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Amerikanischer Surrealist mit serbischen Wurzeln. Dichter Charles Simic.

© picture alliance / dpa / Rafa Alcaide

Zum Tod von Charles Simic: Das Übersinnliche im Sinnlichen

Mit Drift ins Unheimliche: Der Dichter Charles Simic war ein amerikanischer Surrealist höchst eigener Prägung.

Von Gregor Dotzauer

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Vier Zeilen, ein Gedicht. „Grüne Buddhas / am Obststand. / Wir essen das Lächeln / und spucken die Zähne aus.“ Wer danach jemals wieder „Wassermelonen“ essen kann, ohne mit hochgezogenen Mundwinkeln ihr rotes Fruchtfleisch gekostet zu haben, kann sicher sein, für die Poesie verloren zu sein.

Charles Simics Gedichte waren voll von solchen einprägsamen Bildern, auf die gerade bei ihm das allzu verbrauchte Wort von der Epiphanie zutrifft. Simics mystische Erlebnisfähigkeit war höher ausgeprägt als bei den meisten amerikanischen Dichtern seiner Generation. Mitten im Alltäglichen machte er das Übersinnliche im Sinnlichen aus – dies allerdings ohne jeden Glauben an höhere Wahrheiten.

Simic war ein Materialist, der nicht mit dem Himmel liebäugelte, weil er genug damit zu tun hatte, über schwankendem Boden das Gleichgewicht zu halten. Seinen Texten wohnte eine Drift ins Unheimliche inne, die oft auf halber Strecke die locker verstrebten Zufälligkeiten, mit denen er zumindest auf dem Papier Ordnung schuf, aus den Fugen hob.

Bombardement von Belgrad

Es heißt nicht, Simics Literatur zu psychologisieren, wenn man daran erinnert, dass zu den frühesten Erinnerungen des 1938 als Dušan Simić geborenen Dichters der Feuersturm gehört, der ihn im April 1941, als die deutsche Wehrmacht seine Geburtsstadt bombardierte, buchstäblich aus dem Bett katapultierte. Ein Widerschein der Weltkriegsflammen findet sich in vielen Gedichten.

1954, im Alter von 16 Jahren, wanderte er mit seiner Mutter und Bruder Milan in die USA aus, um sich in Chicago dem Vater anzuschließen. Dort legte er seinen Vornamen und den Akzent des Nachnamens ab und machte sich zum Studium nach New York auf, die Stadt, die von da an seinen Erlebnisraum prägte.

Er machte die Nacht zum Tage und ließ sich durch die Straßen treiben, wo er sein Glück in den Schaufensterauslagen rund um die 42. Straße und den Jazzclubs von Greenwich Village fand. Zwischen Dämmerung, Schlaflosigkeit und Traum pflegte Simic in seinen gut drei Dutzend Gedichtbänden einen ausgesprochen amerikanischen Surrealismus, wie er auch seinem Freund Mark Strand oder Robert Bly nicht fremd war.

Rätselhafter Ramsch

Doch am nächsten war er vielleicht den „Boxes“, den Assemblage-Kästen des Künstlers Joseph Cornell, verwandt, der in ihnen rätselhaften Ramsch und Kleinkram zusammenfügte. Simic widmete Cornell mit den Prosagedichten und assoziativen Essayschnipseln von „Medici Groschengrab“ (1999) einen seiner schönsten Bände.

Hans Magnus Enzensberger hatte Simic mit dem „Buch von Göttern und Teufeln“ 1993 in Deutschland eingeführt. Da war er in den USA, wo er über 30 Jahre lang Englische Literatur und Kreatives Schreiben an der University of New Hampshire unterrichtete, längst ein berühmter Mann, und das nicht erst seit dem Pulitzer-Preis für „The World Doesn’t End“ 1990.

Die höchste Ehre wurde ihm aber wohl durch die Ernennung zum Poet Laureate 2007/08 zuteil. Bis heute sind bei Hanser noch zahlreiche weitere Bände in deutscher Übersetzung erschienen, darunter die zweisprachige Sammlung „Picknick in der Nacht“ und erst kürzlich der schon von Todesahnungen durchzogene Band „Im Dunkeln gekritzelt“.  

Simics bekanntestes Gedicht dürfte indes „Stone“ von 1971 sein. „Einen Stein betreten / Das wäre mein Weg“, beginnt es: „Lass jemand anders eine Taube werden / Oder mit Tigerzähnen knirschen / Ich bin froh, ein Stein zu sein.“ Der Grabstein, der sich nun mit 82 Jahren über Charles Simic schließen wird, kann ihm da nicht als bloßer Schrecken erschienen sein.

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