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Das Google Logo auf dem Google Campus in Silicon Valley (USA).

© picture alliance / Ole Spata/dpa

Betrugsmasche „Google-Fonts“: Razzia bei Berliner Abmahnanwalt Kilian Lenard

Die Justiz geht gegen die Abzockmasche des Anwalts Kilian Lenard vor. Er soll 350.000 Euro von eingeschüchterten Website-Betreibern erpresst haben.

Die Staatsanwaltschaft Berlin hat am Mittwochmorgen die Kanzlei des Abmahnanwalts Kilian Lenard in Mitte durchsuchen lassen. Per richterlichem Durchsuchungsbeschluss rückte die Polizei auch bei drei weiteren Objekten unter anderem seines Mandanten in Ratzeburg, Hannover und Baden-Baden an. Gegen den 53-jährigen Lenard wird in 2418 Fällen von gewerbsmäßigem Betrug und Erpressung ermittelt, in rund 400 davon wegen versuchter Taten.

Seit einiger Zeit schon warnen Wirtschaftsverbände, Internetkenner und Juristen vor der Masche Lenards. Der soll damit laut Staatsanwaltschaft bereits 346.000 Euro von Betreibern von Internetseiten – Privatpersonen und Kleingewerbetreibende – wegen der Einbindung von „Google Fonts“ eingenommen haben.

Pro Vergleich zahlten sie 170 Euro, um weiterem Ärger mit dem Anwalt zu entgehen. Rund 420 Betreiber fielen auf Lenard jedoch nicht herein, sondern stellten Strafanzeige. Die Ermittler beschlagnahmten am Mittwoch zahlreiche Beweismittel, insbesondere Unterlagen und Datenträger. Mit zwei Arrestbeschlüssen wurde die ergaunerten 346.000 Euro sichergestellt.

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Worum geht es genau? Google Fonts ist ein interaktives Verzeichnis mit mehr als 1400 von Google bereitgestellten Schriftarten. Die Bibliothek ist frei verfügbar, die Einbindung hilft bei der Textdarstellung auf Websites. Die Fonts müssen nicht einmal auf dem eigenen Server bereitgehalten werden. Wer eine solche Website besucht, lädt mit seinem Browser direkt die Fonts von Google-Servern – im Gegenzug werden Nutzerdaten wie die IP-Adresse an Google weitergeleitet.

Abmahnanwalt Lenard stützt sich bei seinem Vorgehen auf ein Urteil des Landgerichts München (Az.: 3 O 17493/20). Es hat mit seiner Entscheidung vom 20. Januar 2022 die Abmahnwelle gewissermaßen ausgelöst. Das Gericht meinte, dass durch den Einsatz von Google Fonts auf Websites die dynamischen IP-Adressen von Nutzern an die Server von Google in den USA übermittelt werden, ohne das Nutzer eingewilligt haben. Das sei ein Verstoß gegen die Datenschutzgrundverordnung.

Gericht sah „individuelles Unwohlsein“

Dadurch habe der Kläger in diesem Fall einen Kontrollverlust über seine personenbezogenen Daten erlitten. Das Gericht sah eine immaterielle Verletzung des Klägers und gestand ihm Schadenersatz zu. Denn Google sei ein Unternehmen, das „bekanntermaßen Daten über seine Nutzer sammelt“, befand das Gericht. Die Folge der Datenweitergabe sei ein „individuelles Unwohlsein“, das so erheblich sei, dass es einen Schadenersatzanspruch rechtfertige.

Das machten sich Anwalt Lenard und sein 41-jähriger Mandant Martin Ismail in Baden-Württemberg zu Nutze. Der besuchte ganz bewusst Webseiten mit eingebundenen Google Fonts. Sie sollen mit einer eigens programmierten Software Websites, die Google Fonts nutzen, gesucht und dann mit einer weiteren Software Besuche dieser Internetseiten automatisiert und damit fingiert haben.

Die Besuche der Websites wurden zwar protokolliert, um die Betreiber abmahnen zu können. Doch der Anwalt und sein Mandat sollen sie getäuscht haben, indem sie behaupteten, eine Person habe die Websites besucht. Doch mangels Person läge dann keine Verletzung eines Persönlichkeitsrechts vor. Weil sie diese Internetseiten bewusst besucht haben sollen, hätten sie faktisch der Datenübermittlung zugestimmt – womit es auch keinen Datenschutzverstoß gebe. In einigen Fällen seien auch gar keine Daten in die USA übermittelt worden, hieß es.

Lenard verschickte dann für seinen Mandanten massenhaft Abmahnungen und bot an, für 170 Euro Schadenersatz auf eine Klage zu verzichten. Dabei soll dem Anwalt und seinem Mandaten bewusst gewesen sein, dass ihre Schmerzensgeldforderungen gar „nicht bestanden“ haben und dass sie sie auch nicht gerichtlich hätten durchsetzen können, wie die Staatsanwaltschaft erklärt. Die Drohung eines Gerichtsverfahrens hätten sie allein erhoben, damit die Opfer dem Vergleich zustimmen und die 170 Euro zahlen.

Experten sprechen von einem klar rechtsmissbräuchlichen Vorgehen. Verbraucherschützer, Anwälte und Wirtschaftsverbände gehen inzwischen auch gegen die Abmahnwelle vor. Der Rat aller Experten: Auf keinen Fall die geforderten 170 Euro zahlen.

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