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Unbewegt, emotionslos. So wirkt Beate Zschäpe während fünf Jahren Prozess.

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NSU-Prozess vor dem Ende: Was ist Beate Zschäpe für ein Mensch?

Nach 437 Verhandlungstagen im NSU-Prozess und kurz vor dem Urteil ist eine Frage so offen wie am Anfang: Was denkt und fühlt Beate Zschäpe wirklich? Eine Annäherung an die Unbewegte.

Von Frank Jansen

Zwei Monate vor Beginn des Prozesses schreibt Beate Zschäpe aus der Untersuchungshaft dem Neonazi Robin S., der in Bielefeld wegen eines Raubüberfalls inhaftiert ist, einen Brief. „Es könnte sein, dass Du in mir Deine Meisterin gefunden hast“, bescheinigt Zschäpe dem Freund. Die Schrift ist unauffällig akkurat, es gibt ein paar Fehler. Zschäpe garniert ihre Zeilen mit einer Ente und anderen Tierfiguren, selbst gemalt.

Der Brief, 13 Seiten lang, ist ein Dokument von besonderem Wert. Er gewährt einen Blick in Zschäpes Psyche – wie es im NSU-Prozess, der am 6. Mai 2013 am Oberlandesgericht München begonnen hat und nun zu Ende geht, nie gelungen ist.

Der Verfassungsschutz hatte der Polizei den Brief übermittelt. Woher Zschäpe den Mann aus Dortmund kennt, ist unklar. Sie schreibt: „In guter Regelmäßigkeit wird mir hier eine Dauermedikation mit Antidepressiva und oder sonst was fürn Psychokram angeboten.“ Was Zschäpe ablehnt. Sie ist stolz auf ihre Unbeugsamkeit. „Lustig ist das ich keinerlei Anzeichen für eine derartige Einnahme aufweise. Keinen Nervenzusammenbruch, keinerlei Tränen, keine depressiven Aussagen – nix. Davon abgesehen würd’ ich um’s Verreckenwillen keinen der hier Anwesenden daran teilhaben lassen. Das würd ich im stillen Kämmerlein mit mir selbst ausmachen.“

Schwäche zeigen ist Zschäpes Stärke nicht. Hat sie es deshalb fast 14 Jahre mit zwei mörderischen Freunden in der Illegalität ausgehalten? Und war sie die eiskalte Mittäterin, wie die Bundesanwaltschaft Zschäpe sieht? Vor dem Urteil des 6. Strafsenats am Mittwoch, nach 437 Verhandlungstagen, scheint eine Frage so offen wie zuvor: Was ist diese Frau, deren Gesicht das ganze Land kennt, für ein Mensch?

Zschäpe eine Terroristin zu nennen, eine Mörderin, eine Sprengstoffattentäterin, eine Bankräuberin, verbietet bis zum Urteil die Unschuldsvermutung. Sie bestreitet eine Mittäterschaft bei den zehn Morden, drei Sprengstoffanschlägen und 15 Raubüberfällen des NSU. Die Bundesanwaltschaft fordert die Höchststrafe, lebenslänglich mit besonderer Schwere der Schuld plus Sicherungsverwahrung. Die Verteidiger halten das für weit überzogen.

Sie hat die Bekenner-Videos verschickt

Nennen darf man sie allerdings eine Kumpanin der Mörder Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos. Mit den beiden Neonazis lebte Zschäpe, das hat sie im Prozess zugegeben, von Januar 1998 bis November 2011 im Untergrund. Man darf Zschäpe auch als Brandstifterin bezeichnen. Sie hat gestanden, am 4. November 2011 die Wohnung in der Zwickauer Frühlingsstraße angezündet zu haben, in der sie von April 2008 bis zum Tod von Böhnhardt und Mundlos lebte.

Zschäpe hat auch zugegeben, am 4. November 2011 die Bekenner-DVD des NSU an bundesweit 15 Adressen verschickt zu haben. Im Video zu sehen sind Fotos, die Böhnhardt und Mundlos von sterbenden Opfern machten. Im Prozess hat Zschäpe behauptet, den Inhalt des Films habe sie bis zur Vorführung im Gerichtssaal nicht gekannt.

