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Die TH Berlin in der NS-Zeit: Vertriebene Wissenschaftler
Die Technische Hochschule Berlin, die Vorgängerin der TU, wirkte am NS-System mit. Missliebige Forscher wurden früh verfolgt, Professoren forderten Zwangsarbeiter an.
Stand:
März 1933: Ein Angehöriger des Lehrkörpers der Technischen Hochschule Berlin macht sich auf, um auf dem Dach des Hauptgebäudes die Hakenkreuzfahne zu hissen. Ein Kollege stellt sich ihm in den Weg, will den Verantwortlichen dafür sogar verhaften lassen. Der Mann mit der Fahne ist Ernst Storm, Privatdozent für Bergwirtschaftslehre, überzeugter Nationalsozialist, SA-Sturmbannführer und seit 1932 Mitglied der NSDAP. Sein Gegenspieler ist Daniel Krencker, Prorektor der Hochschule und nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten einer der wenigen, die sich an der Hochschule noch öffentlich gegen den Nationalsozialismus stellen.
Das Hissen der Fahne kann Krencker für den Moment zwar verhindern, den Einzug der nationalsozialistischen Ideologie jedoch längst nicht mehr. Ein großer Teil der Studierenden und der Angehörigen des Lehrpersonals hatte sich bereits vor 1933 der nationalsozialistischen Bewegung angeschlossen. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten konnten sie nun gegen die Personen an der Hochschule vorgehen, die ihnen schon lange ein Dorn im Auge waren.
Das öffentliche Agieren gegen jüdische Hochschullehrer ließ nicht lange auf sich warten. In Vorbereitung des sogenannten Judenboykotts vom 1. April 1933, von dem Hochschulen nicht verschont blieben, bildeten sich in allen Organisationsgliederungen der NSDAP Aktionskomitees zur Durchführung der Boykottmaßnahmen, auch an der TH Berlin. Unter dem Vorsitz von Willi Willing, seit 1928 NSDAP-Mitglied und zu diesem Zeitpunkt Hilfsassistent an der TH Berlin, forderte das Komitee die „Nichtarier“ unter den Lehrenden auf, sich „in Rücksicht auf die derzeitige Volksstimmung“ beurlauben zu lassen und die Hochschule nicht mehr zu betreten. Manche kamen dem nach, um Schlimmeres zu verhindern.
Mit dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 wurde dann die rechtliche Grundlage für die nationalsozialistische Personalpolitik geschaffen. Das Gesetz richtete sich sowohl gegen Juden als auch gegen politische Gegner der neuen Machthaber. Ausgenommen waren diejenigen, die schon vor dem Ersten Weltkrieg in eine Beamtenstellung übernommen worden waren oder unter die sogenannte Frontkämpferklausel fielen.
An der TH Berlin wurden zum Mai 1933 zunächst 32 Dozenten beurlaubt. Knapp hieß es in der Hochschulzeitung: „Die von diesen Herren angekündigten Vorlesungen fallen aus.“ Den Beurlaubungen folgten bald die Entlassungen. Einige kamen dem zuvor und kündigten ihr Dienstverhältnis, so Nikolaus Kelen, ungarischer Jude und seit 1927 Privatdozent für Bauingenieurwesen. Dem Rektor Ludwig Tübben, teilte er mit: „Während meiner fünfeinhalbjährigen Dozententätigkeit war ich stets bemüht, mit meinem besten Wissen und Können der deutschen Wissenschaft und der deutschen Studentenschaft zu dienen. Die Anerkennung hierfür war meine Beurlaubung. Hierauf kann meinerseits nur eine Antwort sein, ich verzichte auf meine weitere Dozententätigkeit und bitte Sie, mich nicht mehr als Angehörigen der Technischen Hochschule zu betrachten.“
Willi Willing, seit Oktober 1933 Dozentenschaftsführer der Hochschule und Nationalsozialist par excellence, stellte immer wieder Anträge auf Dienstentlassungen. Begründungen wie „ist Jude“, „ist jüdisch verheiratet“ oder „bietet keine Gewähr für jederzeitiges Eintreten für den nationalen Staat“ waren die Regel. In den Jahren 1933 bis 1938 entließ die Technische Hochschule Berlin mindestens 107 Angehörige ihres wissenschaftlichen Personals aus „rassischen“ oder politischen Gründen. Einige von ihnen nahmen sich angesichts dieser Entwicklungen das Leben, so Franz Eisner, Privatdozent für Hydromechanik, im Juni 1933 mit nur 37 Jahren oder Hans Liebermann, Neffe des Malers Max Liebermann und bis 1934 Professor für Organische Chemie, im September 1938.
69 der 107 Unerwünschten flüchteten ins Ausland und versuchten, dort wissenschaftlich Fuß zu fassen, was nicht immer gelang. Mindestens drei der Entlassenen kamen in Konzentrations- bzw. Vernichtungslagern ums Leben. Einer von ihnen war Siegfried Ledermann, von 1927 bis 1933 Oberingenieur am Laboratorium für Werkzeugmaschinen. Im September 1933 schon wurde ihm die Lehrbefugnis entzogen, vier Jahre später emigrierte er in die Niederlande. Doch auch das schützte ihn nicht. 1942 wurde er dort in das Durchgangslager Westerbork eingeliefert, 1944 ins Ghetto Theresienstadt und schließlich nach Auschwitz deportiert, wo er sofort nach der Ankunft in der Gaskammer erstickt wurde.
