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Der "Hauptstadtbarsch" wird direkt vor Ort geschlachtet und auf kurzen Wegen in den Handel gebracht.

© ECF Farmsystems

Aquaponik-Farmen: Mit Fischen will dieses Berliner Unternehmen die Ernährung revolutionieren

In Schöneberg produziert die Firma ECF Fische und Basilikum auf nachhaltige Weise. Wer will, kann gleich die ganze Anlage kaufen.

Immer gegen den Strom schwimmen die Barsche in ihren großen schwarzen Tanks. „Für die Fische ist das wie Sport“, sagt Nicolas Leschke, einer der beiden Geschäftsführer von ECF, einer Fischfarm mitten in Berlin. Das Unternehmen hat seinen Sitz auf dem Gelände der Schöneberger Malzfabrik. Ein computergesteuertes System erzeugt die Strömung und kontrolliert die Temperatur des Wassers.

Wenige Meter entfernt von den sportlichen Fischen wächst Basilikum in einem Gewächshaus. Die Kombination von Barsch und Kräutern ist kein Zufall. Dahinter steckt eine Produktionsweise, mit der Leschke und sein Geschäftspartner Christian Echternacht die Lebensmittelproduktion nachhaltiger machen wollen: die Aquaponik.

Die Fischzucht und das Gewächshaus sind durch einen Wasserkreislauf miteinander verbunden. Die Dächer der Anlage fangen Regenwasser auf, das dann in die Fischbecken geleitet wird. Die Fische reichern das Wasser durch ihre Ausscheidungen mit Ammonium an. Bakterien wandeln es in Nitrat um, ein natürliches Düngemittel.

Mit dem Fischwasser werden die Pflanzen gewässert. Sie verbrauchen die Nährstoffe, reinigen dadurch das Wasser. Das wird als Dunstwasser im Gewächshaus wieder eingefangen und geht dann zusammen mit frischem Regenwasser zurück in die Fischbecken. Der Kreislauf beginnt von vorn.

Rewe verkauft die Kräuter im großen Stil

Urban Farming, die Landwirtschaft in der Stadt, ist seit Jahren ein Trend. Anfangs haben die Gründer in ihrem Gewächshaus ein Sammelsurium an Gemüse angebaut. Jetzt gibt es nur noch Basilikum. Das liegt auch daran, dass die Abnahme gesichert ist. Die Supermarktkette Rewe kauft die gesamte Produktion von etwa 7500 Schälchen pro Woche auf.

Auch den Barsch gibt es in den Märkten der Kette, aber auch bei Edeka oder über das Netzwerk Marktschwärmer. Die Fische wachsen etwa sieben Monate, dann werden sie noch in der Fischfarm geschlachtet. Wer sie frisch und direkt kaufen möchte, kann sie online vorbestellen und dann am Donnerstag selbst abholen.

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Inzwischen werde nur noch ein kleiner Teil der Ware direkt vermarktet, sagte Leschke. Für Rewe, immerhin der zweitgrößte Lebensmitteleinzelhändler Deutschlands, hat ECF auch die Anbaumethode verändert. Eigentlich wird in der Aquaponik ohne Erde gearbeitet, sondern mit einem Substrat wie Ton oder Kies. Doch die Kräuter, die als „Hauptstadtbasilikum“ vermarktet werden, wachsen in Erde.

„Wir produzieren nicht nur regional, sondern lokal“, sagt Nicolas Leschke. Der Vorteil: kurze Transportwege vom Gewächshaus zum Lagerhaus des Einzelhändlers. Deshalb kann auch auf die sonst übliche Plastikschale verzichtet werden. Nach eigenen Angaben sparen die Hersteller auf diese Weise pro Jahr etwa sechs Tonnen Plastikmüll.

Zuerst war es nur ein Experiment

Leschke lebt seit 2006 in Berlin, kommt aus Frankfurt (Main). Nach dem betriebswirtschaftlichen Studium arbeitete er in England, Frankreich, Mexiko und den USA. Seine erste Firma gründete er in Italien. Leschkes Leidenschaft: nachhaltige Geschäftsmodelle. „Die größte Herausforderung für uns Menschen ist die Frage, wie wir in allen Bereichen ressourceneffizienter werden können.“

2011 entdeckte er die Aquaponik, experimentierte gemeinsam mit seinem heutigen Geschäftspartner Christian Echternacht. Anfangs eher eine Projektidee, habe sich herausgestellt, dass daraus ein Geschäftsmodell werden könnte. Ihr erstes Gewächshaus mit Fischbecken haben die Gründer in einem Container gebaut. Der steht immer noch auf dem Gelände, inzwischen haben sie dort ein kleines Café eingerichtet. 2014 kamen private Investoren an Bord.

