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Leerstelle. Jens Wieseke am Spreeufer, wo sonst ein Holzkreuz an den Halbbruder seiner Patentante erinnert.

©  Lars von Törne

Gestohlene Holzkreuze für Maueropfer: Angehörige: Aktivisten treiben „schmutzige Spiele“

Angehörige von Maueropfern werfen Aktivisten vor, die Erinnerung an die Grenztoten zu missbrauchen. Die Flüchtlings-Initiative will die am Reichstag gestohlenen Kreuze nach dem 9. November zurückbringen.

Mindestens einmal im Jahr besuchen sie den kleinen Platz am Spreeufer neben dem Reichstag. Da verharren Jens Wieseke (50) und seine Patentante Irene Düllick (70) dann still vor einem der weißen Holzkreuze, auf dem ein Name steht: Udo Düllick. Der Halbbruder von Irene Düllick war 1961 eines der ersten Todesopfer an der Berliner Mauer. Er ertrank in der Nacht auf den 6. Oktober 1961 beim Versuch, am Osthafen von Friedrichshain nach Kreuzberg zu schwimmen, während des Fluchtversuchs schossen DDR-Grenzer auf ihn.

Dort, wo bislang das Kreuz an einem Stahlgitter montiert war, ist jetzt eine Leerstelle. „Vor allem meine Tante ärgert sich maßlos, dass so etwas gemacht wird“, sagt Wieseke. Vor kurzem haben Aktivisten der Gruppe „Zentrum für politische Schönheit“ die sieben doppelseitig beschriftete Holzkreuze mit den Namen von 13 Maueropfern entfernt, um wie berichtet auf das Schicksal heutiger Flüchtlinge an den EU-Außengrenzen hinzuweisen. „Hier werden die Toten vereinnahmt, ohne dass die Angehörigen gefragt wurden“, ärgert sich Wieseke, den man vor allem als Sprecher des Fahrgastverbandes Igeb kennt. Jetzt hat er im Namen seiner Patentante Strafanzeige gegen die Initiatoren der Aktion gestellt. Dabei habe seine Patentante selbst immer wieder gefordert, dass man seine Stimme erheben müsse, wenn Menschen litten, wie das heute bei Flüchtlingen der Fall sei. Aber diese Aktion? „Das geht nicht.“

„Ich garantiere, dass die Kreuze zurückkommen“

Auch andere Angehörige haben sich inzwischen an die Polizei gewandt. „Mehrere Anzeigen“ seien bereits eingegangen, sagte ein Sprecher am Dienstag. Daraufhin wurde das bislang wegen Sachbeschädigung und Diebstahls geführte Ermittlungsverfahren jetzt um den Tatbestand Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener erweitert. Wie berichtet, ermittelt der polizeiliche Staatsschutz.

Wiesekes Ärger bezieht sich allerdings nicht nur auf die Aktivisten, die ihre „schmutzigen Spiele“ mit dem Leid der Maueropfer und ihrer Angehörigen trieben. Er fragt sich auch, wie es überhaupt zu dem Diebstahl kommen konnte. „Der Bundestag fühlt sich für die Gedenkstätte nicht verantwortlich“, sagt er. Einerseits befänden sich die Holzkreuze im „Hochsicherheitsbereich“, andererseits sei ihm schon früher vom Bundestag mitgeteilt worden, dass man sich für die Gedenkstätte nicht verantwortlich fühle. Die geht auf eine private Initiative zurück, wurde aber 2003 vom damaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse eröffnet.

Die Aktivisten vom „Zentrum für politische Schönheit“ verweisen darauf, dass zumindest ein Angehöriger in einem Interview Verständnis für die Protestaktion äußerte, wie ihr Sprecher Philipp Ruch sagt. Dennoch verspricht der Theatermacher und Regisseur den Angehörigen, dass die Aktion nur vorübergehend sei: „Ich garantiere, dass die Kreuze zurückkommen – aber nicht vor dem Gedenktag am 9. November.“ Derzeit befänden die Kreuze sich an den EU-Außengrenzen, um darauf hinzuweisen, dass hier 30 000 Menschen beim Versuch gestorben seien, nach Europa zu gelangen.

Auf Fotos der Initiative sind tatsächlich Kreuze zu sehen, die von Flüchtlingen hochgehalten werden. Allerdings fehlen Bohrlöcher und andere Merkmale, was nahelegt, dass es sich um Nachbildungen handelt. Ruchs Initiative wirbt mit der Aktion auch um Geld für eine geplante Protestreise an die EU-Grenzen, wo man Grenzanlagen beschädigen oder beseitigen will. 14 000 Euro seien schon zusammengekommen, der erste Bus sei bereits ausgebucht, für einen zweiten gebe es eine Warteliste.

Wie gelang den Aktivisten der Coup?

Haben die Aktivisten die Kreuze zum Gedenken der Maueropfer etwa unter den Augen der Polizei weggetragen? Diese Frage stellen sich die Berliner nach der kühnen Aktion von Montag und fühlen sich vielleicht sogar an den aufgebrochenen Geldautomaten im Juni erinnert, direkt gegenüber des Reichstags. Oder an den Brandanschlag auf das Reichstagsgebäude im September durch einen Rechtsextremisten. Immerhin handelt es sich hier um einen „befriedeten Bezirk“ mit besonderen Schutzmaßnahmen. Philipp Ruch will sich selbst zum konkreten Vorgehen nicht äußern. Ein Sprecher der Polizei relativiert: Zum einen gebe es diese Maßnahmen nur zu Sitzungswochen und Plenarsitzungen. Zum anderen seien sie allein darauf ausgelegt, „die Arbeitsfähigkeit des Parlaments zu gewährleisten“. Das könne etwa heißen, dass Abgeordnete nicht durch Sitzblockaden daran gehindert werden, das Gebäude zu betreten. „Sie können nicht erwarten, dass im befriedeten Bezirk automatisch auch ein besonderer Schutz für alle dort befindlichen Objekte wirkt.“ Für den Schutz von Regierungsbauten sei die Bundespolizei verantwortlich. Die arbeite wiederum mit der Bundestagspolizei zusammen, die das Besucherzentrum betreut und für alle Vorgänge im Gebäude zuständig ist.

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