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Viele Metrostationen in Paris sind nicht barrierefrei.

© IMAGO/NurPhoto

Achtung Stufe!: Barrierefreiheit in der Stadt der Liebe

Die Stadt Paris investierte anlässlich der Paralympischen Spiele 2024 viel in die Barrierefreiheit. Aber wie inklusiv ist die französische Hauptstadt wirklich?

Von
  • Anna von Gymnich
  • Carla Vitón Tamayo

Stand:

Paris ist berühmt für seine süßen engen Gassen, verwinkelten kleinen Hotelzimmern, winzigen Restaurants und viel, wirklich sehr viel Kopfsteinpflaster. Romantisch, aber überhaupt nicht praktisch. Viele Menschen mit Beeinträchtigungen werden während ihrer Zeit in Paris zu den Paralympischen Spielen vor logistische Herausforderungen gestellt. Und das, obwohl bereits einige Verbesserungen zur Barrierefreiheit in der französischen Metropole zu bemerken sind.

In die Nachhaltigkeit der Olympischen Spiele und Paralympics wurden laut der Stadt Paris über 125 Millionen Euro investiert. Ein Teil dieses Budgets, etwa 50 Millionen Euro, ist in die Optimierung der Barrierefreiheit der Stadt geflossen. Zehn Millionen Euro wurden für den Abbau von Barrieren in sechs zentralen Sportstätten ausgegeben. Verschiedene Stadtviertel, öffentliche Gebäude, der oberirdische Nahverkehr und auch Schulen wurden für Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen zugänglicher gemacht. Dazu gehören laut dem Internationalen Paralympischen Komitee (IPC) Orientierungshilfen wie geriffelte Bodenmarkierungen und die Anbringung von 10.400 akustischen Modulen an Kreuzungen für Menschen mit Sehbeeinträchtigung und die Sanierung von 17 Kilometern Gehweg.

Andrew Parsons, Präsident des IPC, betitelte den französischen Fortschritt bei der Eröffnungsfeier der Spiele sogar als „Revolution der Inklusion“.

Zur Vorbereitung auf die Spiele wurden die über 5000 freiwilligen Helfenden laut der Stadt Paris zu einem Achtsamkeitstraining für Behinderungen verpflichtet. Während des Sportevents kümmern sich zusätzlich über 260 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen um verschiedene Anliegen von Menschen mit Behinderungen. Diese Aspekte wurden in einer Liste mit zehn „herausragenden“ Punkten veröffentlicht, die als Erbe der Paralympics für Frankreichs Hauptstadt stehen sollen.

Milliardenprojekt Metro

Die Stadt Paris bemüht sich schon länger um mehr Inklusion. Neben dem materiellen Erbe der Paralympischen Spiele wie die Barrierefreiheit aller neu erbauten öffentlichen Gebäude, lag der Fokus ebenfalls auf einem immateriellen Erbe. Durch eine geplante Einrichtung von 40 neuen Para-Sport-Abteilungen in Pariser Sportvereinen soll Menschen mit Behinderung der Zugang zu Sport langfristig erleichtert werden.

Und dann gibt es noch die berühmte Pariser Metro. Im Jahr 1900 wurde die erste Linie eröffnet. Ein historisches Meisterwerk – das allerdings kaum mit Barrierefreiheit assoziiert werden kann. Zum jetzigen Zeitpunkt sind laut den Pariser Verkehrsbetrieben nur 29 der über 300 Metrostationen für Menschen im Rollstuhl barrierefrei. Als Vorreiter fungiert die Linie 14, die 1998 als letzte dem Bahnnetzwerk hinzugefügt wurde und vollkommen barrierefrei ist. Aufzüge, automatische Durchsagen und breite Gänge machen die Nutzung für Menschen mit nahezu jeder Form von Behinderung möglich. Dem Vorbild folgen die Expresszüge RER A und B.

Die Präsidentin der für den Nahverkehr zuständigen Hauptstadtregion Île-de-France, Valérie Pécresse, legte vor einigen Tagen nun einen Plan für eine „Metro für alle“ vor. Die Kosten werden auf 15 bis 20 Milliarden Euro geschätzt, die sich Region, Stadt und Staat teilen sollen.

Ob es der Stadt allerdings überhaupt gelingen kann, eine barrierefreie Metro anzubieten, ist längst nicht ausgemacht. „Nur eine teilweise Zugänglichkeit an einer Handvoll Stationen kann in Betracht gezogen werden, aber die Arbeiten sind nicht nur finanziell unverhältnismäßig teuer, sondern dauern pro Linie zwischen sieben und zehn Jahren und würden den allgemeinen täglichen Verkehr enorm beeinträchtigen“, hieß es jüngst in einer Analyse der Pariser Nahverkehrsgesellschaft (IDFM), aus der die Zeitung „Les Échos“ zitierte.

