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Watson und Crick mit einer Nachbildung ihres DNA-Modells.

© Cold Spring Harbor Laboratory Archives, NY

Ausstellung im Dresdner Hygiene-Museum: Als Watson und Crick die DNA entdeckten

Von Genen und Menschen: Das Dresdner Hygienemuseum versucht in seiner neuesten Ausstellung ein Menschheitsthema wissenschaftlich und doch anschaulich darzustellen.

Von Susanne Altmann

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Wenige Minuten nur dauert die Filmaufnahme, die offenbar in einem Operationssaal aufgezeichnet wurde. Unter den Tüchern ein Lebewesen, an dem versierte Hände einen kleinen Schnitt ausführen, eine Gewebeblase wölbt sich heraus und wird behutsam aus dem Inneren des Leibs ans Licht gebracht.

Manchen Besucher*innen ist dieser Anblick schon zu viel, und sie erleben nicht, wie ein kaum identifizierbares Tierchen per Kaiserschnitt geboren wird. Dabei handelt es sich doch um eine Sternstunde der genbasierten Reproduktionsforschung, in eine mehrteilige Installation übertragen durch den Künstler Christian Kosmas Mayer.

Wir befinden uns in der aktuellen Ausstellung „Von Genen und Menschen“ im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden. Hier erzählt Mayer die tragische Geschichte des Pyrenäensteinbocks als, gewissermaßen, dem Dodo des 21. Jahrhunderts. Denn diese Bucardo genannte Art starb um die Jahrtausendwende aus und wurde 2003 aus dem Genmaterial des letzten lebenden Exemplars geklont.

Mayers Ensemble aus dem Video, der originalen Falle für das „Muttertier“ Laña und dessen ausgestopfter Körper enthält die Essenz der Thematik: das Für und Wider der Gentechnik, Theorie und Praxis der einschlägigen Forschung und der Menschheitstraum, die Natur – zu welchem Zweck auch immer – auszutricksen.

Fast empfiehlt es sich, den Rundgang im allerletzten Raum mit der Saga vom letzten (und vorletzten) Bucardo zu beginnen. Denn dort sind künstlerische Arbeiten versammelt, die das komplexe Thema Genetik nicht als Sidekicks illustrieren, sondern auf assoziative und poetische Weise einführen. Gleich neben dem Drahtverhau mit der Fall(en)tür befindet sich eine weitere Großprojektion: Jumana Mannas „Wild Relatives“ (Wilde Verwandte, 2018).

Dafür begleitete die gebürtige Palästinenserin syrische und libanesische Landarbeiterinnen auf Äcker, wo Pflanzensamen nicht zur Weiterverarbeitung, sondern für eine globale Saatgutbank geerntet werden. Mannas dokumentarische Inszenierung greift auch den geopolitischen Kontext auf: Krieg, Hunger, Klimawandel und Landspekulationen.

Schauplatzwechsel in den hohen Norden: Dort, wo derlei Samendepots sicher aufbewahrt werden, unterhalten sich zwei Priester über das Projekt, über die Schöpfung und jene großen Menschheitsthemen, die in der gesamten Ausstellung mitklingen.

Chromosomen eineiiger Zwillinge, und doch unterschiedlich. 

© (2005) National Academy of Sciences, U.S.A

Wer seinen Besuch allerdings brav von vorne beginnt, wird von einer hohen, palisadenartigen Wand womöglich eingeschüchtert. Dahinter stellen sich in einem vielstimmigen, textreichen Labyrinth die frühen Gretchenfragen der Genetik vor. „Herkunft“ nennt sich dieser Einstieg, in dem es um die Geburt dieser Wissenschaft aus dem Geist von Medizin und Forensik geht, um menschenverachtende Klassifizierungsversuche und um die Erfassung von Geninformationen im Dienste autoritärer Überwachung. Ethische Probleme sind dabei omnipräsent.

1953, als die beiden US-Forscher James Watson und Francis Crick die Struktur der menschlichen Erbanlagen identifizierten, mag ihnen die Tragweite nicht klar gewesen sein. Ihre Arbeit führte (auch) zu einer Flut von Visualisierungen der DNA-Doppelhelix als medialer Ikone. Ab diesem Punkt wird die Ausstellung reicher an dreidimensionalen Exponaten. Neben den einschlägigen Spiral- oder Gerüstmodellen, fällt ein hinterleuchtetes Dokument auf.

„Mein lieber Michael,“ beginnt der handgeschriebene Brief, „Jim Watson und ich haben wahrscheinlich eine höchst wichtige Entdeckung gemacht. Wir haben ein Modell der Struktur der Des-oxy-ribo-nuclein-säure (lies es sorgfältig), kurz D.N.A. genannt, gebaut. Unsere Struktur ist wunderschön. Es ist wie ein Code.“

Vor genau 70 Jahren schrieb Crick diese euphorischen Zeilen an seinen zwölfjährigen Sohn. Das Erbe dieser und anderer Erkenntnisse wird in der Schau anschaulich diskutiert: in Form des weltweiten Humangenomprojekts, mit Untersuchungen zur genetischen Disposition von geschlechtlicher Identität oder zum Phänomen eineiiger Zwillinge.

Hier fasziniert erneut ein Kunstwerk: Candice Breitz’ filmische Beobachtung von je zwei Zwillingsschwestern (2009), die unabhängig voneinander auf einen Fragenkatalog reagieren. Wie bei Mayer und seinem Bucardo, öffnet auch dieses Kunstwerk den Blick auf eine Art Naturwunder, weit über den Horizont wissenschaftlicher Analyse hinaus.

Nun besteht ja die Stärke der Ausstellungen am Hygiene-Museum traditionell im Einbezug von Gegenwartskunst, nicht immer so erfolgreich wie hier. Etwa mit Camille Henrots zarten Aquarellen von der eigenen Mutterschaft als Kommentar zur Reproduktionsgenetik oder Donna Haraways literarische Vision von einem vernunftbegabten Mischwesen aus Insekt und Mensch neben einer mexikanischen Schmetterlingsmaske.

Mit solchen Konstellationen verleiht Kuratorin Viktoria Krason dem komplexen Genthema – nun ja: Flügel. Übrigens, das ehrgeizige Klonexperiment mit dem Bucardo endete eher traurig: Nach nur sieben Minuten Existenz verschied das Steinböckchen.   

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