Zschäpe ist jetzt 43 Jahre alt, fast die Hälfte ihres Lebens hat sie in Untergrund und Gefängnis zugebracht. Sie hat nie darüber geredet, wie sie dieses Leben verändert hat. Sie strahlt ein stählernes Selbstbewusstsein aus, wirkt auch in Stresssituationen kontrolliert. Am ersten Prozesstag betritt sie im dunklen Blazer den Saal A 101, ihre Anwälte sind noch nicht da, sie wirkt genervt, bleibt aber ruhig. Den Fotografen und Kameraleuten dreht sie demonstrativ den Rücken zu. Diese Trotzpose wird sie noch jahrelang zeigen.

Am 14. Tag zeigt ein Kriminalbeamter Fotos, auf denen der erschossene Abdurrahim Özüdogru in einer Blutlache zu sehen ist. Die Nahaufnahmen lassen bei Prozessbeobachtern den Atem stocken. Böhnhardt und Mundlos hatten den türkischen Schneider am 13. Juni 2001 in seiner Werkstatt in Nürnberg erschossen. Zschäpe bleibt cool. Auch an weiteren Tagen, an denen der Beamer grausige Fotos von den Tatorten an die Wand wirft, verzieht sie keine Miene.

Uwe Bönhardts Mutter bedankt sich bei ihr

Am 57. und 58. Tag sagt die Mutter von Uwe Böhnhardt als Zeugin aus. Sie schildert, wie sie sich mit den drei Untergetauchten traf, dass sie ihnen Geld gab und dass sie immer ein gutes Verhältnis zu Zschäpe hatte. Brigitte Böhnhardt schaut oft zu der Angeklagten und bedankt sich bei ihr, dafür, dass sie am 5. November 2011 anrief und mitteilte, die beiden Uwes seien tot. Zschäpe schaut teilnahmslos, die Ellbogen aufgestützt auf dem Tisch, das Kinn in den Händen vergraben.

So geht es fast schon ritualhaft weiter. Zschäpe kommt erst locker und zügig in den Saal, kurzes Geplauder mit den Verteidigern. Sobald die Verhandlung beginnt, schaltet Zschäpe auf Pokerface.

Gut gekannt haben Zschäpe in den Zeiten der Illegalität nur wenige Leute. Böhnhardt und Mundlos sind nicht mehr zu befragen, sie haben sich am 4. November 2011 in einem Wohnmobil in Eisenach nach einem Banküberfall erschossen, als die Polizei anrückte. Die vier Mitangeklagten im NSU-Prozess, Ralf Wohlleben, Ex-Vizechef der Thüringer NPD, sowie Holger G., Carsten S. und André E., haben nicht viel Erhellendes über Zschäpe sagen können oder wollen.

André E., der mit seiner Frau Susann in Zwickau offenbar den besten Kontakt zu den drei Untergetauchten hatte und als mutmaßlicher Unterstützer der Terrorzelle angeklagt ist, gibt kein Wort von sich. Einmal zwinkert er im Gerichtssaal Zschäpe zu. Sie zwinkert zurück. Zschäpe redet mit keinem der Mitangeklagten. Taktik? Persönliche Animositäten? Will Zschäpe die Vergangenheit hinter sich lassen?

Sie stellte Strafanzeige gegen die eigenen Verteidiger

Am Dienstag sagt sie in ihrem Schlusswort, „zwar akzeptiere ich die Meinung und Gesinnung der Mitangeklagten, habe aber für mich die Entscheidung getroffen, dass rechtes Gedankengut keine, aber auch gar keine Bedeutung mehr für mich hat“. Zschäpe spricht erst das zweite Mal selbst in der Hauptverhandlung. Im September 2016 hatte sie eine kurze Erklärung abgegeben, in der sie sich von „nationalistischem Gedankengut“ distanzierte. Jetzt redet sie von einem „jahrelang andauernden Lernprozess“ und dass sie „gravierende Fehler“ gemacht habe.

