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Eine repräsentative Büroeinrichtung aus der DDR-Zeit.

© Mike Wolff

Verfemte Forscher: Wie die DDR-Wissenschaft Weltniveau verspielte

Ein "bürgerliche" Herkunft und Kritik an der Partei kostete Forschende in der DDR mehr als ihre Karrieren. Reinhard Buthmann hat Schicksale rekonstruiert.

Stand:

In seinen „Erinnerungen“ von 1996 rühmt Kurt Hager, seit 1952 als Chefideologe verantwortlich für die Wissenschaft in der DDR, die Eigenentwicklung des Atomreaktors in Rossendorf. Doch „leider enttäuschte der Direktor des Instituts bald das in ihn gesetzte Vertrauen durch die Abwanderung in den Westen“. Die ungenannte Unperson war der Atomphysiker, National- und Stalinpreisträger Heinz Barwich.

Als parteiloser Wissenschaftler besaß er den Mut, eine kollektive Ergebenheitsadresse an Ulbricht zu verweigern, weil er nicht mit der gesamten Politik der DDR einverstanden sei. Er wollte „meine Meinungsfreiheit behalten“.

Von Markus Wolf erfuhr die Staatssicherheit, dass Barwich einen übereilten Ausbau weiterer Reaktoren und das geplante Atomgesetz ablehnte. Dieses ließ eine militärische Nutzung der Kernenergie offen. Seine Gewissensfrage habe er Ulbricht brieflich vorgetragen und eine nichtssagende Antwort von dessen Staatssekretär erhalten.

Er habe zehn Jahre in der Sowjetunion gelebt und „kenne den Ton der Parteihierarchie hinreichend“. Er sei „schwer verärgert“ und erwäge deswegen den Weltfriedensrat zu verlassen. Stattdessen verließ er 1964 die DDR. Wer hatte da wessen Vertrauen enttäuscht?

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Walter Ulbricht, der immer Misstrauische, wusste genau, dass er für seine ehrgeizigen Pläne auf das Vertrauen parteiloser „bürgerlicher“ Wissenschaftler angewiesen war. Er erkaufte es durch gute Besoldung und Privilegien. Auch „gewendete“ ehemalige Nationalsozialisten konnte er brauchen wie den Chemiker Peter Adolf Thiessen, der es vom Mitglied in Görings Reichsforschungsrat zum Vorsitzenden des Forschungsrats der DDR brachte.

Rückkehrer aus sowjetischen Diensten

Wie Ulbrichts Günstling Manfred von Ardenne – auch er einst Mitglied des Reichsforschungsrats – war er einer der 1945 deportierten Rückkehrer aus sowjetischen Diensten, die für einen Verbleib in der DDR umworben wurden und deren wissenschaftliches Potenzial verstärkten. Die Devise der SED hieß materielle Bevorzugung und politische Entmachtung der alten Intelligenz.

Das Bild auf einem Buch-Cover zeigt einen Hörsaal mit vollbesetzten Reihen.
Das Cover des Buchs von Reinhard Buthmann "Versagtes Vertrauen". In der ersten Reihe: Heinz Barwich und Robert Havemann auf der Jahrestagung der Physikalischen Gesellschaft 1958.

© Promo

[Reinhard Buthmann: Versagtes Vertrauen. Wissenschaftler der DDR im Visier der Staatssicherheit, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2020, 1180 S., 140 €.]

Dabei war das Vertrauen der Partei in die wenigen Genossen unter den 1945 in der SBZ verbliebenen Wissenschaftler ebenso fragil. Der Physiker Robert Rompe, bis1949 Leiter der Hauptabteilung für Hochschulen und Wissenschaft in der Zentralverwaltung der SBZ, erhielt im Zuge der Field-Affäre ein politisches Funktionsverbot, bis er nach Stalins Tod rehabilitiert wurde und ins ZK der SED aufstieg.

Vom Stalinisten zum schärfsten Kritiker der SED

Der Chemiker Robert Havemann wiederum wurde – anfangs bekennender Stalinist und IM der Staatssicherheit – später zum schärfsten Kritiker der SED und statutenwidrig aus der Wissenschaftsakademie ausgeschlossen.

