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Optimismus kann die Chance erhöhen, alt zu werden.

© imago images / Pius Koller

85 Jahre und mehr: Zuversichtliche Menschen werden älter

Einer Studie zufolge leben Optimisten deutlich länger als Pessimisten. Aber so einfach ist es nicht, denn: Optimismus ist nicht gleich Optimismus.

Es ist eine der großen Menschheitsfragen: Wie lebt man möglichst lange? Vielfach wird dann auf "gesundes" Verhalten verwiesen, richtige Ernährung und viel Bewegung etwa. Wie "gesund" jemand ist, schließen Ärzte unter anderem aus Blutdruck- oder Cholesterinwerten. Sie sollen auch Vorhersagekraft haben, wie lang ein Mensch ungefähr noch zu leben hat. Vergangene Woche erst stellte ein Team unter Mitwirkung des Max-Planck-Instituts für die Biologie des Alterns einen Bluttest vor, der aus 14 Werten das Sterberisiko für die nächsten fünf oder zehn Jahre berechnen soll. Die Zeichen häufen sich jedoch, dass es für ein langes Leben ebenso eine wichtige Rolle spielt, ob man der Zukunft eher positiv oder oder negativ entgegenblickt.

Ein Forschungsteam um Lewina Lee von der Boston University School of Medicine berichtet nun, dass Optimisten durchschnittlich länger leben als Pessimisten. Menschen mit einer positiven Lebenseinstellung hätten demnach besonders gute Chancen, 85 Jahre oder älter zu werden. Ihre Ergebnisse veröffentlichen die Wissenschaftler im Fachblatt "PNAS".

Sehr optimistische Frauen lebten 15 Prozent länger

Die Forscher werteten Angaben aus zwei großen US-Datenbanken aus, in denen seit Jahrzehnten die Krankengeschichten verschiedener Berufsgruppen gespeichert sind: Über die "Nurses' Health Study" bekamen die Forscher Zugriff auf die Daten von fast 70.000 Krankenschwestern, über die "Veterans Affairs Normative Aging Study" jene von mehr als 1400 Veteranen, meist aus dem Zweiten Weltkrieg oder dem Koreakrieg.

Die Frauen hatten im Jahr 2004 Fragebögen ausgefüllt, anhand derer der Grad ihres Optimismus bestimmt werden sollte. Die Nachbeobachtungszeit betrug bei ihnen zehn Jahre. Die Veteranen hatten einen ähnlichen Fragebogen bereits im Jahr 1986 ausgefüllt, sie wurden 30 Jahre – also bis 2016 – nachbeobachtet.

Lee und ihre Kollegen teilten die Frauen in vier, die Männer in fünf Gruppen ein, jeweils von "sehr optimistisch" bis "sehr pessimistisch". Dabei verglichen sie Personen mit ähnlichen demografischen Merkmalen und Vorerkrankungen, um deren möglichen Einfluss zu eliminieren.

Das Ergebnis war, dass eine positive Lebenseinstellung mit einer erhöhten Chance auf ein langes Leben einherging. So lebten etwa Frauen, die der optimistischsten Gruppe zugeordnet wurden, etwa 15 Prozent länger als solche aus der pessimistischsten Gruppe. Ein ähnlicher Zusammenhang, allerdings etwas schwächer, zeigte sich bei den Männern. Auch die Wahrscheinlichkeit, mindestens 85 Jahre alt zu werden, war bei optimistischen Personen größer. Bei den stärksten Optimistinnen lag sie 50 Prozent höher als bei den stärksten Pessimistinnen. Bei Männern betrug der Unterschied gar 70 Prozent.

Welchen Einfluss haben etwa Rauchen und Trinken?

Als die Forscher aber zusätzlich noch das Gesundheitsverhalten berücksichtigten, also etwa Alkohol- oder Tabakkonsum und sportliche Betätigung, blieb die Assoziation zwar bestehen, jedoch deutlich abgeschwächt. So lebten etwa die optimistischsten Frauen unter dieser Prämisse statt 15 nur noch 8,7 Prozent länger als die pessimistischsten. Das deutet darauf hin, dass der Lebensstil einen wichtigen Einflussfaktor darstellen könnte, den zu erfassen essentiell ist.

Die Autoren betonen, dass die gefundenen Assoziationen bei beiden Kohorten (Männer und Frauen) ähnlich ausfielen. Sie deuten das als Hinweis, dass ihre Studie eine hohe Qualität haben dürfte. Eine Erklärung für ihre Ergebnisse liefern sie aber nicht. Sie spekulieren, dass Optimisten eher definierte Ziele im Leben hätten sowie das Vertrauen, diese zu erreichen. Das könne dazu führen, dass sie gesundheitsbewusster lebten und ungesunden Impulsen eher widerstehen könnten.

