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3000 Anrufe bei der Berliner Wildtierberatung: „Beim Waschbär erstaunt uns gar nichts mehr“
Garten verwüstet, Getöse unterm Dach, Gecko im Koffer: Beim Wildtiertelefon des Naturschutzbundes geht es oft um akuten Ärger, böse Überraschungen – und moralischen Beistand.
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Mehr als 3000 Mal hat das vom Naturschutzbund Nabu betreute Telefon der Berliner Wildtierberatung im vergangenen Jahr geklingelt – Rekord trotz verkürzter Sprechzeiten, wie der Verein jetzt mitteilte. Wer anruft, hat meist Claudia Harnisch oder Katrin Koch an der Strippe. Die brauchen nicht nur Sachverstand, sondern auch Einfühlungsvermögen.
Denn der typische Anrufer betrauert beispielsweise seinen von nächtlichem Waschbärbesuch umgegrabenen Rasen. Bei 769 Beratungen ging es laut Nabu um Waschbärthemen. Ein Exemplar sei auf einem Fensterbrett in der achten Etage entdeckt worden, berichtet Katrin Koch. „Sie können sich nicht vorstellen, was so ein Tier leistet: Die überwinden Fallrohre und kommen auch über Winkel im Mauerwerk. Beim Waschbär erstaunt uns eigentlich gar nichts mehr.“
Im Umkehrschluss bedeutet das, dass die Kletterkünstler kaum daran zu hindern sind, einen Rasen in mehreren Nachtschichten nach Würmern und Insektenlarven zu durchsuchen. Da sie auch gern in Dachböden einziehen, sei die Vor-Ort-Beratung der Nabu-Kollegin Carolin Weh „außerordentlich hilfreich“. Wobei der Erfolg sich oft darauf beschränkt, das Verständnis Betroffener für die Wildtiere zu befördern und sinnvolle Kompromisse zwischen exzessiver Tierliebe und Feindseligkeit zu arrangieren.
Jadgbare Tiere zu füttern, kann bestraft werden
Gutgemeintes Füttern – das bei „jagdbaren Tieren“ als Ordnungswidrigkeit bestraft werden kann – sei ein typischer Anfang für Probleme. Füchse beispielsweise könnten ihr Futter dann immer aggressiver einfordern. Sie sind neben Waschbären und Wildschweinen ein Standardthema am Wildtiertelefon.
Schildkröten werden in Massen weggeworfen.
Katrin Koch, Wildtierberaterin beim Naturschutzbund Nabu.
Im Schnitt seien die Beratungsthemen weniger lustig, als man vielleicht glaube, sagt Koch, die gelernte Landwirtin ist und sich seit DDR-Zeiten ehrenamtlich im Naturschutz engagiert. „Wir haben viel mit kranken Tieren zu tun“; manche müssten von ihrem Leid erlöst werden. Entflogene Exoten seien auch ein häufiges Thema, „gerade Fasane sind ja extrem attraktiv“. Oft gehe es auch um Schildkröten. „Die werden in Massen weggeworfen.“ Koch verwendet das Wort bewusst: „Die sind nicht einfach entlaufen.“
Wenn der Gecko aus dem Koffer steigt
Abwechslung kommt auf, wenn mal wieder eine kapitale Spinne aus einer Bananenkiste guckt, eine Eidechse aus einer spanischen Gärtnerei mitgereist ist oder ein Gecko dem Urlaubsgepäck entsteigt. Für die Spinnen gebe es Wissenschaftler und Fachleute in Behörden, bei der Eidechse komme es auf die Art an, der Gecko sei in Berlin schwer unterzubringen.
In Berlin-Marzahn leben viele Feldhasen
Zu den für Laien nur mäßig ansehnlichen, aber für die Fachfrau erfreulichen Fällen gehört, wenn ein Anrufer von einem Habicht berichtet, der auf dem Fensterbrett gerade eine Taube zerlegt. Im Idealfall sei der Habicht beringt, sodass die Wissenschaft von der Meldung profitiere. Ähnlich sei es mit den selten gewordenen Feldhasen, von denen sich in Marzahn eine stabile Population hält.
Aber die Waschbären dominieren. Wie viele es sind und ob es noch mehr würden, sei unklar, zumal man ihren Aktionsradius in der Stadt bisher nicht kenne. Der Bestand scheine sich durch Staupe und Räude – für die Tiere qualvoll und tödlich – teilweise selbst zu regulieren, sagt Koch.
Über die Berliner Wildschweine weiß man schon mehr: „Ein Ferkel, das in der Stadt geboren wird, lernt, wie schön es hier ist“, beschreibt Koch die Lage: „Hier tut mir keiner was, es gibt Blumenzwiebeln und Eicheln, die Hunde taugen hier nichts und immer mal gibt mir jemand was zu fressen.“ So komfortabel hätten es die sozialen Allesfresser in freier Wildbahn eher nicht – mit der Folge, dass die Rudel immer mal wieder ein Fall für Polizeieinsätze oder Stadtjäger würden. Ärger mit überforderten Hundebesitzern gebe es auch immer wieder.
Da die Stadt auch auf Kosten der Natur wächst, werden die Konflikte eher zu- als abnehmen. Dass man vielen Leuten zumindest moralisch helfen könne, sei ein positiver Aspekt ihrer Arbeit, sagt Katrin Koch. Fürs laufende Jahr ist die Finanzierung des Wildtiertelefons gesichert. Weitere Prognosen wagt man beim Nabu nach den Dramen um den aktuellen Berliner Landeshaushalt nicht.
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