Wie wenig Partei und Stasi den Wissenschaftlern vertrauten und dabei ihre Karrieren aus dem Hintergrund lenkten, belegt jetzt eine 1200-Seiten-Studie von Reinhard Buthmann, eines früheren Mitarbeiters am Institut für Kosmosforschung der Akademie der Wissenschaften der DDR. 1978 hatte er den Mut, aus der SED auszutreten. Buthmann schloss sich 1989 der Bürgerbewegung „Demokratie jetzt“ an. Als Mitarbeiter der Stasiunterlagen-Behörde forschte er über „Hochtechnologie und Staatssicherheit“ und „Kadersicherung im VEB Carl Zeiss Jena“.

[Lesen Sie auch unseren Bericht über Kulturgutentzug in der DDR: Wenn der Staat zum Hehler wird]

Den Befund seiner Kollegin Nadin Schmidt („Überwachte Wissenschaft“), von einer flächendeckenden Überwachung durch das MfS könne „nicht gesprochen werden“, kann er nicht teilen. Noch weniger das Resümee des – als IM „Marquardt“ enttarnten -Wissenschaftshistorikers der DDR-Akademie Hubert Laitko, die SED habe auf den Wissenschaftsbetrieb Einfluss zu nehmen versucht wie „andere Parteien in ihren Zugriffsbereichen ebenfalls“. Buthmann besteht vielmehr auf einer „engen, gesetzlich und normativ festgelegten Liaison von SED und MfS auch im Bereich der Wissenschaften“.

Mit drei operativen Vorgängen überzogen

Mit seinen Fallbeispielen beschränkt er sich auf drei naturwissenschaftlich-technische Bereiche, in denen Wissenschaftler der DDR trotz ihres gern beschworenen „Weltniveaus“ an Eingriffen der Staatssicherheit scheiterten: Mikroelektronik, Raumforschung und Kerntechnik.

Cover einer Broschüre von 1951 mit dem Verfassernamen Robert Havemann.
Als Robert Havemann noch SED-Propaganda schrieb: Eine Broschüre des Deutschen Friedenskomitees (1951).

© privat

Wirklich tragisch ist der Fall des Begründers der Mikroelektronik, Werner Hartmann, der 1970 sogar in das Nobelpreiskomitee für Physik berufen wurde, als das MfS seine Karriere bereits zerstört hatte. Der Pionier seines Faches, dessen Strahlungsmessgeräte internationale Standards setzten, wurde 1974 auf Betreiben des MfS entlassen. Er war im Lauf der Jahre mit drei „Operativen Vorgängen“ überzogen worden.

Hartmann sei, schrieb Mielkes Stellvertreter, ein „bürgerlicher Wissenschaftler mit einer antikommunistischen und antisowjetischen Grundhaltung“. Das Arbeitsgericht wies seine Klage ab; an DDR-Prominente wie seinen Kollegen Manfred Ardenne und den Anwalt Friedrich Karl Kaul wandte sich Hartmann vergeblich. Er führe, schrieb er vor seinem Tod 1988 in einem Brief, „ein Leben als Toter“.

Der Sabotage bezichtigt

Wie ihm schnitt das MfS auch dem Geophysiker und Generalsekretär der Akademie Ernst Lauter alle internationalen Kontakte ab. Er wurde verdächtigt, das sowjetische Projekt „Interkosmos“ zur kosmischen Meteorologie zu sabotieren und die Zusammenarbeit mit westlichen Partnern zu begünstigen. Die Entscheidung über seine Abberufung und Kontaktsperre traf Erich Mielke persönlich.

„Hätte man Lauter in seinem Tun nicht eingeschränkt und später beseitigt“, urteilt Buthmann, „dann hätte er tatsächlich Weltruhm nicht nur mit seinem Projekt SESAME erlangt, auch der Forschungsstandort Potsdam-Berlin-Warnemünde wäre rasch führend in der Welt geworden.“ Auch Lauter unterstellte das MfS Vertrauensbruch und eine „negierende Haltung zur Akademiereform“ wegen seiner Kritik an Zentralisierung und Planifizierung der Wissenschaft und Vernachlässigung der Grundlagenforschung. Eben die gibt Kurt Hager in seinen Erinnerungen selber zu. Nicht enttäuschtes, sondern versagtes Vertrauen war der Ruin der DDR-Wissenschaft.

Hannes Schwenger

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