
© Sebastian Leber
Ausstellung „Know your Enemy“ in Berlin: Was Russlands Waffen über Putins Krieg verraten
Wie modern ist die Technik, mit der die russische Armee in der Ukraine kämpft, und welche Geheimnisse stecken in ihr? Eine Ausstellung in Berlin gibt bemerkenswerte Einblicke.
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Die LPD-801 sieht aus wie ein schwarzes Sturmgewehr. Tatsächlich verschießt sie jedoch keine Kugeln, sondern versendet Funkwellen und soll es so russischen Soldaten ermöglichen, feindliche Drohnen vom Himmel zu holen. Dafür hat die LPD-801 vorne, wo beim Sturmgewehr der Lauf wäre, drei Antennen, umhüllt von einem Plastikrohr.
Museumsdirektor Enno Lenze hebt die Waffe an und zeigt auf die Prägung an diesem Rohr: „Valsir“. So heißt ein italienisches Unternehmen, das eigentlich Spülkästen für Toiletten herstellt. Lenze schmunzelt. „Die russischen Konstrukteure haben also in ihre LPD-801 ein italienisches Abflussrohr eingebaut.“ Ladenpreis etwa drei Euro.
Die ungewöhnliche Anti-Drohnen-Waffe ist eines der Exponate der Sonderausstellung „Know your Enemy“, die ab Freitag im Museum „Berlin Story Bunker“ zu sehen ist. Gezeigt werden Waffen und Ausrüstung, die Russlands Soldaten bei ihrer Invasion in die Ukraine benutzt haben. Manches ist komplett erhalten, von anderem sind nur Trümmerstücke übrig. Aber auch diese können Einblicke in die russische Kriegsführung geben, sagt Lenze.
Die meisten Exponate sind eine Leihgabe aus Kiew. Ein dortiges Museum steht seit Jahren mit Enno Lenzes Team in Kontakt, Lenze selbst war als Krisenreporter bereits kurz nach Beginn der Invasion in Kiew. Voriges Jahr ließ er ein russisches Panzerwrack als Mahnmal gegen den Krieg vor der russischen Botschaft Unter den Linden platzieren. Nun also die Ausstellung. Weshalb?

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Zum Beispiel, um zu zeigen, mit welcher Brutalität Russlands Armee gegen die ukrainische Zivilbevölkerung vorgeht und systematisch Kriegsverbrechen begeht, sagt Wieland Giebel, der Kurator von „Know your Enemy“.
Das Exponat, das ihn besonders bewege, seien daher die Überreste eines Raketensprengkopfs des Typs 9M79K Totschka-U., die hinten links in der Ecke unweit des italienischen Abflussrohrs liegen. So ein Gehäuse kann mit bis zu 160 Kilo Sprengstoff bestückt werden. Auf einem Bildschirm sieht der Museumsbesucher, wie Russlands Armee diese Sprengköpfe gezielt in Wohngebiete steuerte und damit ganze Hochhäuser zerstörte.
Die Ausstellung demonstriert auch einen perfiden Trick: Direkt unter Panzerminen lassen russische Soldaten kleinere Personenminen in den Boden, sodass diese explodieren, sobald die Panzerminen entschärft werden. „Dazu muss man wissen, dass Minenräumung in der Ukraine meist nicht von Soldaten, sondern Zivilisten übernommen wird“, sagt Lenze. „Die sind auch hier das Ziel.“
Zwischen High-Tech und alter Sowjettechnik
Gezeigt werden allerhand Teile von Laserwaffen, Marschflugkörpern und viel Drohnenelektronik. Was dem Museumsdirektor beim Sichten des russischen Arsenals immer wieder auffalle: wie groß die Bandbreite sei zwischen „modernem High-Tech und räudigster Sowjettechnik, die schon damals miserabel und eben Ausdruck von Mangelwirtschaft war“. Beides werde gleichzeitig eingesetzt, und die Soldaten könnten jeweils nur hoffen, dass sie zu den Glücklichen zählen, die eine zeitgemäße Waffe zugeteilt bekommen anstatt einer komplett veralteten.
Beispielhaft stellen die Macher in einer Ecke sehr unterschiedliche Panzerabwehrwaffen aus, manche davon haben lediglich eine Trefferquote von drei Prozent. Die Museumsmacher verstehen solche Exponate also auch als sichtbare Belege gegen den Mythos der Unbesiegbarkeit der russischen Armee.
Ähnlich verhält es sich mit der Ausrüstung. In einer Vitrine zeigt das Museum ein modernes GPS-Gerät, das den eigenen Standort bis auf 20 Zentimeter genau angibt. Direkt daneben eine faltbare Landkarte, die eigentlich für Touristen gedacht ist – die aber russische Soldaten im Frühjahr 2022 als Orientierungshilfe bei ihrem fehlgeschlagenen Versuch nutzten, mit Panzern bis nach Kiew vorzustoßen.
Wandtafeln geben Informationen zur Invasion
Auf Wandtafeln erklärt die Ausstellung zudem den Verlauf und auch den Kontext der Invasion. Eine Tafel verdeutlicht die geopolitische Bedeutung der Ukraine. Eine andere listet die gröbsten Lügen auf, mit denen Putin seine Invasion zu rechtfertigen versucht. Eine dritte Tafel nennt SPD-Politiker, die lange die Nähe Putins suchten.
Zudem wird an unbekannte oder vergessene Statements erinnert. Etwa dass sich der frühere US-Präsident Bill Clinton heute mitverantwortlich für Russlands Invasion fühlt, weil er 1994 die Ukraine davon überzeugte, freiwillig ihre Atomwaffen aufzugeben. Im Gegenzug hatte Russland damals versprochen, die bestehenden Grenzen der Ukraine zu achten. Ohne diesen Deal, glaubt Clinton, wäre Russland im Februar 2022 kaum in sein Nachbarland einmarschiert.
Kurator Wieland Giebel hofft, dass die Ausstellung dabei helfe, Missverständnisse über den Krieg in der Ukraine aufzuklären. Eines dieser Missverständnisse sei die hierzulande weit verbreitete Überzeugung, die ukrainische Bevölkerung kriegsmüde und bereit sei, bei einer Verhandlungslösung Regionen wie die Krim an Russland abzutreten. „Ich denke, das ist eine Projektion“, sagt Giebel. Dahinter stecke vielmehr der eigene Wunsch vieler Deutscher, sich nach über zwei Jahren endlich nicht mehr mit Putins Invasion beschäftigen zu müssen.
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