
© Carola Radke/MfN
Weltnaturkonferenz – Vielfalt erhalten: Mit neun Augen durch die Havel
Neunaugen sind keine Fische, sondern urzeitliche Wirbeltiere und das macht sie interessant für die Forschung. Meerneunaugen geht es teilweise gut, europäischen Flussneunaugen eher nicht.
Stand:
Anlässlich der Weltnaturschutzkonferenz in Montréal vom 7. bis 19. Dezember beschreiben wir in Zusammenarbeit mit dem Museum für Naturkunde Berlin (MfN) täglich eine bedrohte, ausgerottete oder gerettete Spezies aus dessen Sammlung. Ziel der Konferenz ist ein neues Weltnaturabkommen, in dem sich die Weltgemeinschaft verpflichtet, das Arten- und Lebensraumsterben bis 2030 zu stoppen. Mit den Einblicken in die Berliner Sammlung wollen wir exemplarisch zeigen, was auf dem Spiel steht. Autorin der Artikelfolge ist Gesine Steiner, Sprecherin des MfN. Heute: das Meerneunauge.
Räuber unter den Speisefischen
Neunaugen gehören zu unserer faszinierenden und vielfältigen Lebenswelt, auch wenn die „Fische“ auf den ersten Blick bestenfalls Neugier wecken. Meerneunaugen (Petromyzon marinus) können Ökosysteme stark beeinflussen – eingeschleppt mit Schiffen, dezimieren sie in den Großen Nordamerikanischen Seen die Bestände von Marktfischen empfindlich. Denn mit ihrer Raspelzunge und einer Saugscheibe voller Zähne halten sie sich an ihnen fest, um deren Blut und Gewebe zu fressen. Sie kommen gut über die Runden, was man von ihren Europäischen Verwandten nicht sagen kann. Sie zählen zu den bedrohten Populationen.
Neunaugen sind die letzten Überlebenden einer urzeitlichen Wirbeltiergruppe, die es schon doppelt so lange gibt wie die Dinosaurier. Forschende können viele Vergleiche mit fossilen kieferlosen Wirbeltieren anstellen und Fragen der frühen Wirbeltierevolution aufklären.
Das Meerneunauge wird in den Oberläufen von Flüssen geboren und wandert nach mehreren Jahren Larvenzeit ins Meer zurück um dort zu fressen. Es kam in allen Flüssen vor, die zur Nord-und Ostsee entwässern. In Berlin war es schon immer selten. Heute gilt es bei uns als verschollen. Die Larven erlagen der Gewässerverschmutzung und die erwachsenen Tiere den Gefahren und Hindernisse auf den Wanderungen durch die Flüsse.
Früher gab es aber größere Bestände von Flussneunaugen (Lampetra fluviatilis) in Spree und Havel, die in Europa auch wirtschaftlich genutzt wurden. Die Larven der Neunaugen, auch „Querder“ genannt, wurden bis Mitte des 19. Jahrhunderts als eigene Art beschrieben. August Müller wies dann 1856 in Berlin an den Bachneunaugen der Panke die Verwandlung der „Querder“ in erwachsene Neunaugen nach.
Im Rahmen der EU-Wasserrahmenrichtlinie gibt es viele Bemühungen, unsere Flüsse wieder für Wanderfische wie das Meerneunauge durchgängig zu machen. Einige Nachweise gab es in den letzten Jahren in der unteren Havel. Der Weg nach und durch Berlin ist aber noch lange nicht frei.
Die Meerneunaugen im Berliner Naturkundemuseum sind Beifänge kommerzieller Fischerei. Ein Exemplar wurde 1868 in der Havel bei Pichelswerder gefangen, was schon damals eine Seltenheit war. Ein zweites und drittes Exemplar, 1889 an das Museum übergeben, hatten es bis in die „Unterspree zwischen Berliner Damm und Kurfürstenbrücke“ geschafft. Die Exemplare sind in Alkohol konserviert in der Nasssammlung im Besucherbereich des Ostflügels zu sehen.
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