
© Min Kim
Zeiten des Wandels: Warum universitäre Veränderungen ganzheitliche Lösungen erfordern
Eigenverantwortung, Diskussionsbereitschaft und langer Atem: Akademische Selbstverwaltung kann nur im Miteinander funktionieren.
Stand:
Norbert Palz ist Präsident der Universität der Künste Berlin.
Unser Hochschulsystem verantwortet derzeit die Förderung einer Generation von Studierenden, die sich mit einer beängstigenden Zukunftsaussicht konfrontiert sieht. Der rettende Weg in das Morgen braucht jetzt schnelle Veränderungen in allen Bereichen der Gesellschaft. Kernthemen dieses Wandels behandeln vor allem die ethische, demokratische und produktive Weiterentwicklung der Digitalisierung über alle Maßstäbe, die Bekämpfung des globalen Klimawandels und die Arbeit an einer möglichst diskriminierungsfreien Gesellschaft. Diese Themen stehen in einer wechselseitigen Beziehung zueinander, die ein klares Ursache-Wirkungs-Verständnis in einem heterogenen Kontext systemischer Akteur:innen erschwert.
Der Forschungs-, Bildungs- und Kulturstandort Berlin und die an ihm ansässigen und regionalen Institutionen nehmen die Bearbeitung dieser Themen schon heute sehr ernst. So hat es sich die Berlin University Alliance zur Aufgabe gemacht, relevante Forschungsfragen für die Zukunftsentwicklung u. a. in den Feldern von Medizin und sozialem Zusammenhalt gemeinsam mit der Zivilgesellschaft zu untersuchen und innovative Lösungswege zu suchen.
Ebenso widmet sich der Antrag für ein Einstein Center Climate Change and Public Policy of Human Settlements, der aktuell auch unter Mitwirkung der Universität der Künste Berlin entsteht, diesen grundlegenden Fragen und sucht schnell wirksame Lösungsansätze zu entwickeln, die auf Austausch vieler Disziplinen beruhen und unter Einsatz von Künstlicher Intelligenz und Big Data methodisch untersucht werden.
Veränderungsprozesse müssen nachhaltig umgesetzt werden
In einer Krisenzeit wie der jetzigen verleihen aber auch Hochschulmitglieder allerorten ihrem Bedürfnis nach institutionellen Veränderungen deutlichen Ausdruck. Offene Briefe, Runde Tische, Demonstrationen, Solidaritätsbekundungen, Strategiepapiere, Sonderveranstaltungen und thematische Arbeitskreise sind Repräsentation dieses Veränderungswillens unterschiedlicher Statusgruppen.
Aller Dringlichkeit zum Trotz ist dieser Wandel nur im Einklang mit den gültigen akademischen Selbstverwaltungsstrukturen umzusetzen. Es gilt deshalb zu überlegen, wie eine produktive Handlungsfähigkeit dieser demokratischen Instrumente eingerichtet werden kann, sodass ebenso zügig wie nachhaltig Veränderungsprozesse gestaltet, gesamtuniversitär verstanden, getragen und in die diversen Handlungsfelder von Forschung, Lehre und Verwaltung umgesetzt werden können.
Im Folgenden seien ein paar Bausteine einer konstruktiven demokratischen Hochschulselbstverwaltung benannt, die ich gerade heute als wichtig und förderwürdig erachte. Sie sind aus einer Perspektive der Universität der Künste Berlin entwickelt, können aber durchaus auf andere Hochschultypen angepasst werden.
Alle Hochschulmitglieder werden für den Wert der akademischen Selbstverwaltung sensibilisiert und für eine Teilhabe daran motiviert. Bestehende hierarchische, inhaltliche und kommunikative Hürden werden erkannt und abgebaut. Selbstverwaltung ist Herausforderung, aber vor allem ist sie Chance, denn sie steht im Gegensatz zu einer international üblicheren Fremd- und Detailsteuerung der Hochschulangelegenheiten durch öffentliche und private Mittelgeber:innen. Sie ist ein Garant für die akademische Freiheit.
Die präsidiale Wirkungsmacht hat klare Grenzen
Das Hochschulleitungsteam setzt eigene Schwerpunkte der Hochschulentwicklung für die Jahre seiner Amtszeit(en) und fördert diese. Doch hat diese präsidiale Wirkungsmacht klare Grenzen, welche z. B. durch das Hochschulgesetz gezogen werden. Die produktive, aber zeitintensive Aushandlung der Hochschulentwicklung zwischen Hochschulleitung und universitärem Gremienkorpus stellt eine Qualität von Hochschulgovernance dar. Aus dem Wissen um die Vergangenheit der eigenen Hochschule während der NS-Zeit wird offenbar, wie schnell eine grundlegende Umwidmung des Hochschulprofils erfolgen kann, wenn die Struktur konform ausgerichtet wird und autoritäres und willkürliches Handeln herrscht. Dieser stets aktuellen Gefahr müssen sich alle Hochschulmitglieder bewusst sein und schon früh Anzeichen antidemokratischer Umwertung erkennen.
Die Hochschulgremien versammeln die gewählten Vertreter:innen der Statusgruppen. Um ein ganzheitliches Abbild der Hochschule zu gewinnen, ist die Repräsentation marginalisierter Gruppen als Mitglieder in diesen akademischen Gremien wichtig. Dafür gilt es zu werben und – auch hier – noch bestehende Hürden abzubauen.