Damit die Nutzung der Metro für Menschen mit Rollstühlen, aber auch etwa für Eltern mit Kinderwägen umgangen werden kann, fokussiert sich die Stadt Paris hauptsächlich auf die Barrierefreiheit des oberirdischen Verkehrs. Die Pariser Straßenbahn ist vollständig barrierefrei; bei den Bushaltestellen sind es laut der Stadt Paris 68 Prozent. Während der Paralympics können außerdem Pendelbusse genutzt werden, um zwischen den Wettkampfstätten und verschiedenen Bahnhöfen mobil zu bleiben.

Ich kenne solche Situationen aus meinem Alltag, aber das hier sind die Paralympics – da hätte ich solche Probleme nicht erwartet.

Die ehemalige Para-Schwimmerin und Rollstuhlfahrerin Kirsten Bruhn über die Barrierefreiheit in Paris

Die dreifache Paralympics-Siegerin im Schwimmen Kirsten Bruhn ist von der Barrierefreiheit in Paris nicht überzeugt. Der Sportschau sagte die Rollstuhlfahrerin, sie würde Hindernisse und mangelnde Barrierefreiheit aus ihrem Alltag kennen. „Aber das hier sind die Paralympics – da hätte ich solche Probleme nicht erwartet.“ Für die ehemalige Sportlerin fühle es sich an wie ein „Offroad-Trainingslager.“

Auch Silbermedaillengewinner Niko Kappel nehme wahr, „dass Paris mit den sehr alten Strukturen nicht überall barrierefrei ist“, sagte der kleinwüchsige Kugelstoßer der Deutschen Presse-Agentur: „Aber ich will da überhaupt nicht auf Paris rumhacken. Das ist mir wichtig. Ich bin kein Fan davon zu sagen, ja da und dort gibt es überall Treppenstufen.“

Die Paralympischen Spiele waren für die französische Hauptstadt ein notwendiger Denkanstoß – und Ansporn. Das Ziel der Stadt für 2025 ist, dass 91 Prozent aller öffentlichen Einrichtungen, unter anderem Bahnhöfe, barrierefrei sein sollen.

Doch das Versprechen der Barrierefreiheit reicht nicht immer – die Organisation muss durchdacht sein. Heidemarie Dresing, die als Parareiterin in Versailles untergebracht ist und mit Multiple Sklerose lebt, erzählt von einem Besuch im Paralympischen Dorf in Paris. Als sie ankam, seien nirgendwo die besagten Golfcarts zu finden, die als Shuttlebusse im Dorf dienen sollen. „Ich musste mit meinen Gehstöcken laufen, das ist eine sehr große Anstrengung für mich.“

Irgendwann konnte Dresing nicht mehr und setzte sich auf den Stuhl eines Mitarbeiters, während ihr Mannschaftsarzt versuchte, einen elektronischen Rollstuhl für sie zu finden. Einmal gefunden, konnte sie damit ganze 150 Meter fahren, bevor sie angewiesen wurde, diesen wieder abzustellen. Den restlichen Weg sollte sie dann mit einem normalen Rollstuhl geschoben werden. Das Problem: Dresing besaß keinen Rollstuhl und ausleihen konnte man sich dort auch keinen. „Ich habe an dem Tage drei Kilometer gemacht. Dann beißt man halt die Zähne zusammen.“

Ihr Fazit: Schöner Ort, aber es gäbe noch viel zu bemängeln. „Da ist auf jeden Fall noch Luft nach oben“, sagt sie.

Um einen Besuch in der Stadt der Liebe genießen zu können, ist eine gute Vorbereitung der Schlüssel. Über 185.000 Menschen mit körperlichen Einschränkungen leben laut der Stadt Paris in der französischen Hauptstadt. Neben den Bewohner und Bewohnerinnen sind oft Touristen und Touristinnen von der fehlenden Barrierefreiheit betroffen.

Verschieden Apps und Internetseiten helfen dabei, barrierefreie Hotels, Metrostationen, Freizeitaktivitäten und Restaurants zu finden. Darunter fällt die Seite des Pariser Tourismusbüros sowie „parisjetaime“, die über 500 Hotels nach ihrer Zugänglichkeit bewertet oder auch Regeln für Blindenhunde teilt. Ergänzend gibt es das Label „Tourisme & Handicap à Paris“, das geeignete Unterkünfte für Menschen mit Geh-, Seh- und Hörbehinderung sowie geistige Einschränkungen listet.

Die Vergabe der Olympischen und Paralympischen Spiele nach Paris hat in der Stadt zu einem verstärkten Fokus auf Barrierefreiheit geführt – und viel hat sich tatsächlich schon getan. Die französische Hauptstadt wird sich jedoch an der Frage messen lassen müssen, ob dieses Umdenken auch fernab der Weltbühne Bestand hat.

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