Wie die Professoren Zwangsarbeiter ausnutzten
Auch Studierende waren von Ausgrenzung und Vertreibung betroffen: Politisch Andersdenkende, allen voran die wenigen KPD-Mitglieder, wurden ab 1933 relegiert. „Nichtariern“ wurde nach und nach die Möglichkeit genommen, Prüfungen abzulegen und Abschlüsse zu erwerben. Das absolute Studienverbot für die sogenannten Volljuden mit deutscher Staatsangehörigkeit kam am 11. November 1938. Den an der Hochschule verbleibenden „Mischlingen“ erging es bald ähnlich. Die Aufnahme eines Studiums wurde immer schwieriger und war bald nur noch mit Genehmigung des Reichserziehungsministers möglich.
Als Entscheidungsgrundlage dienten die politische Beurteilung der zuständigen Gauleitung und die Stellungnahme des Rektors über die Persönlichkeit und das Aussehen des Antragstellers unter „rassischen“ Gesichtspunkten. Von „Merkmale der jüdischen Rasse sind am Antragsteller nicht erkennbar“ über „wenn auch nicht in seinem Äußeren, so doch in seinem Auftreten zu erkennen“ bis hin zu „sind deutlich erkennbar“ reichte die Palette der Beurteilungen des mittlerweile als Rektor amtierenden Ernst Storm. Dass dieser überzeugte Nationalsozialist selbst jüdische Wurzeln hatte und von 1919 bis 1925 mit einer Jüdin verheiratet gewesen war, kam erst 1942 ans Licht. Das brachte ihn zu Fall und die Hochschule ins Gespräch.
Die Amtszeit seines Nachfolgers Oskar Niemczyk stand für Einschränkungen, Terrorangriffe, Kriegsverluste und Zwangsarbeit. Seit 1941 beschäftigte die TH Berlin Zwangsarbeiter, anfangs nur vereinzelt für Kohlehof- oder Transportarbeiten, später in großem Stil. So existierte ab Sommer 1944 auf dem Hochschulgelände im Dachgeschoss des Gebäudes 6 in der Franklinstraße 29 ein „Ostarbeiterlager“ mit mindestens 140 Männern, Frauen und Kindern. Der Jüngste unter ihnen war zehn, der Älteste 74 Jahre alt. Willi Möwitz, seit 1929 Pförtner der TH Berlin, wurde kurzerhand zum Lagerführer ernannt. Die „Ostarbeiter“ mussten vor allem die Schäden beheben, die die Hochschule durch die Luftangriffe erlitt. Mindestens eine „Ostarbeiterin“ kam ums Leben.
Die Unterkunft war nur primitiv eingerichtet und für einen längeren Aufenthalt nicht geeignet. Sie lag unmittelbar in der Nähe wichtiger Forschungsinstitute, die mit geheimsten Entwicklungsarbeiten für die Wehrmacht beschäftigt waren. Deshalb wurden Ende Februar 1945 etwa 120 „Ostarbeiter“ – einschließlich der Kinder – außerhalb der Hochschule eingesetzt und untergebracht. 20 „Ostarbeiter“, sowohl Männer als auch Frauen, verblieben für Instandsetzungsarbeiten und für den Fall, dass es erneut zu Fliegerschäden käme, in der Hochschule.
Die TH Berlin hatte ihren Anteil am nationalsozialistischen System. Die ausgegrenzten und vertriebenen Wissenschaftler und Studierenden, die verhinderten Promotionen und Entziehungen akademischer Grade dienten dem Ziel, Menschen zu diskriminieren und aus der „Volksgemeinschaft“ auszuschließen. Die Arbeitskraft von Zwangsarbeitern wurde von Hochschullehrern angefordert und ausgenutzt, um den Hochschulbetrieb am Leben zu halten.
Die TU Berlin – als Nachfolgerin der TH – hat sich nun dieses Kapitels ihrer Geschichte angenommen. Auslöser für das vom ehemaligen Präsidenten der TU Berlin, Kurt Kutzler, am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin ins Leben gerufene Forschungsprojekt „Vertriebene Wissenschaften an der TH Berlin 1933 bis 1945“ war Dimitri Stein, der im November 2008 an seine Alma Mater zurückgekehrt war, um zu beenden, was ihm 1943 als sogenanntem Mischling verwehrt blieb: der Abschluss seines Promotionsverfahrens.
- Die Autorin hat als wissenschaftliche Mitarbeiterin das Projekt „Vertriebene Wissenschaften an der TH Berlin während des Nationalsozialismus“ bearbeitet. Soeben ist von ihr im Metropol Verlag erschienen: „Diskriminierung, Ausgrenzung, Vertreibung: Die Technische Hochschule Berlin während des Nationalsozialismus.“ Das Buch wurde am Mittwoch vorgestellt. Im Wintersemester will die TU die Auseinandersetzung mit dem Thema fortsetzen. Dafür unterstützt Präsident Jörg Steinbach ein Seminar, bei dem Studierende sich mit dem dunkelsten Kapitel der Unientwicklung näher beschäftigen können.
Carina Baganz
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