Alle Mitglieder der Hochschule sind Teil des universitären Ganzen. Trotz aller natürlichen inhaltlichen Differenzen zwischen ihnen ist im Angesicht der kommenden Herausforderungen der Wille zum gemeinsamen Diskurs der nötige Modus Operandi. Die gemeinsame Gremienentscheidung geht für alle Beteiligten mit einer geteilten Verantwortungsübernahme einher, die nicht immer leicht, aber Teil des demokratischen Prozesses ist. Gremienentscheidungen liefern qualitativ oft politische Mittelpositionen, die radikalere Erwartungen an den Wandel nicht erfüllen und deshalb bei Einzelnen Enttäuschung, Frustration und Wut erzeugen können. Dies ist jedoch unvermeidbar.
Auch die Kommunikationsprozesse müssen nicht kunstfern verlaufen
Um zur Lösung einer engagiert geführten Aushandlung zu gelangen, ist die Bereitschaft aller zum Kompromiss, zum offenen Zuhören und zur emphatischen Anerkennung notwendig. Der Diskurs des Wandels erfordert ebenso eine fachliche Vertrautheit der Teilnehmenden mit den unterschiedlichen gesetzlichen und akademischen Rahmenbedingungen, um dann in die genauere Gestaltung von Struktur- und Inhaltsprozessen überführt zu werden. Hierfür ist eine zentrale Klärung der Gremienfunktionen und des rechtlichen Rahmens nötig.
Dass selbst diese Kommunikationsprozesse nicht kunstfern verlaufen müssen, bezeugt beispielsweise die Konversationskunst des Hamburger Künstlerpaars Antje Eske und Kurd Alsleben. In ihrer Praxis der letzten 30 Jahre wurden Methoden des gemeinsamen Kommunizierens künstlerisch und performativ praktiziert, um Perspektivwechsel zu befördern und zu einer offenen, zuversichtlichen Dialogform zu gelangen.
Die Arbeit an universitären Veränderungsprozessen ist eingebettet in einen bildungsbiographischen Wandel, den die kommenden Studierendengenerationen in ihrer Lebenszeit passieren, sei es in den Kindertagesstätten, Schulen, Universitäten oder Institutionen lebenslanger Bildung. Die künstlerische Ausbildung der nächsten Lehrer:innengeneration ist von eminenter Bedeutung, um einen schöpferischen Raum zwischen den Künsten, der Gestaltung und Wissenschaft aufzuspannen, der neue Denk- und Praxisformen für den Wandel erlaubt. Die Schmälerung künstlerischer Ausbildungsqualität in der Breite der kommenden Generation hat direkte Auswirkung auf die kulturelle Ausgestaltung der Gesellschaft und ihr Innovationsvermögen. Die Politik ist aufgerufen, förderliche ökonomische und räumliche Strukturen zu befördern, damit dies gelingt. Die Universität der Künste Berlin muss sich dieser hoheitlichen Aufgabe weiterhin fortwährend gewahr sein und sie in ihren Gremienentscheidungen, Handlungen und Zuwendungen prioritär stützen.
Die Hochschule muss ihrer Bildungsverantwortung gerecht werden können
Die Ausrichtung universitärer Veränderungsprozesse bedarf eines Verständnisses aller Mitglieder über die hoheitlichen Aufgaben der Universität in Abgrenzung zu anderen staatlichen Institutionen. Das Berliner Hochschulgesetz fasst dies in § 4 Absatz 1 wie folgt zusammen: „Die Hochschulen dienen der Pflege und Entwicklung von Wissenschaft und Kunst durch Forschung, Lehre und Studium und der Vorbereitung auf berufliche Tätigkeiten. Sie wirken dabei an der Erhaltung des demokratischen und sozialen Rechtsstaates mit und tragen zur Verwirklichung der verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen bei.“
Diese Abgrenzung ist nötig, um eine dauerhafte inhaltliche und ökonomische Überforderung der Hochschulen durch neue Zusatzaufgaben zu vermeiden und ihrer Bildungsverantwortung in den Künsten, der Wissenschaft und der Gestaltung gerecht zu werden. Abgrenzung bedeutet dann aber auch lösungsorientierte Kommunikation der Aufgabenschnittstelle mit den fachlich geeigneten anderen Institutionen im Dienste einer ganzheitlichen Lösung. Hierauf gilt es zukünftig ein Augenmerk zu richten, sodass eine bessere inneruniversitäre und überinstitutionelle Kommunikation zwischen den relevanten Akteur:innen befördert wird.
In einer Epoche großer politischer und emotionaler Unklarheit ist es jetzt notwendig, Formen der gemeinschaftlichen Zukunftsgestaltung zu entwickeln, die von vielen Schultern getragen werden können und schnell umsetzbar sind. Gute kollektive inneruniversitäre Entscheidungsfindung ist wichtig und einzuüben. Als Präsident der Universität der Künste Berlin ist es mir ein Anliegen, dieses demokratische Instrument zusammen mit meinem Team und den Gremien zu befördern und zu schützen.
Denn seit Corona wissen wir: We are in this together.
Für den Inhalt dieses Textes ist die UdK Berlin verantwortlich.
Norbert Palz
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