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Ein Polizeiwagen am Kotti in Berlin-Kreuzberg (Symbolbild).

© Paul Zinken/dpa

Anschläge in Berlin: Als die Kiez-Guerilla Rohrbomben zündete

Lange wurden sie nur als Kreuzberger Kiez-Miliz wahrgenommen, doch dann knallte es in Zehlendorf. Bis heute wurde kein einziger Klassenkämpfer ermittelt.

Es war ein überwiegend Kreuzberger Kleinkrieg, den „Klasse gegen Klasse“ führte. Da brannte mal ein Auto eines Bezirkspolitikers, Fäkalienkübel flogen in missliebige „Nobelrestaurants“. Bewohner von Dachgeschossen erhielten Drohbriefe, ebenso Ladenbesitzer. Im Rest der Stadt Berlin wurde die Autonomentruppe nur als Kiez-Miliz wahrgenommen, teilweise belächelt.

Bis zum 19. November 1993, exakt vor 25 Jahren. Da knallte es in Zehlendorf. Genauer: Es knallte zweimal kurz nacheinander. Zwei Rohrbomben zündeten auf den Terrassen von zwei Wohnhäusern. Es traf Rudolf Hellmann, den Leiter des Kreuzberger Stadtplanungsamtes, und Götz Fries, einen Architekten. In der gleichen Nacht wurden die Autos von zwei weiteren, ebenfalls in Kreuzberg tätigen Architekten angezündet, alle vier Tatorte lagen 200 Meter auseinander zwischen Argentinischer Allee und Grunewald.

Die Kreuzberger Kiez-Guerilla hatte sich nach Zehlendorf getraut, und das gleich mit Rohrbombenanschlägen. Es war die Pressestelle der Polizei, die die nächtlichen Anschläge in Zehlendorf „Klasse gegen Klasse“ unterstellte. Nun war die Gruppe bundesweit Thema. Der Staatsschutz der Polizei rätselte im Verborgenen, wer die Täter sind, der Innenausschuss des Abgeordnetenhauses rätselte öffentlich. Und ganz Kreuzberg rätselte ebenfalls.

Namen machten die Runde, viele angegriffene Geschäftsleute duckten sich aus Angst weg, nur wenige muckten auf, wollten die Namen angeblicher Klasse-Kämpfer veröffentlichen. Kurz vor dem Zehlendorfer Ausflug von "Klasse gegen Klasse" sagte der damalige Vizechef des Staatsschutzes im Interview mit dem Tagesspiegel: „Wir stoßen bei den Ermittlungen auf eine Mauer des Schweigens.“ Und weiter sagte Peter Haeberer damals: „Wir haben eine breite Palette von Verdächtigen im Visier – vom kranken Irren bis zur Gruppe von Kriminellen mit linkem Deckmäntelchen.“

Erst Fäkalien, dann eine russische Handgranate

Ebenfalls kurz vor den Zehlendorfer Rohrbomben meldeten sich andere Autonome in der Extremistenpostille „interim“ kritisch zu Wort: Unter dem Titel „Lernt endlich zielen“ kritisieren die unbekannten Autoren die Drohungen gegen Dachgeschossbewohner und empfahlen, stattdessen die „Spekulanten im Grunewald“ anzugreifen.

Ob die Klassenkämpfer, die gerne ein geschmiertes „KgK“ hinterließen, diese Aufforderung in der „interim“ tatsächlich beherzigten? Wir wissen es bis heute nicht. Erstmals war "Klasse gegen Klasse" im Mai 1992 in Erscheinung getreten. Drei Tage vor den BVV-Wahlen brennen die Autos des Neuköllner Bürgermeisters Heinz Buschkowsky und des Kreuzberger Bürgermeister-Kandidaten Peter Strieder (beide SPD) ab. KgK wirft ihnen „Umstrukturierung“ vor.

Ob KgK merkte, dass man mit abgefackelten Autos nur sehr kurzfristig Aufmerksamkeit erhält? Wir wissen auch das nicht. Auffallend ist, dass die Gruppe ihren Kampf dann militarisiert hat. Schon in den 80ern flogen Kübel mit Kot oder Buttersäure in etwas teurere Lokale. Auch im „Auerbach“ warf die Gruppe erst mit Fäkalien, im Oktober 1993 dann aber eine russische Handgranate. Und die Auseinandersetzung wurde persönlicher. Der damalige „taz“- Journalist Gerd Nowakowski bekam eine 9-mm-Patrone in die Redaktion geschickt und die Drohung mit „Schüssen in die Kniescheiben“, wenn er nicht Pamphlete von "Klasse gegen Klasse" veröffentliche. Nowakowski, seit 20 Jahren beim Tagesspiegel, druckte die Texte nicht. Peter Strieder bekam nach einer scharfen Drohung Personenschutz vom LKA.

Die Anschläge wurden seltener, in Zeitungen hieß es dann „Klasse gegen Klasse meldet sich zurück“. Der Verfassungsschutz ordnete der Gruppe bis 1996 fünf Sprengstoff- und 33 Brandanschläge zu. Später waren es wohl Trittbrettfahrer, die sich des „KgK“ bedienten, um gefährlich zu erscheinen. Ermittelt wurde kein einziger Klassenkämpfer.

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