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Dmitrij Belkin beim Spaziergang durch seinen Kiez im Bayrischen Viertel.

© Kitty Kleist-Heinrich

70 Jahre Zentralrat der Juden: Der Imam und die Enkelin

Das Zentralratsprojekt „Schalom Aleikum“ bringt Juden und Muslime miteinander ins Gespräch. Ein Treffen mit Leiter Dimitrij Belkin am Bayrischen Platz.

Februar 2020 in der Berliner Kalkscheune: Auf dem Podium diskutieren lesbische, schwule und queere Menschen über Homosexualität, Coming-out und Diskriminierung – und über Religion. Die Teilnehmenden sind jüdisch oder muslimisch. „Schon mit vier Jahren hat mir mein Vater klargemacht, dass Schwulsein etwas Schlechtes ist“, erzählt Islamwissenschaftler Tugay Sarac, der später in der liberalen Berliner Ibn-Rush-Goethe-Moschee eine neue Heimat gefunden hat und dort LGBTIQ-Koordinator ist.

Miteinander reden: Darum geht es bei „Schalom Aleikum“ (www.schalom-aleikum.de), das im Namen die hebräische und arabische Grußformel vereint und den Abend in der Kalkscheune veranstaltet hat – wie auch viele andere seit der Gründung 2019. Jüdinnen und Juden, Muslimas und Muslime sollen ins Gespräch kommen: ein Weg, so die Hoffnung, Antisemitismus unter Muslimen, wie er auch in Deutschland besteht, zu begegnen.

Warum müssen Juden den ersten Schritt machen?

„Schalom Aleikum“ ist ein Projekt des Zentralrats. Aber: Warum müssen Juden, die doch allzu oft Opfer von Antisemitismus der Muslime sind, den ersten Schritt machen? Und nicht diejenigen, aus deren Reihen die Täter stammen? „Der Impuls kam von außen“, erzählt Dimitrij Belkin, Historiker und Leiter des Projekts, beim Spaziergang durchs Bayerische Viertel, in dem er wohnt. „Annette Widmann-Mauz, Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, hat den Zentralrat gefragt, ob es vorstellbar wäre, ein jüdisch-muslimisches Dialogprojekt zu machen. Das war ein Zeichen des Vertrauens.“ Das Konzept hat der Zentralrat ausgearbeitet; im Mai 2019 konnten Belkin und sein Team loslegen. „Wir wussten, wir würden nicht das jüdisch-muslimische Verhältnis revolutionieren. Aber wir wollten neue Räume schaffen und mit einem frischen Ansatz dazu beitragen, Antisemitismus abzubauen.“

Wer kennt Lehrer am besten? Andere Lehrer!

Zwei Drittel der Juden in Deutschland sind durch den Zentralrat vertreten, auf muslimischer Seite gibt es keine vergleichbare Institution, nur konkurrierende Verbände. Wie findet man da Ansprechpartner? Wie so häufig sind persönliche Kontakte die Zauberformel. Wer kennt Lehrer am besten? Andere Lehrer! So gab es Gesprächsrunden zwischen Senioren, Pädagoginnen, Sportlern, Schülerinnen, Ärzten, Start-up-Unternehmern. Alle werden moderiert, im Anschluss kann man sich informell austauschen. Das heißt, man konnte: Der LGBTIQ- Abend war der vorerst letzte mit Publikum, seither finden die Dialoge digital statt.

Podiumsdiskussionen vorbereiten, das macht viel Arbeit. Gesprächspartner müssen Bedingungen erfüllen, dürfen etwa nicht den Staat Israel ablehnen. „Oft ergibt sich aus einem Treffen das nächste“, sagt Belkin. „Ein Imam lud seine Tochter ein, die auch Geistliche ist, und mit der Enkelin machten wir einen Dialog unter Jugendlichen.“ Da kommt schnell eine wertvolle Adresssammlung zusammen. Die wird eine zentrale Rolle spielen, wenn „Schalom Aleikum“, das zu 100 Prozent vom Bund gefördert wird, im Dezember 2021 ausläuft: „Ein Netzwerk ist entstanden, das wir nachhaltig gestalten wollen“, so Belkin. Die Senioren- und Gründerdialoge sind als Buch erschienen, ein drittes Buch über junge Erwachsene folgt im Dezember.

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