Der Ton ist souverän und nüchtern, Zschäpe liest vom Blatt ab wie eine Nachrichtensprecherin. Den Mangel an Emotion will Zschäpe allerdings auch erklären. „Eigene Gefühle zu unterdrücken, sie nicht nach außen zu tragen – so verfahre ich schon seit frühester Jugend. Diese mir anerzogene Verhaltensweise hat mein Prozessverhalten sicherlich negativ beeinflusst.“

Mit ihren ersten drei Verteidigern, Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm, redete Zschäpe lange freundlich. Bis es 2014 zum ersten Zerwürfnis kommt und ein Jahr später zum Bruch. Angeblich, weil die Anwälte ihr nicht gestatten wollen, das Schweigen zu brechen. Zschäpe stellt sogar Strafanzeige gegen sie und wechselt zu den Münchner Anwälten Mathias Grasel und Hermann Borchert. Heer, Stahl und Sturm müssen dennoch als Pflichtverteidiger weitermachen. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl entlässt sie nicht, um eine zumindest scheinbare Kontinuität in der Verteidigung zu wahren. Zschäpe scheint ihren Coup gegen die Altverteidiger zu genießen. Im Spätsommer 2015 wirkt sie nach Wochen schlechter Laune wieder locker. Bis die Richter den Saal betreten.

Eine Art Nazi-Sphinx

Unbewegt, emotionslos. So wirkt Beate Zschäpe während fünf Jahren Prozess.
Unbewegt, emotionslos. So wirkt Beate Zschäpe während fünf Jahren Prozess.

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In vielen Medien wird Zschäpe seit dem ersten Prozesstag als eiskalte Mörderbraut beschrieben. „Der Teufel hat sich schick gemacht“, titelte die „Bild“-Zeitung zu Prozessbeginn. Die Frau gilt wegen ihrer bleiern unbeteiligten Miene als eine Art Nazi-Sphinx. Zschäpe ist zur Inkarnation des Bösen geworden. Die historische Dimension ist wahrscheinlich jedoch eine andere.

Sollten die schweren Vorwürfe der Bundesanwaltschaft zutreffen, dann ist Zschäpe eine symbolische Figur rechtsextremer Militanz seit der Wiedervereinigung. Sie wirkt da wie eine Art Antipode zu einer Frau, deren Name seit Jahrzehnten als Synonym für Terrorismus genannt wird: Ulrike Meinhof.

Die Intellektuelle Meinhof, einst angesehene linke Journalistin, war die Ikone des Terrors, mit dem die Wohlstandskinder der Roten Armee Fraktion die Bundesrepublik heimsuchten. Die arbeitslose Gärtnerin Beate Zschäpe hingegen erscheint als Symbolfigur rassistischer Gewalt des Prekariats Ost. Ein Massenphänomen. Es zog auch Akademikersöhne wie Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos an.

So scheint sich selbst in einer der schrecklichsten Anomalien in der Geschichte der Bundesrepublik, dem bandenartigen Terrorismus, die Kluft zwischen dem satten Westen und dem durch den politischen und wirtschaftlichen Umbruch verunsicherten Ostdeutschland zu spiegeln. Verkürzt auf Chiffren: RAF versus NSU. Das eine ist ein extremes Produkt der Rebellion bürgerlicher Junglinker West gegen die nur oberflächlich entnazifizierte und wieder wirtschaftlich auftrumpfende Elterngeneration. Das andere ein Extremphänomen der im Osten weitflächigen, offen aggressiven Feindlichkeit gegen Ausländer.

Der rassistische Hass ist der gemeinsame Nenner biederer Verlierer in den Plattenbauten und ihrer kahlrasierten, gewalttätigen Vollstreckerjugend. Bei den Pogromen in Hoyerswerda und Rostock sind dann sogar beide Gruppen in völkischer Volkswut auf der Straße vereint.

Ihre Mutter: arbeitslos, alkoholkrank

In diesem Gebrodel durchlebt Beate Zschäpe im thüringischen Jena ihre Pubertät. Sie ist 15 Jahre alt, als die DDR in der Bundesrepublik aufgeht. Im Plattenbauviertel Winzerla hängt sie in einer Clique ab, in der Jungnazis den Ton angeben. Einer der Lautsprecher, Uwe Mundlos, wird Zschäpes Freund. Das Mädchen glaubt, endlich bei einer starken Figur Halt zu finden.

