menschen wie den Schauspieler Arnold Schwarzenegger, der in jüngeren Jahren vermutlich einen BMI um 30 hatte, was eigentlich starkem Übergewicht entspricht. Die aktuelle Untersuchung stellt den Körper-Masse-Index (BMI) als Anzeiger für den Gesundheitszustand in Frage. Überschüssiges Körperfett lasse sich besser aus dem Verhältnis von Taille zu Körpergröße schließen, betonen die Wissenschaftler.

Mehr Todesfälle unter stark Übergewichtigen

In der Studie analysierte das Team Daten von 1832 Frauen und 6567 Männern mit einer bestimmten Form von Herzinsuffizienz. Ärzte untersuchten dabei etwa die Werte zu BMI, Körpermaßen und Blutdruck sowie die Ergebnisse von Bluttests und die Krankengeschichte. Dabei wurde auch erfasst, welche Patienten mit Herzversagen ins Krankenhaus kamen und welche daran verstarben.

Unter adipösen Patient:innen mit einem BMI ab 25 gab es tatsächlich weniger Todesfälle. Dieses Ergebnis löste sich aber auf, als das Team auch andere Faktoren berücksichtigte. „Das Paradoxon war weit weniger offensichtlich, als wir das Verhältnis von Taille zu Körpergröße untersuchten, und es verschwand nach der Korrektur in Hinblick auf die prognostischen Variablen“, sagt Erstautor Jawad Butt vom Kopenhagener Universitätsklinikum Rigshospitalet.

Nach dieser Korrektur hätten sowohl der BMI als auch das Verhältnis von Taille zu Größe gezeigt, dass mehr Körperfett mit einem höheren Risiko für Tod oder Krankenhausaufenthalt in Verbindung stehe. Beim Verhältnis zwischen Taille und Größe sei dieser Zusammenhang aber noch deutlicher gewesen: „Jene 20 Prozent der Menschen mit dem meisten Fett hatten ein um 39 Prozent höheres Risiko, bei einem Herzversagen ins Krankenhaus eingeliefert zu werden, als jene Teilnehmer, die in Bezug auf das Fett zu den unteren 20 Prozent der Patienten gehörten.“

„Unsere Studie zeigt, dass es kein Adipositas-Überlebensparadoxon gibt, wenn wir bessere Methoden zur Messung des Körperfetts verwenden“, bilanziert McMurray. Der BMI berücksichtige weder die Lage des Fettes im Körper noch seine Menge im Verhältnis zu den Muskeln oder dem Gewicht des Skeletts, das je nach Geschlecht, Alter und Ethnie unterschiedlich sein könne. Gerade bei Herzinsuffizienz würden zudem auch Flüssigkeitsansammlungen zum Körpergewicht beitragen, so der Mediziner: „Indikatoren, die das Gewicht nicht einbeziehen, wie das Verhältnis von Taille zu Körpergröße, haben in unserer Studie die wahre Beziehung zwischen Körperfett und Patientenergebnissen verdeutlicht.“

Die Frage, ob eine Gewichtsabnahme die Prognose verbessern könnte, sollten künftige Studien überprüfen, sagt McMurray. „In Großbritannien empfiehlt das National Institute for Health and Care Excellence jetzt, für die allgemeine Bevölkerung anstelle des BMI das Verhältnis von Taille zu Körpergröße zu verwenden.“ Die sollte auch für Patienten mit Herzinsuffizienz gelten.

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