Der Basilikum im Gewächshaus wird mit Fischwasser gedüngt.
Der Basilikum im Gewächshaus wird mit Fischwasser gedüngt.

© ECF Farmsystems

Auch der Beteiligungsarm der IBB unterstützte den Aufbau der großen Anlage mit 1800 Quadratmetern Fläche, die seit 2015 in Betrieb ist. ECF ist nicht das einzige Berliner Unternehmen, das den Trend zum Urban Farming zu einem Geschäftsmodell gemacht hat. Das Start-up Infarm produziert Kräuter direkt im Supermarkt und stellt dazu kleine Gewächshäuser in den Filialen auf.

Doch ist Urban Farming wirklich die Zukunft der Ernährung? Werner Kloas ist da skeptisch. Der Professor vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin hat das System entwickelt, mit dem ECF heute arbeitet. Er habe Leschke und Echternacht „angelernt“, sagt er, in ihrer Anfangsphase habe sein Institut mit den Unternehmern kooperiert.

„Aquaponik wird eine wichtige Rolle spielen für die künftige Nahrungsmittelsicherheit“, sagt Kloas. Die Süßwasserfische könnten mit wenig Futter viel Ertrag liefern, und gerade im Vergleich zum Wildlachs sei die Produktion nachhaltiger und klimafreundlicher. Dass die Fischfarmen der Zukunft in der Stadt liegen, glaubt Kloas nicht.

Nur etwas für Hipster?

„Urban Farming ist ein netter Trend“, meint der Professor. Es sei sinnvoll, zum Beispiel große Brachflächen auf diese Weise zu nutzen. Auch könnten pädagogische Angebote den Stadtbewohnern zeigen, wie Lebensmittel produziert werden. Doch für eine flächendeckende Ernährung der Bevölkerung genüge die Kapazität nicht.

Die Anlagen seien zu klein und damit die Preise zu hoch. „Damit erreicht man nur Hipster, höchstens fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung“, sagt er. Für die Mehrheit der Verbraucher sei der Fisch zu teuer. Um konkurrenzfähig produzieren zu können, müssten die Anlagen bedeutend größer sein. Dafür benötige man mehrere Hektar Fläche.

Der Unternehmer Nicolas Leschke verkauft mittlerweile ganze Aquaponik-Anlagen an Geschäftskunden. 
Der Unternehmer Nicolas Leschke verkauft mittlerweile ganze Aquaponik-Anlagen an Geschäftskunden. 

© Christoph M. Kluge

Tatsächlich kostet ein Kilogramm „Hauptstadtbarsch“ von ECF etwa 14 Euro. Die durchschnittlichen Kilogrammpreise der meisten handelsüblichen Fischsorten im Einzelhandel liegen unter zehn Euro. Dieses Problem hat auch Nicolas Leschke längst erkannt. Seit einigen Jahren bietet ECF den Aufbau von Fischfarmen für Geschäftskunden an. „Wir planen und bauen die Systeme schlüsselfertig“, sagt Leschke.

Dazu gehörten auch Schulungen für die Beschäftigten des Kunden, die die Anlagen dann bedienen könnten. Die Kunden kommen zum Beispiel aus dem Lebensmitteleinzelhandel. Ein Schweizer Gemüsegroßhändler hat sich ein Gewächshaus auf das Dach seines Firmengebäudes bauen lassen, die Fischtanks stehen im Stockwerk darunter. Leschke denkt bereits weiter.

Auf die Größe kommt es an

In Zukunft möchte er komplette Anlagen als Dienstleistung anbieten. ECF möchte für einen festen Preis die Anlage betreiben, der Kunde erhält die produzierte Ware. Er sei bereits mit Nahrungsmittelherstellern in Deutschland im Gespräch, sagt Leschke. Namen möchte er noch nicht nennen. Diese Produzenten seien beim Einkauf ihrer Rohstoffe abhängig von langen Lieferketten.

Die Coronakrise hat nun den Konzernen gezeigt, dass eine regionale Produktion sicherer ist. „Je größer man diese Anlagen baut, desto effizienter sind sie auch.“ Dann werde auch der Preis konkurrenzfähig.

Ein Wettbewerbsnachteil bleibt. Aquakultur wird in Deutschland nicht zur Landwirtschaft gezählt. Werner Kloas sagt: „Das bedeutet, dass es für die Unternehmen aufwendiger ist, Genehmigungen für Bau und Betrieb ihrer Anlagen zu erhalten.“ Außerdem bekommen die Betreiber nicht dieselben Subventionen wie etwa Gemüsebauern.

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