Zschäpes Mutter Annerose ist schwach, den rumänischen Vater hat die Tochter nie kennengelernt, Geschwister gibt es nicht. Schon zu DDR-Zeiten scheitern mehrere Ehen der Mutter, wegen einer Allergie muss sie den erlernten Beruf als Zahnmedizinerin aufgeben. Sie wird alkoholkrank, in der Wendezeit verliert sie auch noch ihren Job. Tochter Beate lebt jahrelang bei der Großmutter und wird, wie sie nach ihrer Festnahme 2011 der Polizei sagt, ein „Omakind“. In der Pubertät ist dann die rechte Clique der Familienersatz.

Zschäpe driftet nicht nur politisch ab. Im Prozess sagt ein früherer Jugendkumpel, sie habe gemeinsam mit Mundlos vietnamesische Zigarettenhändler beklaut. Die Schule beendet Zschäpe nach der zehnten Klasse, eine Lehre als Gärtnerin absolviert sie lustlos. Die junge Frau wäre lieber Kindergärtnerin geworden, doch sie bekommt in Jena keinen Ausbildungsplatz.

Die Beziehung mit Mundlos endet 1993, als der Skinhead seinen Grundwehrdienst ableistet. Zschäpe wendet sich einem noch härteren Jungrechten zu. Uwe Böhnhardt ist schon früh kriminell, er gilt als Waffenfreak, Freunde fürchten seine cholerischen Ausbrüche.

Erstaunlicherweise bleibt Mundlos nach seiner Zeit bei der Bundeswehr an der Seite des jungen Paares. Die gemeinsame rechte Gesinnung hält das „Trio“ zusammen. Zschäpe ist offenbar mehr als nur Kameradenweibchen, wie in der Szene üblich. „Sie hatte die Jungs im Griff“, erinnert sich im Prozess Zschäpes Cousin Stefan A.

Sie hängen eine Puppe an der Autobahnbrücke auf: "Jude"

Mundlos und Böhnhardt, vermutlich auch Zschäpe, mutieren zu ideologisch gefestigten Neonazis. Die beiden Uwes marschieren 1996 in SA-ähnlicher Kluft in der KZ-Gedenkstätte Buchenwald auf. Und Zschäpe, Böhnhardt, Mundlos tun sich mit anderen Rechtsextremen als „Kameradschaft Jena“ zusammen, die sich als elitärer Trupp versteht. Zwei Mitangeklagte aus dem NSU-Prozess, Ralf Wohlleben und Holger G., sind auch dabei.

Die Kameradschaft radikalisiert sich weiter. Im April 1996 beteiligt sich Zschäpe an der Herstellung eines Puppentorsos, den Böhnhardt und Mundlos an einer Autobahnbrücke aufhängen. Auf der Figur steht „Jude“ – und sie ist verbunden mit einer Bombenattrappe. Ende des Jahres werden Briefbombenattrappen an Polizei und Stadtverwaltung Jena geschickt, „Mit Bombenstimmung in das Kampfjahr 1997“, heißt es im Begleitschreiben. Zschäpe legt sich eine Schreckschusspistole zu, die sie, wie eine Zeugin im Prozess berichtet, in einem Holster trägt. Die Waffe bekommt einen Kosenamen: „Wally“.

Es folgen noch mehr Delikte, die Kameradschaft wird zum Vorläufer des NSU. Es sei über den bewaffneten Kampf diskutiert worden, sagt Holger G. in einer Vernehmung der Polizei nach dem Ende der Terrorzelle. Er und Wohlleben seien dagegen gewesen. Mundlos, der sich für die RAF interessiert, ist dafür, ebenso Böhnhardt und mutmaßlich auch Zschäpe. Und Tino Brandt, der Chef der überregionalen Neonazi-Vereinigung „Thüringer Heimatschutz“. Brandt ist für Mundlos, Böhnhardt, Zschäpe und die anderen Jenaer Nazis eine große Nummer. Dass er als V-Mann für den Thüringer Verfassungsschutz spitzelt, weiß in der Szene offenbar so gut wie niemand.

