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"Miete Runter!" steht auf diesem Graffiti in Berlin-Kreuzberg. Das Urteil des Amtsgerichts lässt eher ein "Miete Rauf!" erwarten.

© Jens Kalaene/dpa

Mieter-Urteil in Berlin: Angriff auf den Mietspiegel

Das Amtsgericht kippt den Mietspiegel, die Vermieter können machen, was sie wollen - so der erste Eindruck. Ob das Urteil in zweiter Instanz Bestand hat oder nicht: Jetzt muss die Bundesregierung Schlimmeres verhindern. Ein Kommentar.

Ein Urteil wie Donnerhall: Das Amtsgericht kippt den Mietspiegel. Jetzt haben die Vermieter freie Hand und können fordern, was der Markt hergibt. Und der Wohnungsmarkt spielt in Berlin ja schon lange verrückt: Unter zehn Euro Miete je Quadratmeter und Monat geht kaum noch was, in guten Lagen sind locker 12 bis 15 Euro je Quadratmeter und Monat drin. Werden Wohnungen in Berlins Innenstadt nun unbezahlbar?

Gemach, so schnell geht es dann auch nicht. Fakt ist, dass eine einzelne Richterin in der ersten Instanz beim Amtsgericht Berlin ein Urteil in einem speziellen Fall gefällt hat für eine Wohnung in der Nähe des Schlosses Charlottenburg. Der Vermieter darf die Miete dort von 853 auf 947 Euro anheben für eine immerhin rund 132 Quadratmeter große Wohnung. Wucher ist das eher nicht. Und es ist ein Einzelfall - alle bisherigen Auseinandersetzungen mit dem selben Vermieter (Deutsche Wohnen) hat der Mieterverein in erster Instanz gewonnen.

Ein grundsätzlicher Angriff auf den Mietspiegel

Warum sich alle dann aufregen? Wegen der Begründung des Urteils. Die Richterin hat den Mietspiegel als Instrument zur Ermittlung der "ortsüblichen Miete" abgelehnt, weil dieser angeblich "nicht nach anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen" erstellt worden sein soll. Das ist ein grundsätzlicher Angriff auf den Mietspiegel.

Konkret greift die Richterin das Verfahren als "unwissenschaftlich" an, wie die "Extremwerte" in einer bestimmten Lage aus der Berechnung des ortsüblichen Mietpreises ausgeschlossen werden. Hintergrund: Die allerbilligsten Mieten und die allerteuersten fließen bei der Berechnung der ortsüblichen Vergleichsmiete nicht ein, weil sie nach Auffassung der Experten das Bild am Markt verzerren. Im Bild gesprochen ist der "Ferrari" eben genauso selten anzutreffen wie die "Ente".

Der Bund muss eine Rechtsverordnung erlassen

Das kann man so sehen, muss man aber nicht. Amtsgerichten eilt der Ruf voraus, dass sie nicht immer in die Tiefe der Materie eindringen, weil die Richter von der deutschen Streitlust erstens überlastet und zweitens schon mal überfordert sind. Außerem hält sich hartnäckig das Gerücht, dass sich die Richterschaft spaltet in eher vermieterfreundliche und eher mieterfreundliche Richter. Es ist also keinesfalls ausgemacht, dass das Landgericht in der nächsten Instanz genau so urteilt.

Ausgeschlossen ist es aber auch nicht, und sollte sich diese Rechtsauffassung durchsetzen, ist der Gesetzgeber gefragt. Wenn der Bund es ernst meint mit dem Kampf gegen die stark steigenden Mieten und die Mietpreisbremse wirken soll, muss er eine Rechtsverordnung erlassen, die den Mietspiegel zu einem verbindlichen Instrument in den Kommunen macht. Denn der Mietspiegel bewährt sich seit Jahren: Er erspart den Gerichten eine Menge Arbeit, indem er Rechtssicherheit schafft. 

Das Feld darf nicht den Gutachtern überlassen werden

Natürlich kann der Gesetzgeber zuvor das Verfahren zur Berechnung überprüfen und notfalls korrigieren. Was aber nicht sein darf: Gutachtern und Gerichten das Feld zu überlassen. Denn so wird jede Mieterhöhung zu einem Ringkampf bei dem jener die Oberhand gewinnt, der den besseren Gutachter und den besseren Anwalt hat.

Lesen Sie mehr zum Wohnungsmarkt in Berlin im Tagesspiegel-Mehr Berlin-Dossier unter haeuserkampf.tagesspiegel.de.

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