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Berlin: Auf Gedankenreise

Jana Simon las aus ihren Reportagen

Es sind einfache Sätze, die den „Zug der Träume“ ins Rollen bringen: „Draußen ist es so dunkel, als sei man ganz allein auf der Welt.“ „Der Zug erinnert an ein voll gefressenes Tier kurz vor dem Winterschlaf.“ Die Gedankenreise nach Saratow, Russland, verläuft bequem und schnell, geführt von der unaufdringlichen Stimme der Tagesspiegel-Autorin Jana Simon. Sie liest aus ihrer Reportage über den „Saratow-Express“, für die sie zwei Tage in einem rumpelnden Zug verbrachte, dann eine Woche in Saratow festsaß und wieder zwei Tage zurück rumpelte. Reportagen recherchieren ist mühevoll. Dafür entschädigten am Mittwochabend rund 90 Tagesspiegel-Leser Jana Simon mit großem Applaus. Zusammen mit Herausgeber Giovanni di Lorenzo, trat die 32-jährige Autorin in der Reihe „Zeitung im Salon“ im Restaurant „Möwe“, Palais am Festungsgraben, auf. Passend zu den Vespergewohnheiten im Saratow-Express kredenzte die Agentur „Eßkultur“ Hähnchen mit Kartoffelsalat.

Jana Simon machte ihre Zuhörer auch mit dem „Freudenhaus Hase“ in Wedding bekannt. Sie lässt Puffmutter Elke über das Leben als Hure erzählen, darüber, dass ihre Freier auch mal Pfannkuchen mitbringen und warum Hobbyhuren das Geschäft vermiesen. Aber es kommt nicht alles zur Sprache. Jana Simon hat eine vulgäre Stelle ausgelassen, was Giovanni di Lorenzo, der mitliest, nicht entgangen ist. Je nach Publikum lasse sie bestimmte Passagen eben weg, sagt Simon. An einigen Tischen erhebt sich Protest, aber nur zum Spaß.

Im Freudenhaus Hase verbrachte Jana Simon zwei Tage. Puffmutter Elke verlangte 150 Mark Aufwandsentschädigung, was man ausnahmsweise gezahlt habe, sagt di Lorenzo, weil so etwas sonst tabu ist. Trotzdem beschwerte sich Elke nach der Veröffentlichung: Sie hatte sich mehr Werbung erhofft.

Di Lorenzo stellte auch provokante Fragen. Was sie denn vom Henri-Nannen-Spruch halte, Reporter sollten nicht zu intelligent sein? „Das halte ich für Schwachsinn.“ Taktisch klug sei es manchmal, sich ein wenig dumm zu stellen, um mehr herauszukriegen. „Mein großer Vorteil ist: Ich werde meistens unterschätzt.“ Von den Zuhörern allerdings nicht. „Unglaublich authentisch, wie sie schreibt. Man kauft ihr alles ab“, sagt Kristina Godau, Juristin. Zustimmendes Nicken an ihrem Tisch. Gunda Ohl, Freiberuflerin, schätzt an Jana Simon ihre „sehr menschliche Art“. Deshalb hat sie sich gleich ein Buch von ihr gekauft und signieren lassen. loy

Jana Simon, Alltägliche Abgründe, Christoph-Links-Verlag

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