Am Morgen des 26. Januar 1998 durchsucht die Polizei in Jena eine Garage, die Zschäpe gemietet hat. Was die Beamten finden, reicht als Arsenal für rechtsextremen Terror: fünf halbfertige Rohrbomben, Zündvorrichtungen, 60 Superböller, insgesamt 1,4 Kilogramm TNT-Gemisch. Dazu eine Liste mit Kennzeichen von vermeintlichen Zivilfahrzeugen der Polizei und reichlich rechtsextreme Propaganda. Die Polizei rückt auch in Zschäpes Wohnung ein und stellt Waffen sicher, darunter eine Armbrust mit Zielfernrohr, sowie rechtsextreme Schriften. Und ein „Pogromly“-Spiel. Eine Art Monopoly für Judenhasser. In dem Brettspiel, das sich Mundlos ausgedacht hat, geht es darum, in mehreren deutschen Städten möglichst viele Juden in Konzentrationslager zu deportieren.

Von den Morden will sie erst später erfahren haben

Die Razzia schockt die Drei. Sie setzen einen offenbar schon länger gefassten Plan in die Tat um: abhauen. Vor allem Böhnhardt drängt. Er hat bereits wegen Diebstählen im Gefängnis gesessen und wurde von einem Mithäftling sexuell missbraucht. Seitdem steht für ihn fest: Er geht nie wieder in den Knast. Da er aber 1997 eine weitere Verurteilung kassiert hat und der Strafantritt droht, ist die Polizeiaktion für ihn das Signal zur Flucht. Mundlos und Zschäpe kommen mit. Im Wagen von Wohlleben setzen sich die Drei in Richtung Chemnitz ab. Die örtliche Skinheadszene nimmt sie auf, später ziehen sie nach Zwickau.

Was von 1998 an passiert, ist nur in Teilen klar. Als sich Zschäpe am 8. November 2011 in Jena der Polizei stellt, sagt sie wenig. Und verstummt dann vier Jahre lang, bis zum 9. Dezember 2015.

Es ist der 249. Verhandlungstag, an dem die Angeklagte ihr Schweigen beendet. Zschäpe lässt Verteidiger Grasel die schriftlich formulierte „Einlassung“ vortragen. Sie klingt wie ein Herzschmerzroman.

Als Böhnhardt und Mundlos im Dezember 1998 die mutmaßlich erste schwere Straftat begehen, sie berauben in Chemnitz einen Edeka-Markt, herrscht nach Darstellung Zschäpes noch Harmonie. Sie sei mit dem Raubüberfall einverstanden gewesen, „weil auch ich keine Möglichkeit sah, legal und ohne Gefahr der Verhaftung an Geld zu kommen“, lässt sie Grasel vortragen. Auch gegen die 14 weiteren Angriffe auf Filialen von Post und Sparkasse hatte Zschäpe nichts einzuwenden. Glaubt man ihr, dann zerbrach die Eintracht der drei Untergetauchten, als Böhnhardt und Mundlos begannen, in Serie zu morden.

Mitte Dezember 2000 will Zschäpe vom ersten Attentat erfahren haben. Drei Monate zuvor, am 9. September, hatten Böhnhardt und Mundlos in Nürnberg den türkischen Blumenhändler Enver Simsek erschossen. „Ich war geschockt. Ich konnte nicht fassen, was die beiden getan hatten“, liest Anwalt Grasel vor. „Ich bin daraufhin regelrecht ausgeflippt. Ich wusste nicht, wie ich auf diese unfassbare Tat reagieren sollte.“ Die Angeklagte hört ihrem Verteidiger mit der gewohnt unbewegten Miene zu.

