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Berlin: Alles andere als primitiv: eine Ausstellung zeigt die Kultur der slawischen Urahnen

So einen Boden nennt man geschichtsträchtig. Und das Schürfen in solchem Boden, die Archäologie, ist ein ernsthaftes Geschäft, das auch heiter zu nehmen ist.

So einen Boden nennt man geschichtsträchtig. Und das Schürfen in solchem Boden, die Archäologie, ist ein ernsthaftes Geschäft, das auch heiter zu nehmen ist. Schüler halfen beim Graben am Brandenburger Dom. Sie warfen im Übermut ein paar Kleinigkeiten ins Erdreich, um einander zu foppen: kleinstes Spielzeug, Emaillearbeiten, auch bunte Glasmurmeln. Das ging als slawische Fundsache nicht durch. Dem scharfen, geübten Blick des anleitenden Archäologen aber war es zu verdanken, daß ein Bronzepferdchen, kleiner als ein kleiner Finger, nicht auch als Fopp-Spielzeug über den Haufen geworfen wurde. Dieses und ähnliche Pferdchen sind das reizendste, das in einer Ausbreitung auf der Orgelempore der Nikolaikirche im Nikolaiviertel zu sehen ist. Wir sehen wie ähnlich die slawischen Urahnen wirtschafteten, womit sie handelten und zwar von ihren Siedlungsknotenpunkten an Flüssen aus bis nach Finnland und Kiew.

Die Pferde - hier als Amulett und Schmuckstück - hatten kultische Bedeutung. Sie gaben - gerafft gesagt - den Menschen Entscheidungshilfe. Sie weissagten gewissermaßen. Sie wurden von Priestern geführt und von Stammesfürsten geritten. Vor einem Waffengang kam es darauf an, ob das Pferd mit diesem oder jenem Huf diesen oder jenen Gegenstand dann oder dann berührte. Das konnte kriegs- oder friedensentscheidend sein. Solches ist vorstellbar dem, der abergläubisch keine Pflasterfuge betreten will auf dem Gang ins Examen oder in eine Verhandlung. Die heidnischen slawischen Stämme wurden auf dem Wege zum Christentum von den Deutschen unterworfen. Und auf solchem Boden wurde der Dom zu Brandenburg errichtet. Unter ihm fand sich ein verbranntes Haus aus dem 10. Jahrhundert. Unter schützenden Schichten blieben verkohlte Hausratsgegenstände erhalten: wir sehen einen Flatschen Leder eines Halbschuhs, sehen zartestes Gewebe eines Tuches und staunen über Haselnüsse, Erbsen, Ackerbohnen aus der Küche des versunkenen Lebenskreises. Bis in die zwanziger Jahre unseres Jahrhunderts hinein hat man in Brandenburg noch Getreidekörbchen geflochten wie die slawischen Urahnen.

Es ist gut zu wissen, dass wir Heutigen nicht das Rad erfunden haben, auf das unsere Lebensschnur gewickelt ist. Der Boden, über den wir gehen, birgt viel, was uns bescheidener machen sollte.Ausstellung: Di - So, 10 - 18 Uhr, Eintritt für Nikolaikirche, Ephraim-Palais und Knoblauchhaus 5 DM, ermäßigt 2,50 DM.

Ekkehard Schwerk

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