
© Mike Wolff
Turners Thesen: Wo politischer Kampf falsch ist
Aus den Studentenprotesten der 1960er Jahre ging die Gruppenuniversität hervor. Mit ihren Zielen lagen die Studierenden teilweise richtig.
Stand:
Gegenstand heftiger Diskussionen im Zuge der bundesweiten Protestbewegungen ab Ende der 1960er Jahre war vor allem die Mitwirkung der Studenten in den Selbstverwaltungsgremien. Sie wurde unter den Stichworten Gruppenuniversität und Drittelparität behandelt.
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Mit der Idee, die Universität zu „demokratisieren“, sollte vor allem die sogenannte Herrschaft der Ordinarien abgeschafft und den Vertretern der Gruppen – neben den Professoren: wissenschaftliche Mitarbeiter, Studenten und nichtwissenschaftliches Personal – ein Mitspracherecht bei allen Entscheidungen eingeräumt werden.
Studienfreiheit und Gleichberechtigung
Kernpunkte der hochschulpolitischen Forderungen waren die Abschaffung des Lehrstuhlprinzips, die öffentliche Ausschreibung der Professuren, die Abschaffung der Habilitation, die Überleitung der Assistenten, Akademischen Räten und Lektoren in „Dozenten neuer Art“. Darüber hinaus ging es um die Studienfreiheit und die Garantie autonomer Studienentscheidungen im Hinblick auf Studienziel, Fächerkombination, Prüfungsinhalte und Prüfungsleistungen. Zu den Forderungen gehörte auch die familienunabhängige Ausbildungsförderung, öffentliche Gremiensitzungen und vor allem die gleichberechtigte Vertretung der Mitgliedergruppen in den Selbstverwaltungsorganen der Universität.
Anfang der 1970er Jahre wurden in einigen Bundesländern Hochschulgesetze erlassen. Dabei gingen die einzelnen Bundesländer sehr unterschiedliche Wege in Richtung „Gruppenuniversität“. Diese erkannte das Bundesverfassungsgericht als zulässige Gestaltungsform an, setzte aber der Mitwirkung der Gruppen zugleich Grenzen. So müssten Professoren beziehungsweise qualifizierte Wissenschaftler in den Senaten und anderen Entscheidungsorganen der Universitäten die Mehrheit der Stimmen haben.
Anfang der 80er Jahre wurden erste überwiegend negative Bilanzen nach mehr als zehn Jahren Gruppenuniversität gezogen. Die zur Förderung der wissenschaftlichen Arbeit in Forschung, Lehre und Studium zu treffenden Personal- und Sachentscheidungen seien in der Gruppenuniversität oftmals an die Interessen politisierter Gruppen gebunden worden, die auf Kompetenz gegründete Verantwortung sei gelähmt, das Leistungsniveau in Forschung, Lehre und Studium herabgesetzt und die Effektivität einer immer mehr Zeit und Kraft beanspruchenden Selbstverwaltung beeinträchtigt worden.
Impulse der Proteste für Hochschulreformen
Dadurch seien die Autonomie der Hochschule geschwächt und zunehmende bürokratische Eingriffe des Staates erforderlich geworden. Die Gruppenuniversität sei mit ihrem labilen und vielfach gespaltenen Selbstverständnis, ihren inneren und äußeren Belastungen und ihrer verminderten Leistungsfähigkeit in einer desolaten Lage.
Seit Anfang der 1990er Jahre ist auch ein gewisser Trend zur Entpolitisierung der studentischen Interessenvertretungen zu beobachten. Letztlich ist die studentische Protestbewegung an sich selbst gescheitert: an ihrer eigenen Dynamik, ihren Aktionszwängen und ihren Omnipotenzgefühlen, die sich politisch eingekleidet hatten. Die Proteste kulminierten in der vermessenen Selbsteinschätzung, die wissenschaftliche – inklusive die studentische – Intelligenz müsse zum „kollektiven Theoretiker des Proletariats“ werden.
Festzuhalten bleibt aber, dass die Hochschulreformdiskussion der studentischen Protestbewegung zumindest der ersten Jahre durchaus Impulse verdankt. Allerdings hätte man beherzigen müssen, dass Politik nicht als Kampf, sondern nur als Gegenstand der Forschung an die Universität gehört.
Wer mit dem Autor diskutieren möchte, kann ihm eine E-Mail senden: george.turner@t-online.de
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