Womöglich fühlte sie sich als Robin Hood

Zschäpe will den Uwes angekündigt haben, sich zu stellen. Die sollen geantwortet haben, „dass sie sich in diesem Fall selbst töten wollten“. Um sich der drohenden Verhaftung zu entziehen. „Ich stand vor einem für mich unlösbaren Problem“, referiert Grasel. „Sollte ich mich der Polizei stellen und die langjährige Haftstrafe in Kauf nehmen, so müsste ich wahrscheinlich den Tod der beiden einzigen Menschen, die mir neben meiner Oma lieb waren, auf mein Gewissen nehmen.“

Zschäpe blieb bei den Tätern. Auch nach den Morden an dem Nürnberger Schneider Abdurrahim Özüdogru am 13. Juni 2001 und an dem Hamburger Gemüsehändler Süleyman Tasköprü zwei Wochen später. Und nach dem Mord an Habil Kilic in München, Mehmet Turgut in Rostock, Ismail Yasar in Nürnberg, Theodoros Boulgarides in München, Mehmet Kubasik in Dortmund, Halit Yozgat in Kassel. Auch der zehnte Mord, diesmal war das Opfer die Polizistin Michèle Kiesewetter, die 2007 in ihrem Streifenwagen in Heilbronn erschossen wurde, war für Zschäpe nicht Grund genug, die Uwes zu verlassen.

Kurz vor Beginn der Morde, im Sommer 2000, sind Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos aus Chemnitz nach Zwickau gezogen. Bis 2008 leben sie in einfachen und nicht allzu großen Mietwohnungen. Nachbarn und weitere Zeugen aus dieser Zeit schildern Zschäpe als nette, umgängliche Frau. „Sie war die Zuhörerin für meine Sorgen, der Anker für mich“, sagt Heike K. am 67. Verhandlungstag. Sie wohnte in dem Haus in der Zwickauer Polenzstraße, in dem Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos mit falschen Namen lebten. Heike K. erzählt auch, Zschäpe habe öfter für sie und ihre Kinder Lebensmittel gekauft, „Pudding, Brot, Wurst, Nudeln, weil wir es nicht hatten“. Dass Zschäpe im Supermarkt mit Geld aus Banküberfällen zahlte, wusste die Zeugin nicht, woher auch. Womöglich fühlte Zschäpe sich als deutsches Pendant zu Robin Hood.

Heike K. erinnert sich auch, Zschäpe habe ihrem pubertierenden Sohn Patrick geraten, sich von der rechten Szene fernzuhalten. Warum?

Sie hatte elf Tarnnamen

Hatte Zschäpe sich innerlich vom Rechtsextremismus gelöst, wie die Verteidiger glauben? Oder wollte Zschäpe vermeiden, dass Patrick K. Ärger macht, die Polizei ins Haus kommt und entdeckt, dass dort drei Personen aus Thüringen leben, die seit Jahren gesucht werden?

Das Bundeskriminalamt fand heraus, dass die Drei mit einer Vielzahl von Tarnnamen agierten, bei Zschäpe waren es elf. Nachbarin Heike K. kannte sie als „Susann Dienelt“, Spitzname „Lisa“. Bei anderen Gelegenheiten trat Zschäpe als „Lisa Dienelt“ auf, als „Lisa Pohl“, „Liese Pohl“, „Susanne Pohl“, „Mandy Pohl“, „Sylvia Pohl“, „Silvia Rossberg“, „Mandy Struck“ oder „Susann Eminger“. Ein professionelles Verwirrspiel oder dilettantischer Versuch, mit Alias-Identitäten zurechtzukommen?

Anwältin Anja Sturm sagt im Juni in ihrem Plädoyer, schon die elf Alias-Namen zeigten, Zschäpe sei keine „geschickte Lügnerin“ gewesen. Für Sturm und die Co-Verteidiger der Hauptangeklagten hat sich Zschäpe verhalten, wie man sich in der Illegalität eben verhalten muss, um nicht aufzufallen. Für Terror und Mord, da sind sich die drei Altanwälte Zschäpes mit den beiden neuen Verteidigern einig, sei ihre Mandantin in keiner Weise verantwortlich.

Viel erzählt hat Zschäpe ihren Altanwälten über die Jahre im Untergrund und über sich nicht. Sie war schon gar nicht bereit, sich von dem Psychiater in die Seele schauen zu lassen, den das Oberlandesgericht als Gutachter für die Hauptangeklagte bestellt hatte.