Als weiteren Ansatz nennen sie, dass Optimisten besser mit akuten Stressoren umgehen können. Menschen mit solchen "Coping"-Fähigkeiten zeigten demnach in anderen Studien oft als "gesünder" geltende Werte, etwa den Stoffwechsel oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen betreffend.

Ergebnisse nicht repräsentativ

"Die Ergebnisse der Studie sind spannend und bezüglich der hochaltrigen Zielgruppe hochrelevant", sagt Benjamin Schüz vom Institut für Public Health und Pflegeforschung der Universität Bremen. Er lobt besonders die großen Stichproben sowie das Bemühen der Forscher, möglichst viele verzerrende Einflussfaktoren herauszurechnen. Insgesamt passten die Resultate auch recht gut zu bisherigen Forschungsergebnissen im Bereich Optimismus und Langlebigkeit.

Der Psychologe vermisst jedoch Angaben zum Beispiel darüber, wie groß der Effekt des Optimismus im Vergleich zu anderen Einflussgrößen ist, etwa Bildung, Einkommen oder Wohnort. Eine weitere Schwäche der Studie sei, das räumen die Autoren auch selbst ein, dass hauptsächlich Weiße und besser Gebildete teilnahmen. Damit, so Schüz, sei der Anteil derer, die aufgrund einer schwierigen sozialen Lage pessimistisch sein könnten, klein. Die Studie sei für diese Gruppe daher nicht repräsentativ.

Außerdem, auch das schreiben die Autoren, haben sie in der Studie nur ältere Menschen analysiert. So waren die Krankenschwestern durchschnittlich 70 Jahre alt, als sie die Fragen zum Optimismus beantworteten, die Veteranen 62. "Es ist unklar, wie frühe Lebensereignisse sowohl den Optimismus als auch die Wahrscheinlichkeit beeinflussen könne, außergewöhnlich lange zu leben", schreiben Lee und Kollegen.

Optimismus ist nicht gleich Optimismus

Als wichtigen Punkt nennt Schüz auch, dass Optimismus in Studien wie dieser meist als feststehende Eigenschaft gemessen werde, also als "relativ zeitüberdauernde Disposition, Gutes zu erwarten". "Diese Stabilität impliziert, dass Personen, die nicht das Glück haben, optimistisch zu sein, auch wenig Chancen auf Veränderung haben", sagt Schüz. Vereinfacht hieße das: einmal Pessimist, immer Pessimist.

Diesen Punkt greift auch Frieder Lang vom Institut für Psychogerontologie an der Universität Erlangen-Nürnberg auf. Zwar sei es in Ordnung, die Veranlagung zu positivem Denken als Optimismus zu definieren. "Prüft man aber, welche Erwartungen die Menschen konkret für die eigene Zukunft haben und ob diese auch zutrafen oder optimistisch überschätzt wurden, dann sehen die Ergebnisse meist anders aus", sagt Lang.

In Studien, die Optimismus unter diesem Aspekt beurteilten, sei er in den vergangenen Jahren zu gänzlich anderen Ergebnissen wie die Forscher um Lee gekommen. Es zeige sich immer wieder, dass unrealistisch hohe Zukunftserwartungen, die sich nicht erfüllen, sogar mit einer verminderten Lebenserwartung einhergehen.

Realistische Erwartungen setzen

In einer Studie, die Lang zusammen mit Kollegen vergangenes Jahr veröffentlichte, zeigte sich etwa, dass ältere Patienten, deren Gesundheitszustand sich tendenziell verschlechterte, weniger depressive Symptome und ein niedrigeres Sterberisiko hatten, wenn sie ihre Situation realistisch-pessimistisch einschätzten, als wenn sie der Zukunft unrealistisch optimistisch entgegensahen.

"Unsere Erklärung ist, dass sich wirkliche Optimisten eben dadurch auszeichnen, dass sie die eigene Zukunft realistisch einschätzen können und somit auch weniger Enttäuschungen erfahren", sagt Lang. Die Ergebnisse von Lee und Kollegen stellt er deshalb aber nicht in Abrede. Es handle sich eben um zwei verschiedene Arten, Optimismus zu untersuchen.

Diese Einsicht hat Lang zufolge auch ganz praktische Konsequenzen. Denn während Optimismus als Eigenschaft nur aufwändig verändert werden könne, sei das bei realistischen Erwartungen über die eigene Zukunft anders. Die Kunst des positiven Denkens könne man in gewissem Rahmen durchaus erlernen. Daran zu arbeiten könnte sich also lohnen – und vielleicht auch etwas zu einem längeren Leben beitragen.

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