
© AFP/TOBIAS SCHWARZ
Aktionen der „Letzten Generation“ in Berlin: Die Straßenblockaden werden erst enden, wenn die Klimaschutzblockaden in den Parlamenten enden
Ziviler Ungehorsam ist legitim, sagt der innenpolitische Sprecher der Berliner Grünen. Schließlich ist Deutschland gerade dabei, die Klimaziele eklatant zu verfehlen.
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Die Straßenblockaden der „Letzten Generation“ treiben so manch einen Autofahrer auf die Palme. Die Stadt ist zwar nicht wie angekündigt lahmgelegt, dennoch stehen Tausende schon wieder im Stau. Im Abgeordnetenhaus habe ich die Proteste als legitim verteidigt, kann man das heute auch noch? Ich finde ja, denn ziviler Ungehorsam war schon oft Ausgangspunkt für gesellschaftliche Veränderung, auf die wir heute stolz sind. Sei es der Kampf für das Frauenwahlrecht oder der Protest der Anti-AKW-Bewegung, der noch mit Wasserwerfern und Schlagstöcken beantwortet wurde.
Immer wieder wird die Frage gestellt, wie stark sich die Grünen von der „Letzten Generation“ distanzieren. Zwar hat mein Bundesvorsitzender Nouripour recht, wenn er die Proteste für „wenig zielführend“ hält, dennoch ist das Verfallen in eine Abwehrhaltung genauso wenig zielführend.
Wenn sich vor allem junge Menschen aus Sorge vor der Klimakrise auf die Straßen kleben, werden sie zu Kriminellen, Extremisten oder gar Terroristen stilisiert. Ein ums andere Mal wird verkannt, dass die Aktionsform der Straßenblockade friedlich ist, im Gegensatz zur Selbstjustiz einiger Autofahrer.
Selbst Justizminister Buschmann verdreht mit seiner Warnung vor „Straßenschlachten“ die Realität, Berlins Innensenatorin Spranger kokettiert durch Verständnis für Selbstjustiz. Dabei greift der Rechtsstaat, wenn Straftaten begangen werden. Die Aktivist:innen sind bereit diese in Kauf zu nehmen, genauso, wie sie die Strafen annehmen. Das Bekenntnis zum Rechtsstaat durch die „Letzte Generation“ ist deutlicher als das, was sich in Kommentarspalten und auf einem Großteil der politischen Bühne abspielt.
Gewaltphantasien und Notwehrrhetorik
In der Hauptstadt finden jährlich 7000 Demonstrationen statt. Sie sind vom Grundgesetz geschützt, auch wenn sie stören und unbequem sind. Sonst könnten alle Demos auf die Brandenburger Wiese verbannt werden, wo sie keiner mitbekommt. Die Väter und Mütter des Grundgesetzes haben sich schon etwas dabei gedacht. Im Stau steht niemand gerne, das ist eine Binsenweisheit.
Immer wieder wird betont, dass man die Ziele der Aktivist:innen teile, aber die Aktionsform falsch sei. Autofahrende und Polizist:innen sind die Leidtragenden. Die Analyse ist einfach, die Lösung hingegen nicht. Man solle die Aktivist:innen „wegschließen, und zwar so lange wie möglich“, tönt es von der CDU im Plenum des Abgeordnetenhauses. Ein Sonderstrafrecht fürs „falsche“ Demonstrieren. Und selbst die SPD will eine Ausweitung der Präventivhaft, ursprünglich eingeführt zur Terrorismusbekämpfung. Hinzu kommen Gewaltphantasien und Notwehrrhetorik.
Doch Abschreckung und hohe Strafen lassen die Aktivist:innen offensichtlich unbeeindruckt. Konsequent zu Ende gedacht wäre das Problem also erst gelöst, wenn ein Klimaaktivist nach dem anderen im Gefängnis landet. Doch wäre damit etwas gewonnen?
Konservativen spielt die Debatte um Strafverschärfungen in die Karten. So müssen sie sich nicht selbst für Proteste rechtfertigen, welche die logische Konsequenz der jahrzehntelang verfehlten Klimapolitik ist. Nahtlos übernimmt nun Verkehrswendeverhinderungsminister Wissing. Der selbsternannte Klimakanzler Scholz schaut zu.
Wir sind gerade dabei, die Klimaziele eklatant zu verfehlen. Das ist keine Meinung, das ist Fakt. UN-Generalsekretär Guterres, bekanntlich kein Mitglied extremistischer Gruppierungen, warnt: „We are on the way to climate hell.“ Ist es da nicht verständlich, dass gerade die junge Generation die Zuversicht – wenn nicht sogar das Vertrauen – in politisches Handeln verliert?
Deutschland scheitert an seinen eigenen Klimaschutzgesetzen, während wir über Sekundenkleber und Speiseöl diskutieren.
Vasili Franco
Diese bittere Realität vor Augen scheinen die Forderungen nach Tempolimit, 9-Euro-Ticket und einem Gesellschaftsrat wenig revolutionär und erst recht nicht staatsgefährdend. Für all diese Fragen gibt es gesellschaftliche Mehrheiten. Mit jedem Tag nähern wir uns unumkehrbaren Klimakipppunkten an, das Unterlassen des Tempolimits gefährdet Menschenleben und mittlerweile hat das Bundesverfassungsgericht mahnend die „intertemporale Freiheitssicherung“ zum Grundrecht erhoben. Während die Klimapolitik hinter dem Notwendigen zurückbleibt.
Wir pumpen immer noch Milliarden in klimaschädliche Subventionen, reden über Sanktionen fürs Demonstrieren, aber nicht für das Verfehlen von Sektorzielen. Deutschland scheitert an seinen eigenen Klimaschutzgesetzen, während wir über Sekundenkleber und Speiseöl diskutieren.
Wer zukünftige Generationen nicht durchweg ihrer Freiheit berauben möchte, muss die Artikulation des Notwendigen zulassen. Bis die Politik handelt. Sonst werden wir tatsächlich zur letzten Generation auf diesem Planeten. Die Lösung ist einfach und doch so schwer: Die Straßenblockaden werden erst enden, wenn die Klimaschutzblockaden in den Parlamenten enden.
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