Mit dem Psychiater redete sie kein Wort

Henning Saß ist eine Koryphäe unter den deutschen Psychiatern. Der ehemalige Chef des Universitätsklinikums Aachen hat den Mörder des Münchner Modemacher Rudolph Moshammer und viele weitere Angeklagte begutachtet. Doch Zschäpe redete mit dem hageren Professor kein Wort. Drei Jahre lang saß Saß im Gerichtssaal nur wenige Meter von der Angeklagten entfernt. Er beobachtete sie, auch in den Verhandlungspausen, wogegen die Verteidiger energisch protestierten. Saß bekam zahlreiche Zeugenaussagen mit, stellte selbst Fragen und studierte Ermittlungsakten. Im Oktober 2016 reichte er beim Strafsenat sein Gutachten ein. Der Inhalt ist für Zschäpe ein Tiefschlag.

Saß hat den „Verdacht auf eine akzentuierte Persönlichkeit“ mit „deutlichen antisozialen Tendenzen“. Sie erscheint als kalte, eisern beherrschte Frau mit wenig Empathie. Saß sieht keine „Anzeichen einer persönlichen Betroffenheit, eines gefühlsmäßigen Mitschwingens und einer spürbaren Anteilnahme an den Aussagen der Zeugen in entsprechenden Prozesssituationen, die zeitweise durchaus emotional berührenden Charakter trugen“. Damit sind vor allem die tragischen Auftritte von Angehörigen der Ermordeten gemeint.

Im Oktober 2013 hatte die Mutter des in Kassel erschossenen Halit Yozgat die Angeklagte angefleht, sich zu den Taten zu äußern. „Ich bitte Sie, dass Sie all diese Vorfälle aufklären“, sagte Ayse Yozgat im Prozess. „Denken Sie bitte immer an mich, wenn Sie sich ins Bett legen. Denken Sie daran, dass ich nicht schlafen kann.“ Zschäpe blieb stumm.

Möglich, dass sie sich kein bisschen geändert hat

Saß vermutet, die Angeklagte habe mit Mundlos und Böhnhardt eine verschworene Gemeinschaft gebildet und den „politisch-ideologischen Begründungsrahmen“ für die Taten „aus fremdenfeindlichem, rassistischem und nationalistischem Gedankengut“ akzeptiert. Der Psychiater hält es durchaus für möglich, dass Zschäpe sich in den vergangenen Jahren keineswegs geändert hat. Er spricht von einem „tief eingeschliffenen inneren Zustand“. Auch wenn Saß nicht ausschließt, dass Zschäpe anders sein könnte, ist der Tenor des Gutachtens eindeutig negativ. Bis hin zur Annahme, Sicherungsverwahrung könnte notwendig sein.

Auch Saß kann nur Vermutungen anstellen. Aber die Kluft zwischen der netten Nachbarin Beate Zschäpe, die ihre Katzen Lilly und Heidi hätschelte wie kleine Kinder, und der mutmaßlichen Terrorkomplizin, lässt sich kaum schließen. Vergangenen Dienstag sagt Zschäpe in ihrem letzten Wort als Angeklagte, „ich bin ein mitfühlender Mensch“. Sie habe sehr wohl den Schmerz der Angehörigen „sehen und spüren können“. Die Frage von Mutter Yozgat, „ob ich überhaupt noch ruhig schlafen könne“, habe sie betroffen gemacht. Dennoch weigert sie sich bis zum Schluss, Fragen der Nebenkläger zu beantworten. Zschäpes Betroffenheit ist offenbar nicht groß genug, um sich den Opferfamilien zu öffnen. Der Vater von Halit Yozgat empört sich nach Zschäpes letzten Sätzen, „ich glaube nichts von dem, was sie gesagt hat.“

Authentisch ist vielleicht nur, was Zschäpe 2013 im Brief an Robin S. von sich gegeben hat. Den Neonazi, der romantische Gefühle für sie zu hegen schien, behandelt sie von oben herab. „Seh Dich als meinen kleinen Gockel und gut“, schreibt Zschäpe und dämpft die Hoffnung auf eine Liebesbeziehung. „Übersteigerte Illusionen sind etwas für dumme Gänse. In diese Gruppe ordne ich mich nicht ein.“

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