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Ein Mann vom DRK-Fahrdienst schiebt Rollstuhlfahrer über eine Rampe in den Transporter.

© imago images/Margit Wild

Behinderten-Fahrdienst in der Krise: Zu hohe Kosten, zu wenig Passagiere

Das Unternehmen „Jessica“ muss Fahrzeuge verkaufen und Personal entlassen. Die Senatsverwaltung versteht das Problem, kann aber nicht helfen.

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Die vorweihnachtliche Stimmung ist mies beim Fahrdienst „Jessica“ in Rudow. Eigentümer Nico Seefeldt hat zum Jahresende neun Mitarbeitende entlassen, das ist ein Viertel der Belegschaft. Es geht nicht anders, sagt Seefeldt. „Corona haben wir gerade so überlebt, aber jetzt kommt der absolute Schlag.“ „Jessica“ fährt Menschen mit Behinderung in die Schule und zur Arbeit. Die täglichen Touren stehen fest, und die Fahrgäste auch. Eigentlich. Denn in den vergangenen Monaten sind viele Behinderte nicht mitgefahren. „Grund der Absagen sind Krankheiten oder sie haben verschlafen oder vergessen, dass sie einen Termin haben oder, oder, oder“, erzählt Seefeldt dem Tagesspiegel. „Wir sind die Leidtragenden.“ Denn die Ämter zahlen nicht für Plätze, die frei bleiben.

Gut 8000 Menschen mit Behinderung arbeiten in Berlin in Werkstätten, ein Großteil davon wird von „Jessica“ und schätzungsweise 70 weiteren Fahrdiensten abgeholt und nach der Arbeit nach Hause gebracht. Alles in allem, also zuzüglich der nicht arbeitenden Menschen mit Handicap, haben 23.000 Personen in Berlin die Berechtigung zur Nutzung der Fahrdienste, heißt es bei der Senatsverwaltung für Soziales, Arbeit und Integration. Das Problem der Fahrdienste ist bekannt. „Unter Berücksichtigung der erheblichen Kostensteigerungen bei den Personalkosten und den Kosten für die Anschaffung und den Unterhalt von Fahrzeugen erfolgte zum 1.10.2022 eine Vergütungsanpassung“, teilte die Verwaltung auf Anfrage mit.

Nico Seefeldt, Mitgründer und Inhaber des Fahrdienst Jessica in Berlin Rudow. Das Unternehmen bietet Behindertentransporte an.

© privat

Bei „Jessica“ ist die Seefeldt zufolge nicht angekommen. Die Geschäftslage hat sich vielmehr verschärft. Wegen fehlender Fahrgäste seien die Einnahmen in den vergangenen Monaten um 20.000 bis 30.000 gesunken, erzählt Seefeldt, gleichzeitig habe er aufgrund der Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns die Löhne seiner Fahrer von 13 auf 14,50 Euro erhöht. In der Folge stiegen die Personalkosten von 64.000 Euro auf 86.000 Euro. „Der Dezember war der schlimmste Monat ever“, berichtet Seefeldt. Im Büro habe er vier Mitarbeitende zum Monatsende entlassen müssen, von 24 Fahrzeugen will er vier verkaufen.

Der Senat macht nix, weil es ihn nicht interessiert.

Nico Seefeldt, Inhaber des Fahrdienstes „Jessica“

„Die Sachbearbeiter in den jeweiligen Ämtern verstehen unsere Lage und kennen die Probleme, aber der Senat macht nix weil es ihn nicht interessiert“, schimpft der „Jessica“-Chef und fordert Entgegenkommen: Der Senat sollte die stornierten Fahrten zu 50 Prozent vergüten. Seefeldt hat an die Bezirksämter, die Senatskanzlei und die Senatsverwaltung für Soziales geschrieben und Antwort bekommen. „Ich darf Ihnen versichern, dass unser Haus intensiv an einer Lösung zur Anpassung der Vergütungspauschalen für die Beförderungsleistungen in den Eingliederungshilfen arbeitet, um auch Ihrem Unternehmen ein wirtschaftliches Arbeiten zu ermöglichen“, schreibt eine Sachbearbeiterin in der Sozialverwaltung.

Das klingt vielversprechend, doch mehr Geld gibt es nicht. „Leider kann Ihrem Wunsch, auch kurzfristig abgesagte Fahrten zu vergüten, dabei nicht entsprochen werden, da es dafür einer rechtlichen Grundlage entbehrt.“ Wie viel Geld das Land für die Beförderung behinderter Menschen ausgibt ist nach Angaben der Sozialverwaltung ebenso wenig bekannt wie die Zahl der mit den Fahrdiensten beförderten Kita-Kinder, Schüler, Senioren und Arbeitnehmer. Es gibt dafür kein festes Budget, „die Ausgaben des Landes Berlin richten sich hierbei nach der Anzahl der Berechtigten, der bewilligten Eingliederungsleistungen und der von den NutzerInnen benötigten Fahrten“, schreibt die Verwaltung.

Vor rund zwei Jahren hat die Senatsverwaltung eine Empfehlung gegeben, wie die Fahrten von den zuständigen Ämtern in den Bezirken vergütet werden könnten: 3,50 Euro je Kilometer für die ersten fünf Kilometer, danach 1,65 Euro je Kilometer. „Das sind Taxipreise“, schimpft Seefeldt. Die Umbau- und Versicherungskosten der Fahrzeuge würden ebenso wenig berücksichtigt wie der Aufwand beim Ein- und Aussteigen. Mindestens 3,90 Euro/Kilometer seien erforderlich, um kostendeckend fahren zu können.

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Die Sozialverwaltung rät ihm für den Fall von nicht angetretenen Fahrten, „eine Vereinbarung im Vertragsverhältnis Fahrdienst und Fahrgast“ zu schließen, damit „eine Kompensation der finanziellen Ausfälle erfolgen“ kann. Die Behinderten sollten sich also an den Kosten beteiligen. „Sagen Sie mir bitte, wie ein behinderter Mensch Rechnungen vom Fahrdienst begleichen soll“, fragt Seefeldt zurück.

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